Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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seine Sache nicht allein bewältigen. Aber für einen diesbezüglichen Wortwechsel war jetzt zum Glück keine Zeit.

      Drake ließ sich zufrieden zurücksinken, als die Kutsche den Kai erreichte und nach links abbog.

      Philip wandte den Kopf halb zur Seite. Er hatte ein besseres Blickfeld als sein Bruder.

      Zur Linken glitten die Häuserfassaden der Schiffsausrüster, der Segelmacher und der Hafenschenken vorbei. Auf der anderen Seite gab es Wagen und Karren vor den zu löschenden oder zu beladenden Schiffen. Kleinere Kauffahrer überwiegend, aber auch Fischerboote, die weiter draußen an den Piers lagen. Und überall Menschen, die ihre Arbeit unterbrachen, sich umdrehten und dem Admiral zuwinkten.

      Sir Francis Drake sah nicht, daß es unter den vielen Gesichtern etliche gab, die bei seinem Erscheinen einen spöttischen Zug annahmen. Denn er kannte noch nicht die Geschichte von der Schlacht auf der Mill Bay, die die meisten Leute hier miterlebt oder von anderen gehört hatten.

      Philip Junior hatte das Gefühl, sein Herz vollführte einen Freudenhüpfer, als er am Rand seines Blickfelds plötzlich die schlanken Umrisse eines Schiffes sah, das er fast genauso gut kannte wie die „Isabella“.

      Die „Le Vengeur“!

      Wo das Schiff Jean Ribaults lag, konnte auch die „Isabella“ nicht weit sein. Der kleine Philip spürte, wie die Aufregung in ihm mit Macht anwuchs. Er mußte sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht zappelig zu werden.

      Dann, Sekunden, später, tauchte auch die ranke Galeone auf, die niemand anders als dem Seewolf und seinen Männern gehörte.

      Philip versetzte seinem Bruder einen kaum merklichen Stoß in die Seite.

      Hasard nickte ebenso unmerklich. Er hatte begriffen, und er musterte den Admiral jetzt sehr aufmerksam.

      Sir Francis Drake war mit seinen Gedanken bereits weit voraus. Wieder spähte er angestrengt nach vorn und versuchte offenbar, die „Revenge“ im Dock zu erkennen.

      „Kutscher!“ sagte Drake energisch. „Fahren Sie auf direktem Weg zu meinem Schiff. Egal, was auch passiert. Lassen Sie sich durch nichts und niemanden aufhalten.“

      „Aye, aye, Sir“, antwortete der Mann auf dem Bock.

      Hasard Junior spannte seine Muskeln bis in die letzte Faser, als er unvermittelt die „Le Vengeur“ aus den Augenwinkeln heraus erkannte. Jeden Augenblick mußte es soweit sein. Dann mußten sie den kürzesten Weg zur Galeone ihres Vaters nutzen.

      Jetzt!

      Der Bugspriet war unverwechselbar. Dann der Bug selbst, das Vordeck. Jede Planke war den Zwillingen so vertraut, als hätten sie ihr Leben nirgendwo anders verbracht als auf der „Isabella“.

      Im nächsten Moment war Hasard Junior versucht, einen Triumphschrei auszustoßen.

      Er sah die Männer, die Kisten und Fässer von Frachtwagen abluden. Luke Morgan, Sam Roskill, Bob Grey, Blacky und all die anderen …

      Mit einer beinahe nebensächlich wirkenden Bewegung zog Hasard Junior die Pistole unter dem Hemd hervor und richtete den Lauf auf Sir Francis Drake.

      „Sofort anhalten!“ sagte Hasard Junior mit heller, fast schneidend klingender Stimme. „Anhalten, oder ich puste Ihnen ein Loch in den Bauch, Sie Rübenschwein von einem Admiral!“

      Drake erbleichte. Fassungslos stierte er auf den Jungen, der die schwere Waffe mit beiden Händen halten mußte. Aber wie er die Pistole hielt, das ließ keinen Zweifel daran, daß er auch damit umgehen konnte. Der Hahn des Radschlosses war gespannt, und der nervige kleine Zeigefinger lag halb gekrümmt um den Abzug.

      Erst jetzt begriff Drake den Zusammenhang. Ruckhaft klopfte er mit flachen Händen auf seine Hüftgegend, tastete beinahe verzweifelt und konnte doch nur feststellen, daß es in der Tat seine eigene Waffe war, mit der dieser Knirps ihn bedrohte.

      Aber da war diese Entschlossenheit und die unbändige Wildheit im Gesicht des Jungen, der seinem Vater ebenso ähnelte wie sein Bruder.

      Sir Francis Drake hatte das Gefühl, daß ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Es war diese furchtbare Ernüchterung, schlagartig alle Felle davonschwimmen zu sehen.

      Denn ein Blick in das verbissene Gesicht des Jungen ließ ihn keinen Moment daran zweifeln, daß dieser unverschämte kleine Strolch auch wirklich abdrükken würde.

      Drake begann, um sein Leben zu bangen. Hölle und Teufel, er hatte auf allen sieben Meeren ganze Seestreitmächte bezwungen und dem Teufel lachend in die grinsende Fratze geschaut. Und jetzt sollte es tatsächlich sein, daß er von einem Kind abgeknallt wurde?

      Der Umstand, daß es wieder ein Killigrew war, der ihn zutiefst demütigte, brachte ihn fast zum Wahnsinn.

      All diese Gedanken schossen in rasender Schnelle durch seinen Kopf. Es blieb nur die einzig mögliche Schlußfolgerung.

      „Anhalten“, sagte er mit vibrierender Stimme. Er haßte sich selbst dafür, daß er es aussprechen mußte. „Sofort anhalten, Kutscher.“

      „A – aber Sir, wieso …“

      Philip Junior sprang mit einem Satz auf die Sitzbank und schrie es dem Mann ins Ohr.

      „Hast du nicht gehört, was dein Admiral sagt? Dreh dich um, dann begreifst du es!“

      Der Kutscher zuckte zusammen und befolgte die Aufforderung.

      Er erstarrte vor Schreck.

      Viel zu hart zerrte er an den Zügeln. Mit schrillem, protestierendem Wiehern stieg das Zugpferd auf den Hinterbeinen hoch.

      Die Kutsche stand. Der Mann auf dem Bock wagte nicht, sich zu rühren. Er sah das totenbleiche Gesicht des Admirals und wußte, daß mit dieser Situation nicht zu spaßen war.

      Philip Junior wandte sich mit breitem Feixen wieder dem sehr ehrenwerten Sir Francis Drake zu.

      „Ich denke, wir steigen jetzt aus und unternehmen einen kleinen Spaziergang. Nicht wahr, Hasard?“

      „Das denke ich auch“, sagte Hasard Junior grimmig und stieß dem Admiral die Laufmündung der Pistole in den Bauch.

      Sir Francis Drake erschrak wie unter einem Peitschenhieb.

      „Nein, nicht!“ wimmerte er. „Um Himmels willen, das Ding kann doch losgehen, wenn man sich zu heftig bewegt.“

      „Angst hat er auch noch“, sagte Hasard Junior verächtlich. „Als ob ich nicht mit so einem lächerlichen Pistölchen umgehen könnte!“ Seine beiden braungebrannten Hände, mit denen er die Waffe hielt, straften seine Worte Lügen. Doch ihre Wirkung verfehlten sie nicht. „Los aussteigen, oder es knallt!“

      Drake hob die Hände, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Als der Junge den Pistolenlauf ein Stück zurückzog, kletterte er mit weichen Knien aus der Kutsche und mußte sich festhalten, bevor seine Füße den Boden erreichten.

      Hasard Junior war mit einem Satz hinter ihm und rammte ihm die Mündung der Waffe in den Rücken.

      Drake schrak von neuem zusammen.

      „Vorwärts!“ bellte Philip Junior, der im selben Moment neben ihm auftauchte. „Wir besuchen das Schiff unseres Vaters!“

      Der Admiral hatte das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein. Wie durch einen wallenden Nebelschleier sah er die vielen Gesichter und die spöttischen Augen, die ihn anstarrten. Erst jetzt begriff er, daß dies die größte Niederlage seines Lebens war. Die allerschlimmste Demütigung. Viel schlimmer als alles, was Killigrew Senior ihm zuvor zugefügt hatte.

      „Ich danke Ihnen noch einmal, Lord Mayor“, sagte der Seewolf, während er den Bürgermeister zur Pforte im Schanzkleid begleitete.

      „Nein, nein“, wehrte Cummings ab, „ich habe Ihnen zu danken für Ihren Großmut, Sir Hasard. Sie hätten allen Grund, verärgert zu sein über …“ Mitten im Satz brach er ab und blickte Hasard an.

      Der Seewolf


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