Seewölfe Paket 30. Roy Palmer

Seewölfe Paket 30 - Roy Palmer


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Sekunden, vielleicht Minuten seines Lebens so mutterseelenallein wie nie zuvor.

      Die Helligkeit, die ihn nun umgab, war nur noch trübe.

      Die Felsbrocken zogen ihn tiefer und tiefer.

      Ein anderes Geräusch mischte sich in das Rauschen der dahinjagenden Schebecke.

      Es war das peitschende Eintauchen von Riemenblättern.

      Blacky legte den Kopf in den Nacken. Er sah den Schatten des Beiboots, und die Riemenblätter verursachten beim Eintauchen kleine Explosionen von sonnenglitzernden Funken.

      Weiter links entfernten sich die großen Umrisse der Schebecke.

      Zu spät, dachte Blacky resignierend. Er spürte jetzt den zunehmenden Wasserdruck. Selbst wenn er noch für ein paar Minuten Atemluftreserve hatte, würde es ihm doch herzlich wenig nutzen. Durch die enorme Geschwindigkeit, mit der er sank, würde er bei immer stärker anwachsenden Druck rasch das Bewußtsein verlieren.

      Hasard und die anderen hatten es versucht. Himmel, sie hatten es wenigstens versucht. Und fast geschafft. Ein Gefühl unendlicher Dankbarkeit durchströmte ihn.

      Schleier begannen vor seinen Augen zu wallen. Er lehnte sich verzweifelt gegen das Schwinden seiner Sinne auf.

      Plötzlich spürte er Boden unter den Füßen. Die Zentnerlast der Felsbrocken zerrte nicht länger an ihm. Die trübe Helligkeit war geblieben. Der Druck ließ ein Sausen in seinen Ohren entstehen. Die Luftreserve in seinen Lungen begann sich zu verringern. Dennoch sah er sich um.

      Das Entsetzen packte ihn wie eine riesige Klaue.

      Von dem algenbewachsenen Felsenboden erhoben sich sonderbare Gestalten, die von einer unterseeischen Strömung wie Pendel auf einer weichen Stahlfeder hin und her bewegt wurden. Es mußte auch diese in unerfindlichen Richtungen verlaufende Strömung sein, die den Gestalten Auftrieb verlieh.

      Skelette!

      Alle hingen an Felsbrocken wie er selbst.

      Ein ganzer Wald von Skeletten umgab ihn.

      Don Marcello Struzzos Opfer.

      Die Schleier vor seinen Augen verstärkten sich. Seine Luft ging zur Neige. Er krümmte sich, um nach den Befestigungen der Ketten zu tasten. Eine lächerliche Annahme, sich auf diese Weise befreien zu können. Nein, es gab nichts mehr daran zu rütteln. Das Ende war nahe.

      Blacky nahm sich vor, seine letzten Gedanken der munteren Gigliola zu widmen, die das Leben und die Liebe in vollen Zügen zu genießen verstand. Es hatte sich gelohnt, sie kennenzulernen. Und sie traf nicht die geringste Schuld daran, daß er auf diese erniedrigende Weise endete.

      Er würde ein Teil des Skelett-Waldes werden, den Struzzo hier auf dem flachen Meeresgrund hatte wachsen lassen.

      Ein Schatten glitt heran.

      Blacky nahm keine deutlichen Konturen mehr wahr. Seine Umgebung verschwamm. Vielleicht hatten Haie die unterseeische Hinrichtungsstätte des Don als Freßplatz entdeckt, der von Zeit zu Zeit neu beschickt wurde.

      Der Schatten war ein Mensch.

      Blacky spürte behutsame Ohrfeigen, die ihn bei Bewußtsein halten sollten. Im nächsten Moment waren hell klingende Schläge zu hören.

      Blacky sperrte die Augen weit auf. Im ersten Augenblick hielt er das Bild, das sich ihm bot, für eine Halluzination. War das eins von diesen Wunschbildern, die Ertrinkende angeblich haben sollten?

      Der Seewolf, mit einem schweren Hammer und einem Meißel ausgerüstet, zerschlug das erste Kettenglied an der Eisenstange neben seinem rechten Knie. Hasard arbeitete schnell und geschickt. Das Kettenglied zersprang nach dem dritten Hieb. Er glitt um die Felsbrocken herum und schlug gleich darauf auf der anderen Seite zu.

      Die Atemnot ließ ein dumpfes Gefühl in Blackys Brustkorb entstehen. Er hörte die scharfen Hammerschläge. Gleich darauf das schabende Geräusch der Eisenstangen, wie Hasard sie aus den Löchern in den Felsbrocken zog. Dann packte ihn der Seewolf. Rasend schnell ging es aufwärts, der strahlenden Helligkeit der Sonne entgegen.

      Blacky blieb bei Bewußtsein. Als sie die Wasseroberfläche erreichten, war es das schönste Gefühl seines Lebens, tief durchatmen zu können und zu spüren, wie neue Spannkraft in alle Fasern seines Körpers zurückkehrte.

      Ben Brighton hatte das Beiboot aussetzen lassen. Carberry und Ferris Tucker zogen Blacky hinein und durchtrennten seine Fesseln. Sie halfen auch dem Seewolf über das Dollbord.

      Die Schebecke hatte in fünfhundert Yards Entfernung gehalst und näherte sich langsam.

      Der Zweimaster Don Marcello Struzzos, ein hervorragender Am-Wind-Segler, lag auf einem Kreuzschlag nach Nordosten – Generalkurs Küste.

      Blacky wollte etwas sagen und sich bedanken, brachte aber nur ein Keuchen hervor. Er räusperte sich heftig. Hasard klopfte ihm auf die Schulter und lächelte. Allein in den eisblauen Augen des Seewolfs war zu lesen, daß jeglicher Dank wirklich überflüssig war.

      Sie pullten auf die Schebecke zu.

      Struzzo sollte nicht glauben, daß er sich so mir nichts dir nichts aus der Affäre ziehen konnte.

      Don Marcellos Stimme gellte.

      „Pullt, verdammt noch mal, pullt!“

      Die Rudergasten hätten ihm gern verklart, daß sie nichts anderes taten als pullen. Und daß sie beim besten Willen keinen Schlag mehr zulegen konnten – falls es das war, was er meinte.

      Aber sie hüteten sich, auch nur die erste Silbe eines Widerworts von sich zu geben. Don Marcello befand sich in Panik. Und es war lebensgefährlich, ihm in einer solchen Stimmung zu widersprechen.

      Der Zweimaster lag vor Anker. Der Rest der Crew blieb an Bord – verteidigungsbereit.

      Das Boot erreichte den Anleger, den Don Marcello an einer niedrigen Stelle der Steilküste aus dem Fels hatte hauen lassen. Auch die Stufen, die vom Anleger aus hochführten, waren aus dem Fels gemeißelt worden.

      Struzzo ließ die beiden Gefangenen nach oben schaffen. Cóstola und er sahen den Rudergasten nach, die die Gefesselten mit sich schleiften. Es wurde ein beschwerlicher Weg bis hinauf in die Turmkammer.

      Die Gefangenen waren grau im Gesicht. Sie wußten, daß sie als Überbringer einer genauen Beschreibung der Hinrichtung nicht mehr taugten. Der schwarzhaarige Mann war wirklich Engländer, wie er von Anfang an behauptet hatte. Das bewies das Eingreifen seiner Freunde mit der Schebecke.

      Die Rudergasten fragten sich keuchend, warum Struzzo den Gefangenen nicht eine Kugel durch den Kopf jagen ließ. Warum, verdammt noch mal, mußte er immer den umständlicheren Weg wählen?

      Es konnte nur daran liegen, daß er eine geradezu satanische Freude daran hatte, seinen Opfern so grausame Seelenqualen wie nur irgend möglich zuzufügen.

      Er bereitete sich nicht die Mühe, in die Turmkammer hinaufzusteigen. Gemeinsam mit Cóstola wartete er am Fuß des Turms und ergötzte sich an den langanhaltenden Schreien der Männer, nachdem sie in die offene Luke gestoßen worden waren. Als die beiden dumpfen Aufschläge verklungen waren, wandte sich Don Marcello ab und steuerte auf den Palazzo innerhalb seines burgartigen Anwesens zu.

      Emiliano Cóstola folgte ihm, nachdem er noch einen besorgten Blick auf das Meer hinausgeworfen hatte.

      Es waren noch keine Verfolger zu sehen, was aber nichts besagte.

      Man hatte jedoch Zeit, sich gründlich auf einen möglichen Angriff vorzubereiten.

      Don Marcello zog sich in den großen Salon im oberen Stockwerk zurück und wies Cóstola an, ihm jegliche Störung vom Hals zu halten.

      Der Mann mit dem Rabengesicht hatte volles Verständnis dafür, daß sein Brotgeber Zeit und Ruhe brauchte, um seine Gedanken zu ordnen und sich mit neuer Kraft gegen die Anfeindungen dieser Welt zu wappnen.

      Mehr als eine halbe Stunde der Ruhe vermochte Cóstola dem Don allerdings nicht zu gewähren.


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