Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
damit versenkte er sie bei vollem Bewußtsein.
Ihr Todeskampf mußte furchtbar sein. Don Marcello Struzzo gewährte seinen Opfern nicht das Recht eines jeden Seefahrers, bis zum Schwinden seiner Sinne gegen die Elemente kämpfen zu können. Struzzo weidete sich an den Höllenqualen, die die hilflosen Gefangenen litten, bevor er sie umbrachte.
Nein, bevor er sie umbringen ließ.
Denn er selbst beschmutzte sich nicht die Hände. Dafür hatte er seine Schergen.
Womit nicht gesagt war, daß sich Don Cesare di Montepulciano von Don Marcello auch nur um einen Deut unterschied. Etwas Derartiges hatten die beiden Verwundeten von Anfang an nicht behauptet.
Die Stimmung an Bord der Schebecke war gedrückt. Nur das Notwendigste wurde gesprochen.
Dan O’Flynn blickte von seinen Berechnungen auf. Mittels des Jakobsstabs hatte er soeben die exakte Position der Schebecke festgestellt.
„Jetzt müßten wir ihn sehen können!“ rief er alarmiert.
Hasard ließ den Kieker sinken und wandte sich zu Dan um. „Struzzos Zweimaster?“
Dan nickte und lief bereits los. Mit langen, federnden Sätzen erreichte er das Vorschiff. Unmittelbar am Bug setzte er sein Spektiv ein. Allein mit bloßem Auge war er jedem in der Crew des Seewolfs an Sehkraft überlegen.
In seiner gelegentlichen Funktion als Ausguck hatte Dan die Arwenacks vor manchem verhängnisvollen Geschehen bewahrt. Mittlerweile hatte er sich auf die Tätigkeit des Navigators spezialisiert, was aber nicht bedeutete, daß er in Ausnahmesituationen nicht doch noch die unübertroffene Schärfe seiner Augen einsetzte.
Dans Ruf ertönte bereits nach zwei, drei Sekunden.
„Zweimaster voraus!“
Hasard und Ben hoben wieder die Spektive.
Die Mastspitzen waren nur eben zu erkennen.
Der Seewolf ordnete Gefechtsbereitschaft an. Wenn es sein mußte, würde er Struzzos Schiff zu den Fischen schicken – erbarmungslos. Es mußte dann sein, wenn es für Blacky keine Hilfe mehr gab.
Und sollte Struzzo versuchen, Blacky als Faustpfand einzusetzen, dann würde Hasard sein eigenes Leben dafür in die Waagschale werfen. Dazu war er entschlossen. Blacky war ohne eigenes Verschulden in diese teuflische Situation geraten. Struzzos Schergen hatten ihn verwechselt, und auch der Don selbst hielt ihn noch immer für jemanden, der er nicht war – nicht sein konnte.
Für Hasard bestand kein Zweifel darüber, warum diese Verwechslung entstanden war.
Mit seinem Äußeren wirkte Blacky wie ein Südländer. Eben deshalb wurde er ja auch seit jeher Blacky genannt.
Don Marcello Struzzo mußte ein ungeheures Mißtrauen gegen alles Fremde hegen – zugleich aber mußte er die Hosen voll haben. Anders als durch Angst war dieses Mißtrauen nicht zu erklären.
Sein Widersacher Montepulciano mußte ihm mächtig zusetzen.
Unter Al Conroys Anleitung wurden an Deck jene Vorbereitungen getroffen, die die Arwenacks mit schlafwandlerischer Sicherheit beherrschten. Während die Männer Kartuschen und Geschosse an Deck schafften, streuten die Zwillinge Sand auf den Decksplanken aus und stellten Pützen mit Seewasser bereit – um etwaige Brandherde rasch ersticken zu können.
Man brauchte nicht damit zu rechnen, daß Don Marcello mit einem nur schwach oder überhaupt nicht armierten Zweimaster durch die Küstengewässer kreuzte. Spätestens seit er durch seinen Gegner Don Cesare bedrängt wurde, mußte er ständig auf der Hut sein.
In der Kombüse stellte der Kutscher die Eisenbecken mit glühender Kohle bereit, die zum Zünden der Lunten gebraucht wurden.
Nachdem die Culverinen geladen waren, nahm sich Al Conroy die Drehbassen vor. Nach den jeweils genau bemessenen Schwarzpulvermengen setzte er die Ladungen aus gehacktem Blei in die Rohre der kleinen Geschütze auf ihren schwenkbaren Gabellafetten.
Konturen tauchten für die Männer mit den Spektiven auf. Bald darauf konnten alle an Bord der Schebecke bereits mit bloßem Auge erkennen, was sich abspielte.
Sie verharrten im stummen Zorn.
Und jeder – vom Seewolf bis zum Jüngsten – hatte nur den einen Wunsch, daß der Wind noch einmal kräftig zulegen möge. Aber der handige Geselle tat ihnen den Gefallen nicht. Sie mußten Sekunden und Minuten in ohnmächtiger Tatenlosigkeit verstreichen lassen.
Die Kerle im Beiboot des Zweimasters bemerkten die heranrauschende Schebecke nicht sofort. Zu sehr waren sie offenbar von der Vorfreude auf die grausige Hinrichtung erfüllt.
Aus dem grellen Licht der Sonne heraus stieß der Seewolf auf Struzzo und seine Schergen zu.
Sie sahen, wie der Don und sein Rechtsberater Cóstola auf der Achterducht zusammenzuckten.
Blacky stand auf der Bugplattform und schien keinerlei Hoffnung mehr zu hegen.
Deutlich war zu sehen, wie der glatzköpfige Kerl mit dem nackten Oberkörper die Muskeln anspannte. Er wartete auf das Zeichen Don Marcellos, die Exekution durch einen raschen Stoß durchzuführen.
Noch fünfhundert Yards trennten den Dreimaster vom Beiboot. Querab südlich, auf dem Zweimaster, war hektische Bewegung zu erkennen. Keine Frage, daß auch dort Gefechtsbereitschaft hergestellt wurde.
Don Marcello wartete mit dem entscheidenden Befehl.
Seine Absicht war deutlich.
Er würde die Hinrichtung so lange wie möglich hinauszögern, um einen Angriff der Arwenacks dadurch zu verhindern.
Hasard ließ die Schebecke weiter unter Vollzeug laufen.
Noch vierhundert Yards.
Eine gellende Stimme war aus dem Beiboot zu hören.
„Verschwindet, ihr Bastarde! Verschwindet, oder er stirbt auf der Stelle!“
Spätestens in dieser Minute mußte Struzzo begriffen haben, daß Blacky nicht der vermeintliche Todesbote seines Erzfeindes war.
Noch dreihundert Yards.
Hasard verständigte sich rasch mit Ben Brighton. Was zu tun war, stand für den Seewolf jetzt fest. Er konnte Struzzos Verhalten vorausberechnen. Der Don würde es bis zum letzten Moment hinauszögern, um die Gefahr von sich abzuwenden.
Noch zweihundert Yards.
Hasard lief auf das Hauptdeck und stieg aus den Stiefeln. Er streifte die Lederweste und das Hemd ab und behielt nur das Entermesser am Gurt. Auf sein Handzeichen hin lief Ferris Tucker los und verschwand in der vorderen Luke, um die Ausrüstung für den Seewolf zu besorgen.
7.
Struzzos schriller Befehl hallte weit über das Wasser.
Der Henkersknecht stieß die Felsbrocken nach Backbord von der Bugplattform.
Blacky wurde mitgerissen. Indem er den Oberkörper zur Seite krümmte, konnte er eben noch verhindern, daß er mit dem Kopf auf das Dollbord schlug. Er pumpte die Luft tief in seine Lungen, obwohl er nicht glaubte, daß es ihm noch etwas nutzte.
Struzzo hatte ihm die Augenbinde abnehmen lassen – in letzter Sekunde noch. Blacky wußte, daß es aus reiner Bosheit geschehen war. Er sollte mitkriegen, wie seine Gefährten vergeblich versuchten, ihn zu retten.
Das Wasser schlug über ihm zusammen.
Was sollten Hasard und die anderen noch für ihn tun? Was konnten sie noch für ihn tun?
Die Zentnergewichte der Felsbrocken zogen ihn in die Tiefe. Rasch schwand die Helligkeit des Sonnenlichts, die unter der Wasseroberfläche noch stark und strahlend war.
Blacky konnte die Schebecke in ihrer rauschenden Fahrt hören. Durch die starke Fortpflanzung des Schalls erschien