Seewölfe Paket 30. Roy Palmer
voll!“
Von der Schatulle wußten die Fischer, weil Ives sie darüber aufgeklärt hatte. Das Zauberwort genügte, um die Gier der beiden Galgenvögel zu wecken.
„Los!“ zischte der eine dem anderen zu. „Nichts wie hin! Corvo will mit uns teilen. Das ist mehr als gerecht.“
Ja, Corvo schien mit einemmal ein feiner Kerl zu sein. Ein Kamerad, wie es ihn sonst nur ganz selten gab. Wie leicht hätten er und der andere sich die Schatulle unter den Nagel reißen können. Aber nein, sie wollten ehrlich mit ihren Spießgesellen teilen. Den beiden Kerlen wurde es richtig warm ums Herz, als sie zu dem vermeintlichen Corvo rannten.
Um so größer war die Überraschung.
Kaum waren die beiden Piraten in der Gasse, da fielen die Fischer und Kapitän Burl Ives über sie her. Die Kerle hatten keine Chance.
Und der Gegner kannte keine Gnade. Erst als die beiden tot am Boden lagen, zeichnete sich eine Spur von Genugtuung auf den Gesichtern der Fischer ab.
„Du weißt nicht, was diese Hunde uns angetan haben“, sagte Domingo zu Burl Ives, während er sich die Sachen des toten Corvo wieder abstreifte, als klebe, die Pest an ihnen.
„Ich kann es mir vorstellen“, erwiderte Burl Ives leise.
Er brauchte nur daran zu denken, was Farah Acton hätte widerfahren können, und schon teilte er den Haß und die Rachsucht der Fischer.
8.
Olivaro kämpfte auf verlorenem Posten. Die Karavelle brannte lichterloh. Das Feuer vernichtete die Segel, die Planken waren heiß. Es knackte und krachte im Schiffsleib. Olivaro wußte, was das bedeutete. Das Schiff sank. Es gab nur noch eine Rettung – in die See springen.
Die Kerle, die noch am Leben waren, hörten nicht mehr auf Olivaros Kommando. Sie stürzten sich ins Wasser und schwammen davon. Zum Ufer. Auch die wenigen Überlebenden der Schaluppen trachteten danach, zurück zur Insel zu gelangen.
Die Schebecke der Seewölfe glitt an der lodernden Karavelle vorbei. Hasard gab seinen Männern das Zeichen, mit dem Schießen aufzuhören. Das Gefecht war entschieden. Sie vergeudeten jetzt nur ihre Munition. Schweigend sahen die Mannen zu, wie die Karavelle zu sinken begann.
Mit haßverzerrter Fratze blickte Olivaro zur Schebecke. Nie würde er das Gesicht dieses Hünen vergessen, der mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck stand. Das war der Kapitän! Ein Lumpenhund, ein vom Teufel besessener Bastard! Was, zur Hölle, hatte ihn bewogen, ausgerechnet die Südküste von Mallorca anzulaufen?
Der Sturm, der Sturm – Olivaro verfluchte den Moment, in dem er sich grinsend und beutegierig die Hände gerieben hatte. Gewiß, er hatte die englische Karavelle „Samanta“ überfallen und ausplündern können. Aber jetzt dies – die totale Niederlage! Nie würde er diese Schmach überwinden! Nie!
Doch es gab noch einen letzten Lichtblick. Die Schatulle! Olivaro hatte sie in der Hütte der Calafurias versteckt. Ein sicheres Plätzchen. Olivaro konnte sich das Geld holen, die Geiseln mitnehmen und zum Inneren der Insel verschwinden. Mallorca war groß. Dort oben, in den Bergen, fanden ihn die Gegner sicherlich nicht.
Er konnte sich mit seinen Gefangenen so lange verstecken, bis die Luft wieder rein war. Dann würde er seinen ursprünglichen Plan zur Durchführung bringen: mit Burl Ives und Farah Acton nach England reisen. Nach allem, was der englische Kapitän ihm berichtet hatte, gab es dort eine Menge Geld zu holen.
Der Feind schien kein großes Interesse daran zu haben, auch noch die letzten Piraten abzuknallen. Olivaro hatte erwartet, daß die Hunde mit Musketen auf die im Wasser Schwimmenden feuern würden. Doch er irrte sich. Die Waffen schwiegen. Nur das Knistern und Knacken der Flammen war noch zu vernehmen. Es klang unheimlich.
Keinen Augenblick räumte Olivaro ein, daß es sich um einen fairen Zug des Gegners handeln könnte. Das Wort Fairneß existierte in seinem Sprachschatz nicht. Er dachte anders. Für den Feind gab es nichts mehr zu holen, also verzichtete er darauf, ein Zielschießen auf die Schiffbrüchigen zu veranstalten.
Olivaro traf seine Entscheidung. Die Karavelle sank. Er wäre ein Narr, noch an Bord zu bleiben und mit ihr unterzugehen. Zum Teufel mit der Karavelle! Was kümmerte sie ihn noch! Er würde sich bald ein besseres Schiff besorgen.
Ohne Guzman und die anderen Toten noch eines Blickes zu würdigen, sprang Olivaro in die Fluten, das Klatschen, das er verursachte, als er eintauchte, ging in dem Prasseln und Knacken der Flammen unter.
Allmählich krängte die Karavelle nach Backbord. Gleichzeitig tauchte ihr Bug ins Wasser. Langsam ging das Schiff auf Tiefe. Es zischte und qualmte, und eine dicke schwarze Wolke stand über dem Schauplatz des Geschehens.
Olivaro tauchte, solange die Luft in seinen Lungen es zuließ. Dann ließ er sich zur Oberfläche tragen, hob den Kopf aus dem Wasser und schöpfte Atem. Eine Woge rollte heran. Er schloß den Mund, um nicht Wasser zu schlucken. Die Welle spülte über ihn hinweg.
Wieder tauchte Olivaro auf, schüttelte den Kopf und holte noch einmal Luft. Dabei blickte er zu der brennenden, sinkenden Karavelle und zu der Schebecke. Er schwor den Gegnern blutige Rache und wünschte ihnen die Pest an den Leib. Voll ohnmächtiger Wut mußte er verfolgen, wie die Karavelle endgültig unterging.
Von Bord der Schebecke ertönte ein Ruf: „Arwenack!“
Olivaro verstand nicht, was das zu bedeuten hatte, und er wußte auch nicht, welcher Sprache sich die Hunde bedienten. Aber eines begriff er. Es handelte sich um den Siegesruf der Bastarde. Als er weiterschwamm, klang das Wort wie Hohn in seinen Ohren: „Arwenack! Ar-we-nack!“
Olivaro hatte seine Mühe, sich durch die Fluten zu arbeiten. Sie zogen und zerrten an seinem Körper. Eine Strömung, die ablandig verlief, setzte ihm stark zu. Immer wieder wollte sie ihn hinaustragen. Alles schien gegen ihn zu sein. Er mußte auch an die Haie denken.
Haie waren in diesem Bereich des Mittelmeeres zwar nicht so häufig anzutreffen wie anderswo. Aber bei Sturm zogen sie oft vom Atlantik durch die Meerenge von Gibraltar herüber. Dann fraßen und zermalmten sie alles, was ihnen zwischen die Zähne geriet.
Olivaro hörte einen Schrei. Nicht weit entfernt – vielleicht zwanzig Yards – riß ein Kerl die Arme hoch. Einer der Kumpane! Olivaro stieß einen Fluch aus. Waren die Haie da?
Der Kerl brüllte „Hilfe!“ und zappelte wie verrückt.
Olivaro dachte nicht daran, ihm Beistand zu leisten. Ihm ging es nur darum, die eigene Haut zu retten, sonst nichts.
Olivaro schwamm weiter. Voll Grausen dachte er daran, daß die Haie auch ihn vielleicht bereits verfolgten. Panik ergriff ihn. Er ging unter, schluckte Wasser, schoß wieder hoch und spuckte das Wasser aus.
Nein, dachte er, paß auf, verlier nicht die Nerven!
Hinter ihm war der Kerl untergegangen. Jetzt fiel es Olivaro wieder ein: der Bursche war ein miserabler Schwimmer. Das mußte der Grund für sein Geschrei sein. Er konnte sich nicht mehr halten. Na, sollte er absaufen! Olivaro konnte auf den Kerl verzichten.
Wild kämpfte Olivaro gegen die Drift an. Endlich gelang es ihm, ihrer Herr zu werden. Er geriet in die Brandung. Die rauschenden Fluten spülten ihn an den Strand. Hier blieb er zunächst auf dem Bauch liegen. Dann kroch er ein Stück weiter, drehte sich auf den Rücken und atmete tief durch.
Gerettet, dachte er, ich lebe!
Plötzlich vernahm er links hinter sich ein Geräusch. Sofort fuhr er hoch und griff nach der letzten Waffe, die ihm geblieben war – sein Messer.
Aus dem Ufergestrüpp schoben sich Gestalten hervor. Drei Kumpane. Sie hatten es ebenfalls geschafft, an Land zu schwimmen. Langsam näherten sie sich ihrem Anführer. Sie blickten finster drein. Einer von ihnen stieß einen üblen Fluch aus.
Die Brandung beförderte eine weitere Gestalt auf den Sand. Der Kerl rappelte sich auf, entdeckte die anderen und lief zu ihnen. Noch ein Überlebender!