Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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anders allerdings, als Hasard es sich vorgestellt hatte.

      „Sir!“ rief Gary. „Land voraus! Da muß eine größere Insel im Süden vor uns liegen. Verdammt, ich will eine Woche lang das Oberdeck schrubben, wenn das eine Täuschung ist!“

      Hasard hatte keinen Grund, an den Worten von Gary Andrews zu zweifeln. Er wandte sich sofort an Carberry und sagte: „Ed, anluven! Wir sehen zu, daß wir nach Westen ablaufen und nicht auf eine Untiefe, möglicherweise ein Riff, brummen.“

      „Aye, Sir“, sagte der Profos. Dann scheuchte er die Crew mit seinen üblichen Sprüchen über die Kuhl.

      Pete Ballie wollte wahrhaftig wieder das Ruder übernehmen, aber Hasard verbot es ihm. Während Dan O’Flynn wieder über die Kuhl zur Back lief und seinen Posten dort einnahm, bediente sein Vater das Ruder.

      Der Alte schaute mit faunischem Grinsen zum Seewolf hinüber und meinte: „Na bitte, ich habe ja doch mal wieder recht gehabt. Wir rauschen geradewegs mitten zwischen die Azoren-Inseln, wenn wir nicht höllisch achtgeben. Ho, um welche Insel mag es sich da wohl handeln?“

      „Das ist mit ziemlicher Sicherheit Sao Miguel“, erwiderte Hasard. „Für uns ist es unerfreulich, daß wir gegen unsere eigentliche Absicht bis hierher befördert worden sind, aber die Frau oder das Mädchen, die von den Spaniern gehetzt wird, wird froh sein, sich auf die Insel retten zu können.“

      „Und dort?“ fragte Ben Brighton. „Was blüht ihr dort?“

      „Das weiß keiner“, erwiderte Hasard. „Drücken wir ihr die Daumen, daß sie mit heiler Haut davonkommt.“

      5.

      Immer dann, wenn Florinda Martinez Barrero aus den Fluten hochtauchte, konnte sie zu ihrer Rechten die große Galeone mit den langen Masten segeln sehen. Sie wußte nicht, was sie von dem Erscheinen dieses unheimlich und rätselhaft wirkenden Dreimasters halten sollte, aber eins war ihr klar: Sie hatte es diesem Schiff und dessen Besatzung zu verdanken, daß Benavente und die sieben anderen Männer sie nicht weiter verfolgt hatten.

      Die Explosion hatte unter Wasser eine Druckwelle entwickelt, die auch Florinda erreicht und sie geschüttelt hatte. Wie sich die Dinge im einzelnen abgespielt hatten, war von dem Mädchen nicht beobachtet worden, weil sie nur daran gedacht hatte, so weit wie möglich von der Jolle fortzutauchen. Aber sie hatte immerhin registriert, daß das Boot jetzt kieloben im Wasser lag und Luis Benavente und die anderen baden gegangen waren. Unzweifelhaft war dies auf eine Aktion der Männer der unbekannten Galeone zurückzuführen. Schüsse waren gefallen. Pulver mußte gezündet worden sein, wie sonst hatte die Explosion erfolgen können? Warum aber hatte die fremde Galeone die Männer der „Gran Duque de Almeria“ überhaupt angegriffen?

      Fragen über Fragen, auf die Florinda keine Antwort wußte. Sie holte tief Luft und tauchte erneut, und als sie wieder den Kopf über die Wasseroberfläche hinausschob, stellte sie fest, daß die fremde Galeone den Kurs geändert hatte.

      Sie wandte ihr jetzt das Heck zu und segelte davon.

      Florinda war derart in die Betrachtung der Galeone vertieft, daß sie die Nähe der Insel erst bemerkte, als sie mit den Füßen auf Grund stieß. Erstaunt wandte sie den Kopf, blickte nach Süden – und sah das Ufer vor sich. Die Höhenzüge, die sich sanft gewellt über diese Insel schoben, nahmen sich deutlich genug gegen den düsteren Nachthimmel aus. Irgendwo mußte etwas Mondlicht durch die Wolken dringen, außerdem hatten sich Florindas Augen derart an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie auf eine gewisse Distanz Einzelheiten ihrer Umgebung erkennen konnte.

      Vor Freude wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Lange hätte sie das Schwimmen nicht mehr durchgehalten. In ihren Lungenflügeln hatten bereits schmerzhafte Stiche gebohrt, und ihre Arme und Beine hatten erste Ermüdungserscheinungen gezeigt.

      Jetzt brauchte sie nichts weiter zu tun, als zu waten. Sie geriet auf eine der Insel vorgelagerte Sandbank und kroch darüber, um sich nicht zu hoch aufzurichten und womöglich ihren Verfolgern zu zeigen.

      Der sandige Grund fiel wieder etwas ab. Florinda arbeitete sich noch einmal durch tieferes Wasser voran, gelangte dann wieder auf eine sanfte Steigung und erreichte schließlich die rauschende, gischtende Brandung, deren Wellen um ihre Waden schäumten.

      Florinda schlich an Land und schlüpfte in das Dickicht einer nicht weit entfernt liegenden Uferböschung. Hier setzte sie sich hin, verschnaufte und dachte über ihre Lage nach.

      Andrés!

      Vielleicht ist er mir doch gefolgt, vielleicht ist er gleich ins Wasser gesprungen, als er geweckt wurde und hörte, was mit mir geschah. Er hat mir nicht beistehen können, weil er zu weit von mir entfernt war, dachte sie, aber er schafft es auch bis zu dieser Insel und geht in diesem Moment vielleicht irgendwoanders an Land. Bald treffen wir uns …

      Erst jetzt fiel ihr ein, was ihr Andrés einmal über die Tiburónes, die gefürchteten Haie, erzählt hatte. Sie war diesen gefährlichen Jägern der See entgangen. Sie hatte Glück gehabt und war von ihnen nicht angegriffen worden. Oder schliefen die Haie bei Nacht?

      Sie wußte es nicht. Sie betete inständig darum, daß auch Andrés soviel Glück haben möge wie sie.

      Sie blickte an sich nieder. Ihres grobleinenen Rockes hatte sie sich im Wasser entledigen müssen, um beim Schwimmen nicht behindert zu werden. Natürlich hatte sie ihn nicht bergen und sich etwa um die Hüfte knoten können – dazu war bei ihrer überstürzten Flucht weiß der Himmel nicht die Zeit gewesen.

      So saß sie praktisch nur mit ihrer durchnäßten Unterwäsche da, abgesehen von der weißleinenen Bluse, die ihr wie eine zweite Haut am Leib klebte. Ihre Beine waren nackt, ungeschützt, den Blicken eventueller Beobachter preisgegeben.

      Plötzlich schämte sie sich. Aber das war nicht das Schlimmste. Auch die Angst stellte sich wieder ein. Scheu schaute sie sich nach allen Seiten um.

      Beobachter – gab es die hier? War die Insel etwa bewohnt? Und wenn nicht, gab es doch sicherlich wilde Tiere, die sie bedrohen oder sie angreifen konnten.

      Sie wollte nicht zittern, aber es war übermächtig in ihr. Mit einemmal bebte sie am ganzen Leib, fröstelte und schlug mit den Zähnen aufeinander, obwohl es eine verhältnismäßig warme Nacht in einer milden Klimazone war, die der Andalusiens vergleichbar war.

      Existierten auf dieser Insel Raubkatzen? Luchse? Panther? Oder vielleicht sogar Wölfe? Selbst wenn sie hier nicht lebten, gab es doch sicherlich alle jenen scheußlichen Kreaturen, die Florinda so sehr fürchtete: Schlangen, giftige Spinnen, Skorpione, alle möglichen Arten von Echsen, vermutlich sogar Alligatoren.

      Sie sprang auf, als wäre sie gebissen worden. Wieder hielt sie Umschau, bemerkte aber nichts Verdächtiges, Erschreckendes. Trotzdem hielt sie nichts mehr in dem Dikkicht. Verstört setzte sie ihren Weg ins Inselinnere fort. Sie drang immer tiefer in den Urwald ein und hoffte, bald die Hügel zu erreichen. Sie wollte nach einer Höhle suchen, in der sie unterkriechen konnte, oder nach einer übersichtlichen Anhöhe, von dessen höchstem Punkt aus sie überblicken konnte, ob sich ihr etwas näherte.

      Andrés, wo bist du nur? dachte sie immer wieder.

      Sie hätte am Strand entlanglaufen können, um nach ihm zu suchen, aber sie fürchtete sich davor, es zu tun, weil sie Angst hatte, wieder mit den Männern der „Gran Duque de Almeria“ zusammenzutreffen. Lieber versteckte sie sich und wartete zunächst einmal das Morgengrauen ab.

      Würde Kapitän Don José Manuel Ramos seine Männer auf der Insel landen lassen, um weiter nach ihr zu fahnden? Würde er wirklich soweit gehen?

      Oder segelte er mit seinem Schiff weiter?

      Aber wenn Andrés die Flucht von der Galeone nicht geglückt war, wenn er sich noch an Bord befand, vielleicht in Gefangenschaft, weil er ihr hatte helfen wollen und sich so verraten hatte – sah sie ihn dann vielleicht niemals wieder?

      Florinda schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte und ließ ihren Tränen freien Lauf.

      Die


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