Seewölfe Paket 7. Roy Palmer
Seewölfe keine Chance hatten, die auf der „Isabella“ Zurückgebliebenen über ihr Mißgeschick zu unterrichten.
„Mehr als hundert Leute“, sagte der Profos leise. „Möchte wissen, wie die in ein paar Kähnen Platz finden sollen. Absaufen werden wir, alle zusammen, und das gönne ich diesen Satansbraten.“
Der Tiger blieb stehen, ließ seine Männer an sich vorbeidefilieren, bis er sich auf gleicher Höhe mit Hasard und dem Profos befand und nahm den Marsch dann wieder auf.
„Ich habe nicht alles verstanden“, sagte er. „Aber einige Brocken Englisch beherrsche ich doch.“ Wieder bediente er sich seines hervorragenden Spanisch’. „Der Wortsinn dessen, was du eben von dir gegeben hast, ist mir also einigermaßen klar“, sagte er zu Carberry gewandt. „Aber ich kann dich beruhigen. Zwölf Prahos warten auf uns – genug, um uns alle zu befördern.“
„Wer bist du?“ fragte Hasard.
„Das habe ich dir gesagt.“
„Woher stammst du? Was hast du wirklich vor?“
„Kannst du schweigen?“
„Ja.“
„Dann schweig“, sagte der Tiger barsch.
Hasard grinste ihn unverfroren an. „Spätestens in deinem tatsächlichen Versteck erfahre ich alles über dich.“
„Es fragt sich nur, ob du es noch verwerten kannst.“
„Ich will nichts verwerten“, erwiderte Hasard mit jähem Ernst. „Aber wenn du kein Feigling bist, stellst du dich dem Zweikampf mit mir.“
„Das ist das mindeste, was du von mir erwarten kannst“, sagte der malaiische Freibeuter.
Wahrscheinlich hätten sie ihre Unterhaltung noch weitergeführt, wenn sie in diesem Moment nicht auf außergewöhnliche, völlig unerwartete Weise unterbrochen worden wären.
Sie schritten auf einem leicht schlüpfrigen Pfad voran, umgeben von taubedecktem Blattwerk, Zweigen, Wurzeln und Schlingpflanzen, die tückisch als Fußfallen wirkten, wenn sie sehr tief hingen. Der modrige Hauch der Selva schien sich als das gespenstische Murmeln und Wimmern vieler hundert Stimmen zu offenbaren. Unkontrollierbares Leben erfüllte die Schatten der Nacht.
Plötzlich tauchten Schemen links und rechts aus den Büschen auf. Hände griffen nach dem Tiger von Malakka und den vorderen Piraten.
Die Schemen entpuppten sich als vier Gestalten, an die zumindest die eingeborenen Fischer eine deutliche Erinnerung hatten.
7.
Der Teniente Savero de Almenara verfügte ebensowenig über eine Schußwaffe wie seine drei Begleiter – der Feldscher der „Santa Barbara“, der Batak Siabu und der helmlose Soldat. Beim Sturz vom Boot ins Wasser hatte de Almenara seine Pistole eingebüßt, die Pistolen und Musketen der drei anderen waren in Ermangelung trockenen Pulvers und dem Verlust von Bleikugeln unbrauchbar geworden, so daß sie sie weggeworfen hatten.
Der Teniente rückte mit seinem Säbel auf den Tiger von Malakka zu. Der Batak führte noch einen Parang, mit dem er wild um sich hieb. Der Feldscher und der Soldat hatten Entermesser in den Fäusten, in ihren Gurten steckten Messer.
So trachteten sie, einige Piraten samt ihrem Anführer als Geiseln zu nehmen, um sich den ganzen Zug zu unterwerfen. De Almenara und der Batak waren sich einig, daß es möglich war, denn der Tiger von Malakka war ein Mann, auf dessen Kommando alles hörte und den niemand im Interesse einer Befreiung zu opfern wagen würde.
An der kleinen Lichtung unterhalb des Felsenhanges hatten die drei Spanier und der Batak gelauert, nachdem sie Hasards Fackel gefolgt waren. Unbemerkt von beiden Parteien hatten sie gelauscht und einen Plan geschmiedet – dann, beim Aufbruch des Trupps, hatten sie gerade noch Zeit gefunden, allen vorauszueilen und sich in einen Hinterhalt zu legen.
Der Teniente wußte, daß der Feldscher nicht mit dem Vorhaben einverstanden war. Der Feldscher hätte es vorgezogen, die Malaien und die Engländer davonziehen zu lassen, um später dann ungestört der Insel den Rücken kehren zu können.
Doch der Teniente war besessen von seiner Idee. Nie wieder würde sich eine solche Möglichkeit bieten, zwei Feinde mit einem Schlag zu packen: den Tiger von Malakka und den Seewolf! De Almenara hatte genügend Ehrgeiz und Karrierebewußtsein, um sich diese Chance nicht entgehen zu lassen. Trotz seiner Unterlegenheit wollte er es riskieren, und er hatte den Batak und den helmlosen Soldaten mit dem Plan angesteckt.
Der Feldscher hatte sich der Mehrheit beugen müssen.
Unter dem Ansturm der Gegner wirbelte der Tiger von Malakka herum. Er riß seinen Krummsäbel aus dem Leibtuch und stieß einen Kampfschrei aus.
Hasard sah nur eine Möglichkeit, den blitzenden Waffen zu entkommen. Er ließ sich fallen. Mit ihm sanken Carberry und die anderen Seewölfe zu Boden.
Hasard hatte seine Handfesseln bereits zu einem Teil lockern können, ohne daß die Piraten es bemerkt hatten. Jetzt sprengte er sie vollends. Wieder halfen ihm die Kenntnisse weiter, die Sun Lo ihm vermittelt hatte. Wunder konnte man mit dieser Methode nicht vollbringen, es handelte sich im Grunde nur um eine geschicktere Ausnutzung der Körperkräfte, verbunden mit einem ungewöhnlichen Maß an Konzentration und Überwindung der Schmerzempfindlichkeit.
Nur einen Bruchteil seines Gesamtwissens hatte der Abt des Konfuzianer-Klosters auf Formosa an den Seewolf und dessen Männer weitergeben können, aber er wäre sicherlich hocherfreut gewesen, wenn er gesehen hätte, wie erfolgreich sie das Ergebnis des Lehrgangs anzuwenden wußten.
Carberry und die anderen wälzten sich hinter dem Seewolf auf dem feuchten schwarzen Untergrund und stellten ähnliche Bestrebungen an, wobei es allerdings nur dem Profos, Dan und Blacky gelang, sich der Fesseln zu entledigen.
Hasard schwang hoch. Er federte auf den helmlosen Soldaten zu, der im selben Augenblick versuchte, sein Entermesser in die Schulter des Seewolfs zu hauen. Knapp entging Hasard dem mit voller Wucht geführten Schlag, dann packte er den Gegner mit beiden Händen, riß ihn um und balgte sich am Boden mit ihm.
Der Batak Siabu hetzte geduckt an den Kämpfenden vorbei. Er hatte Otonedju entdeckt. Mit einem heiseren Laut warf er sich dem Stammesältesten entgegen. Mit dem Parang wollte er ihm jetzt zurückzahlen, was der ihm zugefügt hatte. Zwar war Siabu an der Schulter verletzt, aber mit der gesunden Hand wußte er das Kurzschwert immer noch ausgezeichnet zu führen.
Er trachtete, Otonedju den Schädel zu spalten. Vielleicht wäre es ihm tatsächlich gelungen. Otonedju stand erschüttert da und war für einen Moment unfähig, Gegenwehr zu leisten, so wenig hatte er mit einem Angriff gerechnet.
Doch Blacky stellte dem Batak ein Bein. Siabu stolperte und taumelte Dan O’Flynn entgegen. Der fackelte nicht lange und riß den rechten Fuß so weit hoch, daß die Spitze des Stiefels Siabu gegen den Hals stieß. Siabu fiel. Dan warf sich ohne zu zögern auf ihn, packte sein Handgelenk und rang mit ihm um den Parang.
Carberry fing den Feldscher ab, bevor dieser auf den Seewolf eindringen konnte, der ihm beim erbitterten Kampf mit dem Soldaten gerade den Rücken zugekehrt hielt.
Zwei Hiebe landete der Profos. Einer traf den Waffenarm des Feldschers, der andere krachte dem Mann gegen die Brust, so daß er in einem fast vollkommenen Rückwärtssalto ins Gebüsch zurückflog.
Hasard lag inzwischen unter dem helmlosen Soldaten und wehrte dessen Entermesser verzweifelt ab. Mit verzerrtem Gesicht versuchte der Spanier, es ihm ins Herz zu treiben. Hasard drückte seinen Arm jedoch unter Aufbietung aller Kräfte zur Seite. Der Soldat rutschte ab, rollte von ihm weg, verkantete dabei das Entermesser – und die scharfe Kante der Klinge traf seinen ungeschützten Halsansatz. Hasards Versuch, ihn vor dem Tod zu bewahren – zu spät.
Betroffen sah der Seewolf, wie die Gestalt des Spaniers reglos wurde. Er hatte ihn bewußtlos schlagen wollen, mehr nicht.
Dan und der Batak wälzten sich unterdessen wie zwei Raubkatzen ineinander verkeilt.