Seewölfe Paket 30. Roy Palmer

Seewölfe Paket 30 - Roy Palmer


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auf der entgegengesetzten Seite. Sie liefen in die Hügel hinauf. Hier kannten sie sich bestens aus. In den Wäldern der Insel würde es den Piraten nicht so rasch gelingen, die Familien wiederzufinden.

      Und es gab auch einen Platz, an dem man sich vor Sturm und Regen schützen konnte. Vier Meilen vom Strand entfernt zog sich ein Höhlensystem durch die Felsen. Hier hatten die Fischer schon öfter Zuflucht gesucht, wenn Piraten die Küsten bedroht hatten.

      So fanden Olivaro und dessen Spießgesellen nur noch die leeren Hütten vor, als sie das Dorf erreichten.

      „Alle weg“, sagte Guzman. „Die sind getürmt, Olivaro.“

      „Das sehe ich auch!“ stieß der Anführer gereizt aus. Er trat einem der toten Wächter voll Wut in die Seite und spuckte aus. „So ein verdammter Mist! Los, ausschwärmen! Holt mir dieses Gesindel zurück!“

      Aber so sehr die Piraten auch suchten – sie fanden die Fischer nicht mehr. Zu groß war der Vorsprung. Und in der Dunkelheit konnten die Kerle nicht die Wälder abforschen. Sie mußten bis zum Morgen warten.

      Olivaro betrat sein Hauptquartier und entdeckte im Keller den toten Juanito.

      „Verfluchte Ratte!“ sagte er wütend. „Ich wette, daß sie dich als ersten abgemurkst haben! Geschieht dir recht!“

      Olivaro veranlaßte, daß die Toten weggeschleppt und in die Bucht geworfen wurden. Danach ließ er die beiden Gefangenen in den Keller seiner. Hütte sperren. Er knallte selbst die Luke zu und setzte sich an den Tisch. Was er jetzt brauchte, war ein tüchtiger Schluck Whisky. Er schenkte sich einen ganzen Humpen voll und trank unbeherrscht.

      Während draußen noch seine Kerle herumstreunten und nach den Fischern suchten, beruhigte sich Olivaro allmählich wieder. Na gut, es war ein Verlust, daß das verdammte Fischerpack ausgerissen war. Jetzt mußten die Piraten alle Arbeiten selbst erledigen. Sie hatten keine Sklaven mehr. Aber was kümmerte das ihn, Olivaro! Er würde bald auf dem Weg nach England sein, wo es eine Menge Geld zu holen gab. Das war wichtiger.

      Grinsend holte er die Schatulle hervor, stellte sie auf den Tisch und öffnete sie. Gierig wühlte er in den Münzen. Was für ein Gefühl! Bald würde er steinreich sein. Dann konnten ihm die Kerle diese Taugenichtse, allesamt den Buckel runterrutschen.

      Auch im Schlaf waren die Sinne des Seewolfes geschärft. Durch das Heulen und Fauchen der Naturgewalten vernahm er das Peitschen von Schüssen. Mit einem Ruck erhob er sich und kauerte auf dem Rand der schwankenden Koje. Wieder knallte und krachte es irgendwo auf der Insel. Hasard stand ganz auf und griff nach seiner Jacke. Im Dunkeln und auf den wippenden Planken war das nicht ganz leicht.

      Schritte näherten sich auf dem Mittelgang. Jemand verharrte vor dem Schott der Kapitänskammer und klopfte an. Dreimal.

      „Wer da?“ fragte Hasard.

      „Bill, Sir“, ertönte die Stimme von der anderen Seite des Schotts.

      „Gibt es Neuigkeiten?“ Der Seewolf ließ Bill herein.

      Bill hielt sich am Pfosten fest. „Es wird wieder geschossen. Ich halte es für meine Pflicht, das zu melden.“

      „In Ordnung“, erwiderte Hasard. „Ich habe es auch schon gehört. Wie spät ist es?“

      „Vier Glasen morgens, Sir.“

      „Dann können wir immer noch nichts unternehmen“, sagte der Seewolf. „Seid weiterhin auf der Hut. Sobald der Morgen graut, gehe ich selbst mit einem Trupp an Land. Ich will wissen, was hier gespielt wird.“

      „Solange keine unmittelbare Bedrohung für die Schebecke besteht, brauchen wir uns wohl keine Sorgen zu bereiten“, meinte Bill.

      „Das ist richtig, aber die Schüsse klangen dieses Mal näher.“

      „Den Eindruck hatte ich auch.“

      „Es könnte noch Verdruß für uns geben“, sagte der Seewolf. „Wir müssen aufpassen wie die Luchse.“

      „Das tun wir, Sir“, versicherte ihm Bill.

      „Das glaube ich dir.“ Hasard lauschte dem Heulen des Windes und dem Rauschen der See. „Ist kein Ende des Sturmes in Aussicht?“

      Bill antwortete: „Mir scheint, der Wind hat ein wenig nachgelassen. Das Gewitter hat sich weiter zur See hin verlagert.“

      „Möglich, daß am Vormittag doch Ruhe eintritt“, sagte der Seewolf. „Wäre es nicht besser, wenn ich mit bei euch an Deck bin?“

      „Das halte ich nicht für erforderlich“, erwiderte Bill. „Das schaffen wir allein, Sir, ganz bestimmt. Sollten wir Verstärkung brauchen, melde ich mich rechtzeitig.“

      Hasard lauschte. Wieder knallten – wie aus weiter Ferne – auf der Insel Schüsse. Er meinte auch Schreie zu hören. Ein Kampf fand dort statt, kein Zweifel. Ob aber wirklich ein Eingreifen der Arwenacks erforderlich war? Das blieb dahingestellt. Immerhin war auch denkbar, daß sich zwei einander feindliche Gruppen von Schnapphähnen in die Haare geraten waren.

      „Einverstanden, Bill“, sagte Hasard. „Wenn es weitere Vorkommnisse gibt, wecke mich bitte wieder.“

      „Aye, Sir!“ Bill zeigte klar und arbeitete sich durch den Mittelgang des Achterkastells zurück an Oberdeck.

      Hasard ließ sich auf seine Koje sinken und faltete die Hände unter dem Kopf. Noch ein paar Schüsse waren durch das Tosen des Wetters zu vernehmen, dann war es – zumindest was das Krachen und Knallen betraf – still.

      Bald war der Seewolf wieder eingeschlafen. Doch es war ein unruhiger Schlummer. Vor seinem geistigen Auge liefen alle die Vorfälle ab, die sich zugetragen hatten, seit sie den Stützpunkt in der Karibik verlassen hatten.

      Wieder einmal hatten die Arwenacks eine Weltreise hinter sich – die dritte in knapp zwanzig Jahren. Ein Abenteuer reihte sich an das andere. Es gab keinen Platz, an dem nicht unangenehme Überraschungen auf sie lauerten. Es existierte kein Frieden auf der Welt. Überall gab es Streit und Auseinandersetzungen.

      Gegen halb fünf Uhr morgens wurde der Seewolf wieder wach und kletterte aus seiner Koje. Er wusch sich, so gut es ging, dann begab er sich zu seinen Mannen an Oberdeck. Inzwischen hatte der Wachwechsel stattgefunden. Dan war der Führer des sechsköpfigen Kommandos.

      Er grinste seinem Kapitän zu und fragte: „Merkst du was?“

      „Wind und Seegang haben nachgelassen“, erwiderte Hasard.

      „Ja. Die Lage scheint sich zu bessern.“

      „Und an Land?“

      „Nichts mehr gehört“, sagte Dan O’Flynn. „Absolute Ruhe. Es hat sich auch niemand gezeigt. Keine Leute am Ufer, keine Piratensegler. Nichts.“

      Der Seewolf hielt sich an einem der Manntaue fest und fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. Er spähte zum Ufer, das in der Dunkelheit eher zu ahnen als zu erkennen war.

      „Das braucht nicht unbedingt ein gutes Zeichen zu sein“, sagte er.

      Dan nickte. „Natürlich nicht. Keine Sorge, wir erfahren bald, ob es Schnapphähne oder Geister sind, mit denen wir es zu tun haben.“

      Hasard hangelte in den Tauen weiter zu den anderen. Es waren Blacky, Higgy, Stenmark, Batuti und Jeff Bowie. Er tauschte ein paar Worte mit ihnen. Danach verstummten sie alle. Sie standen auf dem taumelnden Schiff und hielten pausenlos Ausschau nach allen Seiten.

      Endlich meldete sich der Morgen durch das Heraufziehen grauer Schleier im Osten an. Bald breitete sich ein schmutzigroter Streifen über der See aus. Der Himmel sah zum Fürchten aus. Trotzdem waren die Arwenacks zuversichtlich gestimmt.

      Das Meer beruhigte sich zusehends. Der Sturm flaute immer mehr ab. So jäh, wie er über die Schebecke und ihre Besatzung hereingebrochen war, so plötzlich schien er auch wieder nachzulassen.

      Zum Backen und Banken erschien die Crew vollzählig an Deck. Der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge teilten ein heißes,


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