Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
sie Ärger wollen, können Sie ihn haben“, sagte Hasard. „Ich an ihrer Stelle würde mich zwar schleunigst zurückziehen, aber falls sie unbedingt die Helden spielen wollen – bitte sehr, von mir aus kann es losgehen.“
4.
Luis Benavente kauerte im Bug der Jolle. Er hatte bei der Suche nach Florinda auf Lampen verzichtet, um dem Mädchen nicht zu verraten, wo das Boot sich befand – und diese Methode hatte sich als richtig erwiesen. Mit bloßem Auge hatte der Waffenmeister der „Gran Duque de Almeria“ die Schwimmerin nach einigem Umherspähen in den Fluten entdeckt.
Er hatte die sieben Männer auf den Bootsduchten angefeuert, schneller zu pullen, und dann hatten sie es geschafft: Sie waren bei Florinda angelangt, ehe sie ihrer richtig gewahr wurde.
Benavente hatte versucht, ihr ein Tau über die Schultern zu werfen. Er hatte sein Ziel getroffen, aber Florinda war trotz ihres Schreckens geistesgegenwärtig genug gewesen, das Tau wieder abzustreifen.
Die Jolle war näher an sie herangeglitten. Benavente hatte die Hände nach ihr ausgestreckt, hatte ihre Haare gepackt und daran gezerrt. Florinda hatte jenen Schrei ausgestoßen, der bis zur „Gran Duque“ und zur „Isabella“ hin zu hören gewesen war.
Dann hatte Luis Benavente getrachtet, den Kopf des Mädchens unter Wasser zu drücken. Ja, er hatte sie wie eine Katze ersäufen wollen. Mit Leichtigkeit hätte er es später so hingestellt, daß es aussah, als habe sie erbitterten Widerstand geleistet und habe dabei den kürzeren gezogen.
Aber wieder hatte er sich verkalkuliert. Florinda hatte ihn in die Hand gebissen. Sie hatte sich losgerissen, war getaucht, von der Jolle weggeschwommen – und ehe der Waffenmeister an eine neue Verfolgung denken konnte, hatte einer der Rudergasten entsetzt ausgestoßen: „Luis, Luis – da ist was, das auf uns zusteuert!“
Fast im selben Moment hatte der Ausguck der „Gran Duque“ seinen gellenden Warnruf ausgestoßen.
Luis Benavente fuhr herum. Er mußte sich mit beiden Händen am Dollbord festhalten, um vor Schreck nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Nur schwach waren die Konturen des heranrauschenden Schiffes in der Finsternis dieser Nacht zu erkennen, und doch wirkten sie so wuchtig und drohend, daß dem durchtriebenen Waffenmeister das Herz wahrhaft in die Hosen sank. Ein Gespenst schien dieses große Schiff zu sein, ein Monstrum unter den Wolkentürmen, unwirklich und gleichzeitig doch so erschreckend real.
„Eine Galeone“, stammelte Benavente. „Santissima Madre, und was für ein Kahn! Al diablo, wer in aller Welt ist denn das bloß?“
„Er führt keine Hecklaternen“, stieß einer der Rudergasten aus.
„Das ist ein Spukschiff!“ rief ein anderer.
Der Mann, der die Ruderpinne der Jolle bediente, schrie: „Dios, er will uns rammen! Wir müssen hier weg, Leute, nichts wie weg! So pullt doch!“
„Ausweichen“, drängte nun auch Benavente. „Nach Steuerbord! Noch können wir es schaffen!“
Die Männer arbeiteten wie besessen mit den Riemen, und der Mann auf der achteren Ducht drückte die Pinne ganz herum. Die Jolle nahm wieder Fahrt auf, schwenkte nach Westen und floh vor der nahenden Galeone wie eine Maus vor dem Elefanten.
Der Schattenriß des Schiffes mit den überhohen Masten wuchs und wuchs, und dann schob es sich so hart am Bootsheck vorbei, daß Luis Benavente und seine Leute dachten, es würde sie doch noch zermalmen. Nie war dem Waffenmeister ein größerer Schreck durch die Glieder gefahren. Er spürte, wie seine Knie bebten, und fühlte, daß ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand.
Die Galeone verfügte über niedrige Aufbauten. Sie war ein eleganter Schnellsegler, wie der Spanier in diesem Moment konstatierte. Die Rohre von Culverinen lugten aus den offenen acht Stückpforten der Steuerbordseite, ihre Mündungen schienen die Männer in der Jolle höhnisch anzugähnen.
Kein Mensch zeigte sich am Schanzkleid des Dreimasters, es schien wirklich ein Geisterschiff zu sein.
Benavente fühlte sich von unbändiger Wut gepackt. Er bückte sich, hob eine Muskete auf, die er mitgenommen hatte, richtete sich zu seiner vollen Größe im Bootsbug auf und legte, nachdem er den Hahn des Steinschlosses energisch gespannt hatte, auf die Galeone an.
„Will doch mal sehen, ob ich dem Spuk nicht ein Ende bereite“, stieß er wild hervor.
Er hatte entdeckt, daß die Galeone über ein Ruderhaus verfügte. Gespenster oder nicht – von irgend jemandem mußte dieses Schiff der Hölle ja gesteuert werden. Benavente zielte auf das Ruderhaus und versuchte, aus der schwankenden Jolle heraus einen einigermaßen guten Schuß anzubringen.
Langsam krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug der Muskete. Die Galeone glitt vorbei. Benavente zog seine Waffe nach rechts und visierte einen imaginären Punkt ein Stück vor dem Ruderhaus an, um die Fahrtbewegung auszugleichen. Im nächsten Moment drückte er ab.
Der Rückstoß der Muskete fiel wegen einer kräftigen Pulverladung in ihrem Lauf heftig aus, fast warf er Benavente aus der Jolle. Der Waffenmeister wankte und fluchte, konnte sich fangen und griff zur nächsten Muskete, die unter den Duchten lag, um einen zweiten Schuß auf das Schiff abzufeuern.
Im Krachen der Muskete hatten zwei Rudergasten auch zu ihren Waffen gegriffen. Benaventes Beispiel folgend, richteten sie sich ebenfalls auf und legten auf die Galeone an, die sich jetzt anschickte, ihnen das Heck zuzudrehen. Sie hielten keine Musketen, sondern kurzläufige Blunderbüchsen mit trichterförmig erweiterten Mündungen. Auf die geringe Distanz konnten sie auch damit noch recht viel ausrichten.
„Feuer!“ schrie Benavente. „Auf was wartet ihr Idioten denn noch?“
Sie drückten ab. Das Krachen der Büchsen erfolgte fast gleichzeitig. Gehacktes Blei und Eisen prasselten in den Spiegel des unbekannten Schiffes.
Benavente wollte seine zweite Muskete zum Einsatz bringen, hielt aber jäh inne, weil etwas Längliches, Unförmiges vom Achterdeck der Galeone zu ihnen herüberwirbelte. Ein Geschoß? Nein, es konnte keins sein, denn es hatte ja keinen Geschützdonner und keinen Feuerblitz gegeben. Außerdem beschrieb keine Kanonenkugel dieser Welt eine so seltsame, quirlige Flugbahn.
Aber – täuschte sich Luis Benavente, oder knisterte an diesem unerkennbaren Objekt so etwas wie eine Lunte? Sprühten da nicht winzige Funken, zischte da nicht etwas auf ganz bedenkliche Weise?
Der Waffenmeister war so überrascht, daß er nichts unternahm, bis das „Objekt“ dicht neben der Jolle in die See klatschte. Ganz steif stand er da. Als jedoch der „Gegenstand“ im Wasser verschwunden war, lockerte sich seine Haltung. Er lachte auf und traf Anstalten, nun doch noch auf die davonsegelnde Galeone zu schießen.
Dazu kam er jedoch nicht mehr, denn plötzlich bebte die See. Sie bäumte sich ausgerechnet unter der Jolle auf – und nur dort, wie Benavente und seine Kameraden etwas später feststellten. Ein immens großer Pilz schien aus dem Meer zu wachsen. Auf seinem Buckel schaukelte die Jolle.
Die Spanier schrien auf.
Das Beiboot krängte und kippte um. Der Mann von der Heckducht war der erste, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen ins Wasser stürzte. Es folgten Benavente und dann die sechs Rudergasten. Fluchend und prustend landeten sie in den Fluten – und sie konnten noch froh sein, daß sie nicht von ihrem eigenen Boot erschlagen wurden.
Das knallte nämlich nah bei ihnen in die See zurück. Benavente hätte sich nur drei, vier Fuß weiter südlich zu befinden brauchen, er wäre durch das Dollbord der Jolle getötet worden. Es hätte ihm glatt das Genick gebrochen. Die Jolle lag jetzt kieloben im Wasser, die Explosion hatte sie hochgeschleudert und herumgedreht.
Luis Benavente schwamm zum Boot und klammerte sich daran fest. Er blickte zu der Galeone, deren Konturen jetzt wieder von der Nacht geschluckt wurden, spuckte einen Schwall Salzwasser aus und stotterte: „Bei – bei allen Heiligen – was war das? Was haben die mit uns – mit uns gemacht?“
Keiner seiner