Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
Er rechnet doch nicht damit, daß wir ihm das Ding wegnehmen könnten.“
„Und genau damit hat er sich verrechnet.“ Hasard kicherte von neuem. „Ob die Pistole auch wirklich geladen ist?“
„Natürlich! Glaubst du, so ein Halunke würde mit ungeladener Waffe durch die Gegend zuckeln?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Na also. Wer von uns beiden soll es tun?“
„Ich sitze ihm genau gegenüber“, sagte Hasard, „also werde ich es übernehmen.“
„Bist du sicher, daß du es schaffst?“
„Na hör mal! Das haben wir schließlich gründlich genug gelernt.“
„Aber wir haben lange nicht mehr geübt.“
„Trotzdem. So was kann man gar nicht verlernen. Das weißt du genau.“
„In Ordnung. Ich verlasse mich auf dich. Es würde zu sehr auffallen, wenn wir die Plätze wechseln, obwohl ich es lieber selbst übernehmen würde.“
„Fängst du schon wieder an zu spinnen!“ fauchte Hasard. „Langsam geht mir das gegen den Strich, daß du neuerdings meinst, du bist der Bessere in allen Dingen.“
Dem Admiral platzte der Kragen.
„Ruhe jetzt!“ sagte er konsterniert. „Schluß mit diesem albernen Palaver. Ich will dieses lächerliche Kauderwelsch nicht mehr hören. Habt ihr mich verstanden, oder muß ich böse werden?“
„Ja, Sir – äh, nein, Sir“, antworteten Philip und Hasard artig und wie aus einem Mund.
Sir Francis Drake lehnte sich zurück und nickte grimmig. Auf die Idee, den Inhalt des Kauderwelsch-Gesprächs zu erforschen, kam er nicht. Dazu waren seine Gedanken, die er über seinen Erzfeind Killigrew anstellte, viel zu wichtig.
Die Zwillinge schwiegen gehorsam, und Admiral Drake hatte ausreichend Gelegenheit, ungestört seinen wohlgefälligen Überlegungen nachzugehen. Die Monotonie der Geräusche und das Schaukeln der Kutsche ließen ihn abermals schläfrig werden. Doch er blieb wach, seiner Überzeugung nach wach genug, um die Killigrew-Brut unter Kontrolle zu halten.
Schon nach einer halben Stunde hatte er das unverständliche Palaver der Zwillinge bereits völlig vergessen.
Ein jäher Ruck ging durch die Kutsche, als das rechte Hinterrad in ein tiefes Schlagloch knallte.
Hasard Junior wurde von seinem Sitz hochgeschleudert. Während Philip sich mit Mühe noch festhalten konnte, verlor sein Zwillingsbruder den Halt und fiel dem Admiral unfreiwillig in die Arme.
Drake schüttelte sich, fluchte und befreite sich von der Umarmung des Killigrew-Sprößlings.
Hasard Junior rappelte sich unbeholfen auf und schob sich zurück auf seinen ursprünglichen Platz.
„Verzeihung, Sir“, sagte er artig und schlug den Blick nieder.
„Paß das nächste Mal besser auf“, knurrte Drake und faltete mit einer unwilligen Gebärde erneut die Hände über dem Bauch.
Philip und Hasard saßen von nun an wieder schweigend und stocksteif auf ihren Plätzen. Die kunstvoll ziselierte Radschloß-Pistole, die Hasard unter seinem weiten Hemd verborgen hatte, fiel nicht auf. Und Philip war beruhigt. Sein Bruder hatte den Trick nicht schlechter bewerkstelligt, als er selbst es gekonnt hätte.
Diese Taschenspielereien hatten sie bei den Gauklern bis zum Erbrechen geübt. Damals waren sie in der Lage gewesen, einem Mann den Ohrring abzuziehen, ohne daß er es bemerkte.
Und es funktionierte noch immer.
Jetzt brauchten sie nur noch auf den richtigen Moment zu warten.
8.
Die Männer schufteten im Schweiße ihres Angesichts.
Am Kai und auf der Kuhl der „Isabella“ herrschte hektische Betriebsamkeit. Eine stattliche Reihe von Frachtwagen war vorgefahren, mit Kisten und Fässern beladen. Die Seewölfe würden noch mindestens zwei Stunden zu tun haben, bis sämtliche Vorräte an Proviant, Trinkwasser und Munition an Bord gemannt waren.
In dem Gewühl war es wieder Edwin Carberry, der die Männer mit seinen gewohnt liebevollen Bemerkungen auf Trab hielt. Der Profos hatte sich am Backbord-Schanzkleid aufgebaut, zum Kai hin, und hielt ein wachsames Auge darauf, daß die Kette der Männer nicht abriß. Mit Kisten oder Fässern auf dem gebeugten Rücken keuchten sie an Bord, während die anderen bereits wieder an Land trabten. Die, die für die Arbeit in den Laderäumen der Galeone eingeteilt waren, fanden ebenfalls keine ruhige Minute.
„Schlaft nicht ein, ihr Rübenschweine!“ brüllte Carberry. „Oder glaubt ihr Stinte, ihr hättet gestern abend so viel geleistet, daß ihr jetzt die Hände in den Schoß legen könnt, was, wie? Wer saufen und prügeln kann, der kann auch arbeiten! Bildet euch bloß nichts auf gestern abend ein, ihr lausigen Kakerlaken! In einer Stunde will ich die Laderaumschotten dicht sehen! Ist das klar?“
Natürlich antwortete niemand. Denn erstens waren die Männer viel zu sehr beschäftigt, und zweitens wußten sie, daß der Profos ohnehin keine Antwort erwartete.
Carberry hielt nur einen Moment inne, um Atem zu holen. Dann fuhr er fort, obwohl die Männer ihr Bestes gaben und ein noch schnelleres Arbeitstempo unmöglich war. Aber er bildete sich ein, daß sie seine Kommentare einfach brauchten. Es mußte für sie wie eine liebgewonnene Geräuschkulisse sein, ohne die sie sich einfach unwohl fühlten.
„Zum Teufel, rede ich denn gegen eine Wand? Selbst ein halbverhungerter Hering würde das noch schneller schaffen als ihr! Es dauert nicht mehr lange, und ich ziehe euch tatsächlich die Haut in Streifen von euren Affenärschen!“
Er wurde unterbrochen, denn Sir John, der karmesinrote Ara-Papagei, ließ sich im Sturzflug vom Großmars fallen, bremste seinen Fall mit weit ausgebreiteten Flügeln und landete flatternd auf der breiten Schulter des Profos. Dort wiegte er sich aufgeregt von einer Seite zur anderen und stimmte ein durchdringendes Gezeter an.
„Rübenschweine! Affenärsche! Rübenschweine! Kakerlaken! Rübenschweine! Stinte! Rüben …“
Edwin Carberry packte den Vogel mit einem schnellen Griff und stopfte ihn unter sein Hemd. Sir John zeterte weiter, undeutlicher und gedämpft jetzt.
„Hm“, sagte Carberry grimmig. Mehr fiel ihm im Augenblick nicht ein, denn die Männer grinsten breit, obwohl ihnen der Schweiß in Strömen über die Gesichter rann.
Aus dem Großmars ertönte ein helles Keckern, das nach Meinung des Profos überaus spöttisch klang. Arwenack, der Schimpanse, hielt dort oben die Stellung, die er vor einer Weile gemeinsam mit Sir John bezogen hatte.
Edwin Carberry hatte das Gefühl, daß sich mal wieder alle über ihn lustig machten. Fehlten nur noch die Sprößlinge des Seewolfs mit ihren hinterlistigen Schlingeleien. Es konnte gar nicht mehr lange dauern, bis die beiden mit ihren Hummeln im Hintern wieder an Bord herumquirlen würden. Der Profos seufzte bei diesem Gedanken. Schwere Zeiten standen ihm bevor.
Auch drüben im Dock der „Revenge“ wurde hart gearbeitet. Hammerschläge und das Kreischen von Sägen hallten weit über die Mill Bay und ihre Piers. Die Blicke, die aus dem Dock von Zeit zu Zeit zur „Isabella“ und zur „Le Vengeur“ geworfen wurden, waren finster. Aber an Bord der Galeone und der Zweimast-Karacke gab es niemanden, der sich um diese Blicke kümmerte.
„Ich habe den Eindruck, als ob es auf Ihrem Schiff niemals langweilig wird, Sir Hasard“, sagte Lord Mayor Abbot Cummings, der mit dem Seewolf vor dem Niedergang zur Kapitänskammer stehengeblieben war. Cummings beobachtete schmunzelnd den Profos, der von neuem sein Donnergebrüll anstimmte und sein unerschöpfliches Repertoire an Kraftausdrücken noch einmal von vorn herunterbetete.
Hasard nickte lächelnd.
„Wenn wir den Profos und sein Gebrüll nicht