Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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ein hervorragender Mann. Seine Sprüche sind nur die äußere Schale, die er nicht ablegen kann.“

      „Oh, das verstehe ich; andernfalls würde ihn die Crew wohl kaum akzeptieren.“

      „Mit Sicherheit nicht. Denn jeder von ihnen ist so gut wie der Profos selbst.“ Hasard deutete auf den Eingang zu seiner Kammer. „Gehen wir hinunter?“

      „Danke, gern.“ Der Lord Mayor folgte ihm.

      Die Kapitänskammer lag in ungewohnter Helligkeit. Denn dank der späten Jahreszeit fielen die Sonnenstrahlen flach durch die Heckfenster. Das Licht verlieh dem Raum mit seiner Einrichtung aus dunkel gebeiztem Holz besondere Behaglichkeit.

      Auf Hasards Aufforderung nahm der Bürgermeister am Tisch Platz. Der Seewolf nahm eine Karaffe aus seinem Schapp und schenkte zwei Gläser halbvoll. Eins bot er seinem Gast an.

      „Was ist das?“ fragte Cummings und schnupperte.

      „Rum aus der Karibik“, antwortete Hasard, „ein außergewöhnlich guter Tropfen, den die Eingeborenen normalerweise nur für sich selbst brennen. Auf Ihr Wohl, Lord Mayor.“

      „Auf das Ihre, Sir Hasard.“

      Cummings nahm einen vorsichtigen Schluck. Seine Augen weiteten sich, als er das Glas absetzte.

      „Donnerwetter. Das ist wirklich ein handfester Tropfen. Aber ausgezeichnet. Sie haben recht.“

      Hasard setzte sich ihm gegenüber.

      „Ich nehme an, Sie sind nicht nur gekommen, um karibischen Rum zu probieren“, sagte er unumwunden.

      Abbot Cummings wurde ernst.

      „Nein, keineswegs. Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, nach dem gestrigen Vorfall noch einmal ein klärendes Wort mit Ihnen zu sprechen. Vor allem möchte ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Hätte ich die Zusammenhänge gekannt, hätte ich mich niemals zu dieser fatalen Doppel-Einladung hinreißen lassen. Dieser Faux-pas ist mir äußerst peinlich, und ich kann nur hoffen, daß Sie Plymouth trotzdem in guter Erinnerung behalten.“

      Hasard schüttelte energisch den Kopf.

      „Sie haben keinen Grund, sich für irgend etwas zu entschuldigen, Lord Mayor. Die Kontroversen zwischen Admiral Drake und mir sind nicht Ihr Fehler. Im übrigen muß ich genauso hoffen, daß Sie meine Crew und die Ribaults ebenfalls in guter Erinnerung behalten, obwohl sie sich gestern abend einiges geleistet haben, was mir nachträglich die Haare zu Berge stehen läßt.“

      „Die Geschichte in der ‚Bloody Mary‘?“ rief Cummings amüsiert. „Um Himmels willen, wer würde denn so etwas ernst nehmen! Sie wissen doch selbst, zu welcher niederen Kategorie diese Schenke gehört. Außerdem weiß ich, daß Ihre Männer noch immer für jeden Schaden geradegestanden haben. Plymson, dieser alte Gauner, kann sich gewiß nicht beklagen.“

      Hasard wiegte den Kopf auf den Schultern.

      „Nun, ich habe den Männern jedenfalls die Leviten gelesen. Es ging ja nicht um die ‚Bloody Mary‘ allein. Wenn Admiral Drake von der Schlacht in der Mill Bay hört, wird er mir erst recht die Pest an den Hals wünschen. Ich weiß nicht, ob ich es meinen Männern jemals beibringen werde, daß sie sich an Land wie zivilisierte Menschen benehmen.“

      „Weder Sie noch Ihre Leute haben sich irgendwelche Vorwürfe zu machen“, wehrte der Bürgermeister ab. „Die Auseinandersetzung in der Mill Bay haben Drakes Männer schließlich selbst heraufbeschworen. Im Grunde kann der Admiral froh sein, daß es für seine Crew so glimpflich abgegangen ist.“

      „Nun, ich brauche mich vor ihm nicht zu verkriechen“, sagte Hasard gedehnt. „Aber Drake ist kein Mann, der mit offenen Methoden kämpft. Er ist ein Meister der Intrige, und dagegen ist manchmal kein Kraut gewachsen.“

      „Ich weiß“, erwiderte Cummings, „auch deshalb habe ich Sie noch einmal aufgesucht. Nach dem, was ich gestern abend gehört habe und was mir ohnehin bekannt ist, möchte ich Ihnen noch einmal versichern, daß ich voll und ganz auf Ihrer Seite stehe, Sir Hasard. Ich kann in diesem Zusammenhang leider nicht für den gesamten Stadtrat sprechen, denn es gibt Männer, die lieber übervorsichtig sind, als daß sie Partei ergreifen. Wenn Sie aber jemals hier an Land einen Verbündeten brauchen sollten, dann können Sie auf mich zählen. Das ist es, was ich Ihnen ausdrücklich gesagt haben wollte.“

      „Ich danke Ihnen, Lord Mayor“, antwortete der Seewolf. Mehr nicht. Große Worte waren überflüssig, und Cummings war ohnehin kein Mann, der etwas von geschwollenen Reden hielt. Das hatte Hasard schon während des mißglückten Festbanketts gespürt.

      Er wußte es zu schätzen, daß der Bürgermeister der Stadt Plymouth ihm symbolisch die Hand reichte. Vielleicht würde er eines Tages wirklich auf sein Angebot zurückgreifen müssen. Denn es war noch längst nicht abzusehen, wozu Francis Drake, in seiner ohnmächtigen Wut fähig war.

      Hasard konnte noch nicht ahnen, wie nachhaltig sich diese Vermutung schon bald bestätigen sollte.

      Ein unregelmäßiges Wechselspiel von Licht und Schatten begleitete die Kutsche auf ihrem Weg durch die engen Gassen von Plymouth. Das Geräusch der Pferdehufe und der Räder klang hell auf dem Steinpflaster und hallte zwischen den gedrängt gebauten Giebeln der Häuser lange nach.

      Der Kutscher nahm den kürzesten Weg durch die Stadt, denn er wußte, daß der Admiral in höchster Eile war.

      Doch trotz dieser Eile genoß Drake es, die Menschen zu sehen, wie sie stehenblieben, wie sie sich aus den Fenstern beugten und ihm zuwinkten. Jedesmal hob er gönnerhaft die rechte Hand und bewegte sie bedächtig vor und zurück. Seine Müdigkeit war verflogen. Er fühlte sich in jeder Beziehung bestätigt. Sein Ruhm als sieggewohnter Seeheld war ungebrochen. Die Menschen feierten ihn nach wie vor – vielleicht gerade deshalb, weil sie inzwischen wußten, welche Gemeinheiten sich der hirnrissige Bastard Killigrew ihm gegenüber geleistet hatte.

      Aber diese begeisterten Menschen sahen auch, daß er die beiden Jungen bei sich in der Kutsche hatte. Ihre Freundlichkeit konnte folglich nur bedeuten, daß sie tatsächlich glaubten, er brächte Killigrew die Brut zurück.

      Nun, alles würde also in der Weise aufgehen, wie er es geplant hatte. Die Zwillinge würde er zunächst auf die „Revenge“ bringen und dort in der Vorpiek einsperren. Dann konnte man einen Boten zur „Isabella“ schicken und Killigrew herbeizitieren. Welche Forderungen er im einzelnen dem Seewolf gegenüber erheben würde, nun, das wollte der sehr ehrenwerte Admiral erst dann festlegen, wenn er mit Robert Parsons gesprochen hatte. Denn zunächst mußte er einmal wissen, was sich während seiner Abwesenheit in Plymouth zugetragen hatte. Davon würde es abhängen, welche Daumenschrauben er dem Bastard Killigrew anlegte.

      Die Zwillinge waren nach wie vor ruhig und friedlich. Sie schienen begriffen zu haben, daß sie hübsch brav sein mußten, wenn sie nicht den Zorn des Admirals erwecken wollten.

      Er erwiderte die freundlichen Grüße der Bürger, ohne wirklich hinzusehen. Die Ovationen begannen ihm lästig zu werden. Das ewige Zurückwinken wurde ermüdend.

      Der Geruch von Salzwasser und Tang, den eine leichte Brise durch die Gassen fächerte, verstärkte sich.

      Drake fühlte, wie er aufzuleben begann. Das war immer noch seine Welt, der er sich näherte. Die Welt, in der er sich immer noch am besten zurechtfand und in der er nach wie vor der Größte war. Er mußte es nur von Zeit zu Zeit wieder unter Beweis stellen – so wie jetzt. Er fieberte der Ankunft entgegen wie ein Kind. Seine Überlegungen hatten sich auf verschrobene Weise einen Weg zurechtgebastelt, den er selbst für völlig plausibel und gerechtfertigt hielt. Jeden, der ihn richtigerweise als Schnapphahn und gemeinen Kindesentführer bezeichnet hätte, hätte er ohne Umschweife in der Luft zerrissen.

      Die Kutsche erreichte die letzte Gasse, die unmittelbar auf das Kaigelände an der Mill Bay mündete.

      Drake beugte sich vor und spähte am breiten Oberkörper des Kutschers vorbei. Er achtete jetzt nicht mehr auf die Leute, die ihm auch hier zuwinkten. Am Ende der Gasse war bereits der Mastenwald des Hafens zu erkennen.


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