Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
und grinsten teuflisch.
Er blickte immer wieder zu den anderen Hütten hinüber, um festzustellen, ob an einer vielleicht die bärtigen Elfen herumtobten. Er achtete auch auf feuerrote Punkte in der Dunkelheit, aber zum Glück sah er keine, was natürlich nicht hieß, daß es hier keine gab. Möglicherweise hielten sie die Augen ja gerade geschlossen.
Jung Hasards flüsternde Stimme riß ihn aus seinen geisterlichen Betrachtungen.
„Geht zur anderen Seite der Plattform hinüber“, sagte er. „Philip und ich holen inzwischen ein Kanu. Gleich drüben bei der nächsten Hütte liegt eins.“
Die beiden Junioren fackelten nicht lange. Während die Männer zur anderen Seite hinübergingen, glitten sie lautlos ins Wasser. Dann begannen sie zu schwimmen, ebenfalls sehr ruhig und ohne sonderliche Hast.
Das Wasser war warm und erfrischte kaum. Sie dachten auch daran, daß es hier sicher Krokodile gab. Das war zwar nicht angenehm, ließ aber trotzdem keine Angst in ihnen aufsteigen. Während sie zu der nächsten Pfahlhütte schwammen, blickten sie aufmerksam voraus. Niemand war zu sehen, in den Hütten bewegte sich auch nichts.
Nach einer Weile hatten sie die Hütte erreicht. Sie war auf hohen Stelzen gebaut und befand sich hoch über ihren Köpfen. Von oben aus konnten sie jetzt nicht mehr gesehen werden.
Gleichzeitig erreichten sie das Kanu. Daneben hingen noch zwei weitere, lose angebunden mit dicken Lianen.
„Wir nehmen das große“, sagte Hasard leise. „Sieh mal nach, wie viele Paddel darin sind.“
„Vier“, sagte Philip, als er das Kanu abgetastet hatte.
„Dann bleib hier, ich hole noch zwei aus dem anderen.“
Er hangelte sich zu dem kleinen Kanu, tastete hinein und „lieh“ sich zwei weitere Paddel aus, die er lautlos ins große Kanu legte.
Inzwischen löste Philip die Liane, mit der das Kanu an einem der Stämme vertäut war.
„Wir ziehen es hinter uns her“, raunte er, „hier geht eine ganz leichte Strömung.“
Einmal war ein Mondstrahl zu sehen, der einen silbrigen Reflex auf das Wasser warf. In diesem Augenblick sah alles unwirklich und geisterhaft aus. Doch der Mondstrahl verschwand gleich wieder. Erneut wurde der Himmel von dunklen Wolken verdeckt.
Sie zogen das große Kanu an der Liane hinter sich her, bis sie ihre Hütte erreichten. Dort banden sie es neben der Plattform fest.
Es wurde kaum gesprochen. Das wollte man sich für später aufheben, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst die Wolfshündin verhielt sich mäuschenstill. Sir John hockte bei Carberry auf der Schulter und döste vor sich hin.
Einer nach dem anderen stieg in das Kanu und nahm Platz. Zwei Minuten später befand sich die gesamte Crew an Bord, einschließlich der beiden Tiere.
„Wir brauchen nicht zu paddeln“, flüsterte Hasard junior, „wenigstens vorerst nicht. Eine ganz sanfte Strömung treibt uns.“
„Schon gemerkt“, sagte Carberry, „wir lassen uns so lange treiben, bis die Hütten nicht mehr zu sehen sind.“
Die Strömung trug sie jedoch nur sehr langsam fort. Der Profos wurde schon ungeduldig, aber er beherrschte sich. Immer wieder hielten sie Ausschau, doch offenbar hatten die Indianer nichts bemerkt, was den Profos zu einem hinterhältigen Grinsen veranlaßte.
„Die Knaben werden sich wundern, wenn sie morgen in leere Fleischtöpfe gucken“, sagte er grinsend. „Da haben sie dann nur ihre Mohrrüben und Sellerie drin und ein bißchen Wasser. Ich verstehe nicht, daß diese ausgekochten Naturburschen nichts gemerkt haben.“
Der Kutscher räusperte sich, sagte dann aber doch nichts.
„Du willst doch sicher etwas sagen“, murmelte Carberry. „Freu dich lieber, daß wir die Kerle überlistet haben.“
„Es ist mir nicht ganz geheuer“, sagte der Kutscher schließlich. „Das ging mir alles viel zu glatt. Ich habe ständig das Gefühl, von hundert unsichtbaren Augen belauert zu werden.“
„Dann hätten sie längst etwas unternommen. Greift jetzt zu den Paddeln, Männer, damit wir diese Runde hinter uns bringen.“
Mit den sechs Paddeln ging es jetzt rascher. Als der Profos sich einmal umdrehte, waren die Pfahlbauten der Arawak-Indianer in der Dunkelheit verschwunden.
Sie grinsten vor sich hin. Bald hatten sie es geschafft.
3.
Immer noch war der Himmel von schnelljagenden Wolken bedeckt. Um sie herum waren undefinierbare Geräusche. Da kreischte und sägte es, da war ein leises Pfeifen oder ein Jaulen zu hören.
Der Kutscher nahm an, daß es sich um Indianer handelte, die sich über Tierlaute verständigten. Old O’Flynn hielt die Geräusche für die geheimnisvollen Laute der Chickcharnies, die irgendwo durchs Geäst turnten, um sie mit ihren Tönen zu erschrecken. Der Profos fühlte sich auch nicht ganz wohl, dachte aber nicht mehr an Indianer. Aber etwas anderes beunruhigte ihn augenblicklich, und das sagte er auch.
„Verflixt, daß wir ausgerechnet heute nichts sehen können, ist schon mehr als übel. Wir können nicht einmal die Richtung bestimmen. Ich sehe nur pechschwarzes Wasser und ein paar Schatten. Wie war das denn nur, als uns die Kerle in das Dorf brachten?“
„Da haben wir auch nicht viel mehr gesehen“, sagte der Kutscher. „Mir fehlt die Orientierung ebenfalls. Ich weiß nur, daß ich von der ‚Empress‘ aus den Creek gesehen habe, den ich als Peilpunkt gewählt hatte.“
„Das weiß ich auch noch“, brummte Carberry. „An Backbord war es eine kleine Insel, auf der ein knorriger Baum stand, der so aussah, als hätte ihn ein Blitzschlag gespalten. An Steuerbord an der Südküste war es ein Creek, der sich in das Fahrwasser ergoß. In dem Peilpunkt saßen wir fest.“
„Sitzen wir noch immer fest, nehme ich jedenfalls an“, korrigierte der Kutscher. „In diesen Creek haben uns die Kanus gebracht, und da ging es mit kräftigem Paddelschlag aufwärts. Doch dann begann ein Gewirr von Flußläufen, und da haben wir den Überblick verloren.“
Niemand wußte genau, wo sie sich befanden. Alles war fremd, dunkel oder schwarz und geheimnisvoll.
Etwas später gab der Profos sich allerdings sehr gelassen.
„Navigieren wir frei nach Schnauze weiter“, meinte er. „Uns kann gar nichts passieren, denn schließlich fließt jeder Bach auch einmal ins Meer. Sogar kleine Flußläufe pflegen das zu tun. Sind wir aber erst einmal im Meer, dann sieht alles ganz anders aus.“
„Das ist richtig“, sagte Martin. „Einmal müssen uns die Flußläufe irgendwo abladen, und das kann am Meer sein.“
Die Luft war immer noch schwül und stickig. Aus der Dunkelheit schwirrten winzige Stechmücken heran, die ihnen hart zusetzten. Unter dem großen Kanu gluckerte leise das schwarze Wasser, während über ihnen der Himmel noch schwärzer und die Wolkenbänke noch dicker wurden.
Sie kannten das schon. Gleich würde wieder ein Platzregen niedergehen.
Sie starrten in die Dunkelheit, paddelten weiter und unterhielten sich dabei. Sie trieben auf dem Creek dahin und lauschten den vielfältigen Geräuschen des nächtlichen Dschungels.
Dann kam der Regen. Er kündigte sich mit einem leisen, fast klagenden Singen an. Gleich darauf begann es zu rauschen.
Riesige Tropfen klatschten nieder. Aus den Tropfen wurde ein Guß, der ihnen fast den Atem nahm und sie völlig durchnäßte. Sir John schrumpfte immer mehr auf Carberrys Schulter zusammen. Der große Aracanga hockte da wie ein nasser Sperling.
Der Vorhang aus Regen war so dicht, daß sie nicht einmal mehr die Umrisse ihrer Gestalten erkennen konnten. Aber der Regenschauer war kühl und wirkte ungemein erfrischend.
Als