Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
sie wie ein einziger, Mann ausführten, blickten die Kerle in zehn Pistolenläufe. In jedem Sekundenbruchteil gesellten sich weitere hinzu. Die Gesichter der Arwenacks über dem Schanzkleid spiegelten grimmige Entschlossenheit.
Der Seewolf sah, daß etlichen Kerlen mulmig zumute wurde. Doch da war ihre zahlenmäßige Überlegenheit, die ihnen Mut einflößte.
Sämtliche Arwenacks waren in dieser Sekunde mit Pistolen ausgerüstet. Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Papagei, waren unter Deck gebracht worden. Lediglich Plymmie, die Wolfshündin, durfte bei den Zwillingen bleiben. Mit gesträubtem Nackenhaar und leisem Knurren ließ sie deutlich erkennen, daß sie ihren Teil zur Verteidigung des Schiffes beitragen würde.
Al Conroy wuchtete ein geladenes Drehbassenrohr in eine der schwenkbaren Gabellafetten, richtete die Mündung auf die Montepulcianokerle und hielt die glimmende Lunte hoch.
Der Anführer erbleichte. Aber er riß sich zusammen.
„Signor Killigrew!“ rief er scharf und versuchte, seine Stimme so energisch wie möglich klingen zu lassen. „Ich hatte Ihnen im Namen Don Cesares Order erteilt, den Hafen von Cagliari zu verlassen. Wie ich sehe, haben Sie nicht vor, diese Order zu befolgen.“
„Sie sehen richtig“, erwiderte der Seewolf und grinste. „Was Sie außerdem sehen dürften, sind unsere geladenen Waffen. Sollte auch nur einer von Ihnen zur Pistole greifen, blasen wir Ihren ganzen Haufen mit gehacktem Blei und mit Rundblei von der Pier. Begriffen?“
Der Anführer nickte. Sein Adamsapfel ruckte auf und ab. Er rang mit sich um eine Entscheidung. Und dann tat er das einzig Denkbare, was er noch tun konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren.
Er brüllte einen Angriffsbefehl.
Mit bloßen Fäusten stürmten die Kerle auf die Verschanzung der Schebecke los.
Ihr Anführer hatte richtig kalkuliert: Die Engländer feuerten nicht auf Gegner, die ihrerseits keinen Schuß abzugeben gedachten. Blitzschnell, während sich die Montepulcianokerle mit Angriffsgebrüll gegenseitig anfeuerten, entspannten die Arwenacks ihre Pistolen und stießen sie unter die Gürtel.
Den ersten Ansturm der zahlenmäßig weit überlegenen Angreifer vermochten sie nicht abzublocken. Als lärmende menschliche Masse flutete die Meute zur Verschanzung und darüber hinweg. Der Anführer war mitten unter ihnen, alles andere als ein Feigling.
Unter den eisenharten Fäusten der Arwenacks segelte etwa ein Drittel der Kerle direkt vom Schanzkleid aus auf die Decksplanken und wurde damit der Mühe enthoben, sich auf den Beinen zu halten.
Die übrigen zwei Drittel jedoch erreichten die gegenüberliegende Seite der Schebecke, wo sie sich sammelten.
Atemzüge lang starrten sich die gegnerischen Parteien an. Zwischen ihnen lagen die Bewußtlosen, von denen sich einige stöhnend zu bewegen begannen. Der Anführer schrie seinen nächsten Befehl. Ein verhängnisvoller Befehl, wie sich herausstellen sollte.
Die Angreifer zogen blank. Ihre Klingen blitzten im Licht der Morgensonne.
Der Seewolf hatte seinen Säbel im nächsten Moment aus der Scheide, und die Männer folgten seinem Beispiel.
Auf einigen der Schiffe in der Nähe waren Gesichter mit großen Augen zu sehen. Aus sicherer Deckung heraus beobachteten Seeleute fassungslos, was sich abspielte. Jeder einzelne von ihnen war bereit, sich blitzschnell in Sicherheit zu bringen, falls die Luft doch noch bleihaltig werden sollte.
Für die Montepulciano-Meute gab es kein Zurück mehr. Der Anführer schrie den Angriffsbefehl. Mit flirrenden Klingen stürmten die Kerle quer über die Decks der Schebecke.
Auf halbem Weg warfen sich ihnen die Arwenacks entgegen. Für die Männer, die aus der Toskana nach Sardinien gekommen waren, schien es, als würden sie gegen eine Mauer anrennen – eine Mauer, die noch dazu mit sausenden Säbelhieben reagierte.
Das helle Klirren, mit dem Klingenstahl auf Klingenstahl prallte, war im Hafen von Cagliari weit zu hören.
Dennoch fand sich auch jetzt niemand, der es wagte, sich in die Auseinandersetzung einzumischen.
Die hell schmetternden Stahlgeräusche nahmen zu und wurden überlagert von Schreien. Unterdrückte Schmerzenslaute und verbissenes Keuchen gingen im Toben des Säbelkampfes unter.
Der Anführer der Montepulciano-Meute hatte sich von Anfang an auf den Seewolf konzentriert, als würde er dadurch am besten in der Lage sein, den Kampf im Sinne seines Auftraggebers zu entscheiden.
Hasard trieb einen untersetzten Burschen mit einer scharfen Attacke von sich weg. Mit einem Nachsetzen brachte er den Mann zu Fall. Noch im selben Atemzug stieß der Anführer in die Lücke, indem er von seiner Auseinandersetzung mit Ben Brighton kurzerhand abließ. Verblüfft blickte der Erste Offizier seinem Gegner nach, da es im ersten Moment schien, als wolle der Mann die Flucht ergreifen.
Für den Seewolf war es keine überraschende Wende. Er hatte gespürt, wie der Mann mit den feinen grauen Strähnen im Haar immer wieder versucht hatte, an ihn heranzukommen. Jetzt, endlich, hatte er es geschafft, und er schien froh darüber zu sein. Das war seinem wildentschlossenen Angriffsschrei zu entnehmen. Den Säbel zu einem Beidhandhieb erhoben, stürmte er auf den Seewolf los.
Hasard setzte alles auf eine Karte, unterlief den Angriff mit einer Gegenattacke und blockte den Hieb des anderen ab, indem er die herabzischende Klinge mit einem aufwärts gerichteten Hieb abfing.
Der Mann ächzte vor Anstrengung und Enttäuschung. Hasard rammte ihm die freie Linke vor den Brustkasten und brachte ihn ins Taumeln. Der Anführer der Meute wankte rückwärts und versuchte vergeblich, die Bewegung abzufangen.
Der Seewolf brauchte sich kaum noch zu beeilen, um ihm den Säbel endgültig aus den Händen zu schlagen. Der Mann stieß einen schrillen Wutschrei aus, als er seine Blankwaffe in hohem Bogen davonfliegen und vor der Heckverschanzung auf die Planken scheppern sah. Hasard trieb den Wankenden bis an die Backbordverschanzung und setzte ihm die Säbelspitze unter das Kinn.
Der Mann erstarrte.
Im selben Moment war der Kampf entschieden.
„Ergebt euch!“ schrie der Anführer auf italienisch. Er stieß es durch die nur knapp geöffneten Zähne, denn mit dem nadelfeinen Stahl, der in seine Haut drückte, wagte er keine heftige Bewegung.
Die Kerle, deren noch kampffähiger Haufen ohnehin auf ein knappes Dutzend zusammengeschmolzen war, wichen zurück und ließen die Säbel sinken. Sie sahen erleichtert aus. Die Bewußtlosen und Verwundeten zu ihren Füßen sprachen eine allzu deutliche Sprache.
„Verschwindet!“ sagte der Seewolf leise und drohend. „Und laßt euch hier nie wieder blicken. Nächstes Mal könnte es passieren, daß wir euch tatsächlich mit gehacktem Blei begrüßen.“
Ben Brighton nahm dem Mann die kostbare Pistole ab und warf sie ins Hafenbecken. Auf dem Hauptdeck taten Carberry und die anderen es ihm nach. Sämtliche Schußwaffen gingen auf Tiefe. Der sehr ehrenwerte Don Cesare di Montepulciano würde Taucher einsetzen müssen, wenn er die teuren Einschüssigen wieder ans Tageslicht holen wollte.
Der Anführer zog mit seinen Kerlen in aller Eile ab, ohne noch eine Silbe von sich zu geben.
Zwei Verwundete, die nicht in der Lage waren, sich aus eigener Kraft aufzurappeln, blieben einfach zurück.
„Sauber, sauber, diese Säbelrassler“, sagte Carberry, während er den Davoneilenden kopfschüttelnd nachblickte.
Während die Arwenacks an Deck Ordnung schafften, kümmerten sich der Kutscher und Mac Pellew um die Verwundeten. Einer der beiden Italiener, untersetzt und dunkelblond, hatte eine Stichwunde im rechten Oberschenkel. Den anderen, einen hageren Schwarzhaarigen, hatte eine Klinge in die Hüftgegend getroffen. Der Kutscher säuberte die Wunden, legte beiden saubere Verbände an und verabreichte ihnen einen stärkenden Kräutertrank.
Das Rezept und die Zutaten stammten noch von einem indianischen Medizinmann aus Florida. Seine Funktion als Feldscher war der ganze Stolz des Kutschers, die medizinische