Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
hatte eigentlich nur zu reden, wenn er was gefragt wurde, so lautete eins der ungeschriebenen Bordgesetze. Es galt auch für die Söhne des Seewolfs, denn von jetzt an wurden sie nicht besser und nicht schlechter als jeder Moses behandelt, und es war schon eine große Ausnahme, wenn ihr Vater sie zum Ausschauhalten mit auf die Back nahm.
„Langsam werde ich auch neugierig“, sagte der Seewolf. „Wir können ohnehin nicht mehr in Luv an dem Don vorbeisegeln, wir müßten kreuzen, um es zu schaffen, und würden dabei nur Zeit verlieren. Nein, wir passieren ihn in Lee, und bei dieser Gelegenheit inspizieren wir ihn genau.“
„Ich glaube nicht, daß er uns schon entdeckt hat“, sagte Dan. „Wir haben unsere Hecklaterne rechtzeitig genug gelöscht. Wir können uns heimlich und unbemerkt an ihn heranpirschen.“
„Ob der einen Schatz hebt?“ fragte sein Vater.
„Das wäre ein Grund für uns, ihn noch genauer in Augenschein zu nehmen“, erwiderte Hasard grinsend.
„Vielleicht ist ihm auch jemand über Bord gegangen“, meinte Dan.
„Was, bei der ruhigen See?“ wunderte sich der Alte.
„Ich meine, der Betreffende könnte ja auch freiwillig gejumpt sein“, er widerte Dan. „Vielleicht ein Meuterer, der zu den Azoren türmen will …“
„Hört sich sehr vage und versponnen an“, sagte Old O’Flynn. „Also, warten wir lieber ab, bis wir näher heran sind.“
Etwas später hatte die „Isabella“ die spanische Galeone Steuerbord voraus von sich liegen und schickte sich an, mit mäßiger, ruhiger Fahrt auf kaum mehr als eine Meile Distanz an ihr vorbeizusegeln.
„Jede Einzelheit kann man jetzt im Bereich der Hecklaterne erkennen“, stellte Dan O’Flynn fest. „Ich sehe da zum Beispiel einen Mann mit Perükke, der seiner Kluft nach nichts anderes als ein echter spanischer Capitán sein kann. Ich habe mich also nicht getäuscht. Fragt sich nur noch, wie das Schiff heißt. Aber das kriegen wir sicher auch noch heraus. Die Aufschrift an seinem Heck kann ich aber doch nicht entziffern …“
„Ist nicht so wichtig“, sagte der Seewolf. „Sicher ist, daß wir keinen Kriegssegler, sondern einen Kauffahrteifahrer vor uns haben, der obendrein nicht mal sonderlich gut armiert ist. Ich halte es für ein ziemlich großes Wagnis von diesem Capitán, mit den paar Kanonen in See zu gehen. Das sind ja nicht mehr als acht Stück.“
„An Mut scheint es ihm nicht zu fehlen“, meinte der alte O’Flynn. „Sicher handelt es sich um einen privaten Eigner, der im Auftrag der spanischen Krone, jedoch auf eigene Gefahr die Überfahrt in die Neue Welt angetreten hat oder gerade von dort zurückkehrt. Anderenfalls würde das Schiff garantiert im Konvoi segeln.“
Dan grinste. „Vergiß nicht, daß auch die berühmte Manila-Galeone bis vor kurzem mutterseelenallein gesegelt ist, Dad. Wer weiß, was für ein Schatzschiff wir da vor uns haben.“
„Ach, hör doch mit dem Quatsch auf“, fuhr der Alte ihn an. „Die ‚Nao de China‘ ist ganz was anderes. Ich sage euch, wir haben keinen Grund, uns mit dem Schiff dort näher zu befassen. Schätze hat der nicht an Bord.“
„Dan“, sagte der Seewolf. „Was mich besonders interessiert, sind die Beiboote. Hatte der Don nicht zwei abgefiert?“
„Ja, das hatte er. Eins kann ich unweit von seinem Heck sehen, aber das andere scheint spurlos verschwunden zu sein.“
„Nehmen wir mal an, es ist in südlicher Richtung gepullt worden, auf die Azoren zu“, sagte Hasard: „Dann könnte es sich doch bereits Backbord von uns befinden, oder?“
„Klar, wenn die Kerls wie die Teufel gepullt haben“, erklärte Old O’Flynn.
Dan hatte seinen Kieker nach links geschwenkt und spähte mit verkniffener Miene durch die Optik. Er bewegte das Rohr kaum merklich hin und her, hielt dann aber plötzlich inne und sagte: „Da ist tatsächlich was – eine Jolle. Die Burschen, die auf ihren Duchten sitzen, pullen, als gelte es, einen Preis zu gewinnen.“
Hasard trat neben ihn und hob ebenfalls sein Spektiv ans Auge. Er blickte in die gleiche Richtung wie Dan, sichtete das Boot der spanischen Galeone mit schätzungsweise sieben; acht Männern darin – und vernahm wie alle anderen Männer der „Isabella“ in diesem Moment einen Schrei.
„Mann“, sagte Old O’Flynn. „Die Dämonen der See sollen mich holen, wenn das nicht der Ruf einer Frau war.“
In der Jolle begannen die Spanier zu fluchen und zu gestikulieren. Hasard und Dan verfolgten ziemlich deutlich, wie nur noch einige von ihnen weiterpullten, während die anderen sich über das Dollbord der Backbordseite beugten.
„Eine Frau im Wasser“, stieß der Seewolf verblüfft und entsetzt zugleich aus. „Die Dons machen Jagd auf sie. Aus welchem Grund auch immer, wir dürfen ihr unsere Hilfe nicht versagen.“
„Dan“, sagte Old O’Flynn. „Zur Hölle, kannst du denn nicht sehen, wo sie schwimmt?“
„Nein.“
„Egal“, sagte der Seewolf. Er wandte sich ab und schritt nach achtern. An der Schmuckbalustrade, die zur Kuhl wies, hielt er.
„Ed“, sagte er. „Sofort abfallen und Kurs Süden nehmen.“
„Aye, Sir, Kurs Süden“, raunte der Profos. Jawohl, er raunte – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten. Er drehte sich zur Crew hin um und zischte: „Schrickt weg die Schoten, ihr Affenärsche, bewegt euch, ihr lahmen Hunde, haltet ab, und zwar dalli, oder es gibt Dampf.“
„Wir fliegen ja schon“, wisperte Jeff Bowie grinsend.
Gemeinsam mit den anderen Männern der Deckswache eilte er zu den Brassen und Schoten. Als die Crew begann, die Stellung der Rahen zu verändern, ließ Rudergänger Pete Ballie das Ruderrad unter seinen schwieligen Fäusten wirbeln. Die „Isabella“ drehte nach Süden ab und legte sich vor den Wind und glitt – einem drohenden, gigantischen Schemenwesen gleich – auf das Beiboot des Spaniers.
Natürlich war auch der Rest der Crew, der eigentlich in den Kojen hätte liegen sollen, auf den Beinen. An diese Männer gab der Profos nun weiter, was Hasard ihm durch einen Wink zu verstehen gegeben hatte:
„Klar Schiff zum Gefecht! Kommt in Fahrt, ihr Kanalratten, willig, willig, hoch mit den Stückpforten und ’raus mit den Geschützen! Hölle, was seid ihr doch für eine Bande von Faulenzern!“ Er flüsterte immer noch, verspürte jetzt aber den unbändigen Drang, in der üblichen Lautstärke loszubrüllen.
Auf dem Achterdeck winkte Ben Brighton Pete Ballie zu, daß der gewünschte Kurs erreicht sei. Dann blickte er zu Ferris Tucker und raunte: „He, Ferris, klar bei Flaschenbomben!“
„Längst klar“, sagte der Rothaarige mit breitem Lächeln. Er wies auf die Batterie Flaschen, die er vorsichtshalber schon bereitgelegt hatte. Sie waren alle mit Pulver, Blei, Eisen und Glas gefüllt, und in einem Kupferbecken glühte die Holzkohle, mit der Ferris im Ernstfall die Lunten zünden würde.
Von der spanischen Galeone hallte jetzt ein gellender Schrei herüber. Dan und Hasard, die wieder das am weitesten nach Süden versetzt liegende Boot des Dreimasters durch die Kieker beobachteten, sahen deutlich, wie in der Jolle Unruhe entstand. Auch von dort wurde jetzt gerufen.
„Sie haben uns also entdeckt“, sagte der Seewolf. „Ich bin gespannt, wie sie darauf reagieren. Schön, ich bin bereit, mich mit ihnen zu schlagen, denn ich will jetzt wissen, was es mit der Frau oder dem Mädchen auf sich hat.“
Hinter seinem Rücken ertönte das Rumpeln, das beim Ausrennen der Culverinen durch das Rollen der Hartholzräder auf den Planken entstand. Die Männer arbeiteten hart, schnell und konzentriert, jeder Griff, hundertmal geübt, saß.
Auch Philip und Hasard, die Zwillinge, beteiligten sich auf die Order ihres Vaters hin an den Gefechtsvorbereitungen. Sie streuten Sand auf der Kuhl aus und nahmen vom Kutscher Kübel und Pützen mit Seewasser entgegen, die sie an jedem der sechzehn 17-Pfünder zum