Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
Die nächste Höllenflasche war bereits unterwegs.
Und dann ging es Schlag auf Schlag.
Nur kläglich wenige Musketenschüsse peitschten von den Zinnen nach unten. Die Kugeln klatschten ins Wasser, ohne Schaden anzurichten.
In unablässiger Folge krachten die Höllenflaschen, während die Arwenacks bereits den Pendelverkehr mittels zweier Boote eingerichtet hatten. Die zweite Geschützstellung wurde gleichfalls ausgeschaltet. Erste Rauchschwaden stiegen hinter der Umfassungsmauer auf.
Will Thorne, der Kutscher, Mac Pellew, Old Donegal Daniel O’Flynn und die Zwillinge blieben an Bord der Schebecke zurück. Hasard setzte mit dem letzten Boot zur Küste über.
Als der Seewolf bei seinen Männern auf dem Felsenanleger eintraf, war deutlich zu hören, wie das Geschehen eine unerwartete Wende nahm.
Von der Landseite her waren Musketenschüsse, Geschützdonner und gellende Schreie zu hören.
Aber die Arwenacks hatten keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Hasard stürmte als erster die Felsenstufen hinauf. Blacky folgte ihm dichtauf. Er war von unbändigem Kampfeswillen beseelt.
Mit einer Höllenflasche sprengte Al Conroy die Luke aus mächtigen Bohlen, die oberhalb der Felsentreppe ins Innere der burgähnlichen Anlage führte. Falls sich jemand dahinter aufgehalten haben sollte, dann war er durch die Wucht der Detonation aus dem Weg geschleudert worden.
In breiter Front drangen die Arwenacks auf den Hof des Palazzo vor.
An der Landseite hatte der Kampfeslärm noch zugenommen. Voller Verzweiflung hatte Don Marcello Struzzo seine Verteidigungskräfte auf die dortigen Wehrgänge konzentriert. Er schien noch nicht einmal bemerkt zu haben, daß seine Verteidigungslinie an der Seeseite praktisch nicht mehr existierte.
Ungehindert stürmten die Männer auf das Haupthaus zu.
8.
Eine Gruppe von ungefähr zwei Dutzend Leibwächtern warf sich dem Seewolf und seinen Männern in der Halle des Palazzo entgegen.
Säbelklingen blitzten und klirrten.
Blacky sah noch, daß der rabengesichtige Halunke unter den Verteidigern des Haupthauses war. Hasard nahm ihn sich vor und streckte ihn nach einem kurzen Säbelduell nieder.
Blacky zögerte nicht, sich unbemerkt abzusondern, als er in die Nähe der breiten Treppe geriet, die zum oberen Balustradengang führte. Es war ein Instinkt, der ihn leitete. Und das Verlangen nach Rache beseelte diesen Instinkt.
Er erreichte den Treppenabsatz und lief mit blankgezogenem Säbel nach links. Die Vermutung, daß sich Struzzo zumindest innerhalb der Mauern dieses Gebäudes aufhielt, lag nahe. Er hatte keinen Grund, sich an die Front zu begeben. Andere konnten für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen. So war es im Falle des Don Marcello vermutlich immer gewesen.
Blacky stieß die Türen nacheinander auf.
Nur die halbe Strecke des Balustradenganges brauchte er hinter sich zu bringen.
Der Salon bestach durch einen brusthohen Kamin aus wertvollem weißem Marmor.
Blacky verharrte in der offenen Tür.
Don Marcello Struzzo stand vor dem Kamin. In seiner Rechten lag eine doppelläufige Pistole, deren Stahl mit silbern ausgelegter Gravur verziert war. Die Hand des Mannes mit dem kantigen Gesicht zitterte. Das Zittern übertrug sich auf die schwere Waffe. Alles zerrte an seinen Nerven. Der Kampfeslärm von der Landseite des Castello ebenso wie die Schreie und das Säbelklirren aus der Halle des Palazzo.
Blacky hielt den Säbel gesenkt.
Der Sarde starrte ihn an, als habe er es mit einem Gespenst zu tun.
„Du täuschst dich nicht, Struzzo“, sagte Blacky eisig. „Ich bin es wirklich.“
Das Gesicht des Don verzerrte sich. Er flüsterte einen Fluch.
„Mit gegebenen Tatsachen muß man sich keineswegs abfinden“, zischte er. „Laß den Säbel fallen und ergib dich, Engländer!“
Blacky lachte spöttisch. „Du willst mich als Geisel?“
„Allerdings.“
„Schlag dir das aus dem Kopf. Daraus wird nichts.“
„Den Säbel weg!“ kreischte Struzzo. „Oder ich schieße!“
„Tu’s“, entgegnete Blacky, und er wirkte dabei völlig gelassen. In Wahrheit waren seine Nerven zum Zerreißen angespannt. „In deinem Zitterzustand würdest du nicht mal einen Pottwal auf fünf Yards Entfernung treffen.“
„Schweig!“ schrie Struzzo. „Dies ist meine letzte Warnung! Weg mit dem Säbel!“ Er strengte sich höllisch an, die Doppelläufige ruhig zu halten. Doch je mehr er sich anstrengte, desto heftiger wurde sein Zittern.
Blacky hob den Säbel und ging einen Schritt auf den Sarden zu.
Don Marcello stieß einen schrillen Wutschrei aus. Sein Zeigefinger krümmte sich jäh. Er verriß die Waffe.
Im Krachen des Schusses duckte sich Blacky unwillkürlich.
Aber er spürte nicht einmal das Sengen des Geschosses. Die Kugel war irgendwo hoch über dem Türrahmen in die Wand geklatscht.
Ruhig setzte er seinen Weg fort.
„Das war nur ein Warnschuß!“ schrie der Don mit sich überschlagender Stimme. „Die nächste Kugel trifft!“
„Daran glaubst du wohl selbst nicht“, entgegnete Blacky voller Spott.
Das ließ etwas in seinem Gegenüber zerreißen. Etwas, das die letzte Beherrschung in ihm aufrechterhalten hatte.
Sein zweiter Schuß war noch überhasteter als der erste.
Das Geschoß sirrte weit links an Blacky vorbei und zersprengte eine kleine Marmorstatue auf einem Wandsockel in tausend Stücke. Blacky sah es nur aus den Augenwinkeln heraus. Er achtete nicht weiter darauf.
Struzzos Gesicht war eine Fratze aus Angst und Wut. Er schleuderte die wertlose Pistole von sich und griff zum Dolch.
Blacky ging weiter auf ihn zu und fegte ihm die rasiermesserscharfe Waffe mit einem einzigen Hieb aus der Hand.
Struzzo wirbelte herum und riß einen Säbel an sich, der über dem Kaminsims aufgehängt war. Mit einer wilden Attacke stürmte er auf den breitschultrigen Engländer los.
Blacky gelang es geradezu mühelos, mit einem tänzelnden Schritt zur Seite auszuweichen.
Struzzo fing seinen Schwung ab und war im nächsten Sekundenbruchteil wieder zur Stelle. Mit waagerecht vorgereckter Klinge schnellte er auf den Gegner zu, der ihm immer unheimlicher wurde.
Blackys Reaktion funktionierte auch diesmal auf den Sekundenbruchteil genau. Struzzo lief in seinen Säbel hinein, wankte und kippte zur Seite weg.
Das Gefühl der gelungenen Rache, wie Blacky es sich vorgestellt hatte, entstand nicht.
Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, ertönte eine eisige Stimme von der Tür her.
„Danke, daß du mir die Arbeit abgenommen hast, Engländer. Ich werde allerdings nicht umhin können, dich mit einer Kugel dafür zu belohnen. Und in meinem Fall kannst du sicher sein, daß es keine zittrige Hand gibt, die dich rettet.“
Don Cesare di Montepulciano mußte hinter der Tür, auf dem Balustradengang, gelauert und alles mitgekriegt haben. Breit und massig füllte er den Türrahmen aus. In seiner Rechten lag ein Radschloßdrehling, ähnlich wie Hasard ihn verwendete. Gegen eine solche Waffe gab es kaum eine Chance.
Blacky erstarrte.
Sein Säbel steckte in Struzzos leblosem Körper. Und seine Pistole konnte er nicht ziehen, ohne daß Montepulciano