Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


Скачать книгу
orientiere mich nach meinem Hunger, da weiß ich ganz genau, was anliegt. Und der ist mittlerweile sehr mächtig.“

      „Bei der stickigen Hitze ist es gar nicht gut, viel zu essen. Das ermüdet nur schneller.“

      Carberry holte tief Luft. Er wollte dem Kutscher gerade mal kräftig seine Meinung sagen, doch da unterbrach ihn Sven.

      „Da vorn wird es jetzt ganz breit.“

      Der Bach beschrieb einen kleinen Knick, und dann wurde es wirklich ganz breit dahinter. Der Profos nahm das Paddel und knallte es gereizt aufs Wasser.

      „Mist, verfluchter!“ rief er.

      Wieder stob ein Schwarm Flamingos hoch. Kreischend und schnatternd flogen sie aufgestört davon.

      „Das ist doch wieder derselbe Saftladen“, sagte Carberry verärgert. „Und da paddelt man wie ein Beknackter.“

      „Nein, das ist nicht derselbe See, der hier ist viel kleiner“, sagte Martin, „aber letztlich doch nur ein See. Hier geht es nicht mehr weiter, wir müssen wohl oder übel zurück.“

      Sie blickten sich um, zornig, verärgert oder wütend, weil sie wieder in einem stehenden Gewässer gelandet waren. Das übliche Bild bot sich ihren Blicken. Der See war von dichtem Tropenwald begrenzt. Riesige Schwärme von Moskitos tanzten am südlichen Ufer auf und ab. Dann folgte der sandige Teil mit Mangroven und vermodernden anderen Pflanzen, dann der verfilzte Dschungel.

      Hoch über ihnen flogen die aufgescheuchten Flamingos in einer rosafarbenen Wolke davon. Da, wo sie ihre Kolonie hatten, war alles mit weißen Exkrementen überzogen. Außerdem war der See so flach, daß man ihn überqueren konnte und nicht einmal nasse Knie kriegte.

      Jetzt stieß auch der Kutscher tief und seufzend die Luft aus.

      „Das bügelt einen ganz schön“, sagte er heiser. „Demnach scheint es ja doch nicht zu stimmen, daß alle Flüsse ins Meer fließen. Diese hier tun es jedenfalls nicht, die gehorchen anderen Gesetzen.“

      „Das sind auch keine Flüsse, das sind Pißrinnen für Flamingos“, wetterte der Profos. Er sah sich hilfesuchend um und schüttelte den Kopf darüber, daß sie so völlig die Orientierung verloren hatten.

      Nur Old O’Flynn wuchs noch einmal zu heroischer Größe auf.

      „Die Insel des Heiligen Geistes“, verkündete er mit Grabesstimme. „Kein Wunder, daß wir nicht mehr herausfinden. Die Chickcharnies haben uns an der Nase herumgeführt.“

      „Genau“, sagte Carberry hinterhältig. „Ich habe vorhin zwei gesehen, wollte dich aber nicht erschrecken, weil sie neben dir aus dem Wasser blinzelten. Eine der Elfen hatte ein Tüllgardine auf dem Schädel und knallrote Augen. Die andere hat dir die Zunge rausgestreckt und eine lange Nase gemacht.“

      Da schwieg Donegal erst einmal gründlich und rückte etwas näher zur Mitte hin. Die Worte hatten ihn mächtig eingeschüchtert. Vor diesen unheimlichen Chickcharnies hatte er mächtigen Bammel. Hockten hier als Kobolde im Wasser und streckten ihm die Zunge raus. Unbehaglich rieb er sich das Genick.

      „Wieder zurück“, sagte Carberry erbittert. „In dem anderen Stinksee gab es sicher noch mehr Nebenarme, die wir übersehen haben. Wenn wir aus dieser Pißrinne heraus sind, markieren wir ihren Anfang, damit uns dasselbe nicht noch einmal passiert.“

      „Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als den gesamten See genau abzusuchen“, meinte Martin. „So, wie es aussieht, werden wir uns wohl noch ein paarmal verfranzen, bevor wir den Creek finden, der zur North Bight führt.“

      „Und was essen wir inzwischen?“

      „Kannst ja mal bei den angeblichen Kannibalen nachfragen“, sagte der Kutscher mit süß-saurer Stimme. „Vielleicht haben sie irgendwo noch einen geräucherten Missionar rumhängen. Wenn wir dageblieben und nicht getürmt wären, hätte sich jetzt bestimmt alles aufgeklärt. Wir hätten etwas zu essen und zu trinken erhalten und vielleicht ein paar neue Freunde gewonnen.“

      Der Profos begann ungeniert aus vollem Hals zu lachen. Aber es war ein grimmiges Lachen.

      „Das ist nicht die Insel des Heiligen Geistes“, sagte er, „das ist die Insel der Heiligen Einfalt, und du bist der Heilige Pinsel, wenn du immer noch an den Stuß von den Freunden glaubst die uns umhegt und umsorgt hätten. Einen Scheiß hätten die! Du würdest jetzt nicht mal mehr mit der Nase aus dem Kessel rausgucken, und deine Haut würde jetzt wahrscheinlich in Streifen am nächsten Baum zum Trocknen hängen und so.“

      „Und was, bitte, sollten die Indianer mit Menschenhäuten anfangen, falls die Frage gestattet ist?“

      Es sah wieder einmal nach einem Nahkampf zwischen Kutscher und Carberry aus, weil der eine hartnäckig das leugnete, wovon der andere restlos überzeugt war.

      „Weiß ich nicht. Vielleicht gibt das Sehnen für ihre Bogen. Oder sie hängen ihre Wäsche daran auf.“

      „Du hast ja sehr merkwürdige Ansichten.“

      „Du auch!“ schnappte Carberry. „Du freust dich offenbar noch darüber, wenn du den Kerlen als Futter dienen kannst.“

      Sven, Nils und Martin hieben die Paddel ins Wasser. Alle grinsten, auch die Zwillinge, aber jetzt war keine Zeit, um sich gegenseitig anzustänkern. Sie mußten hier heraus, so schnell wie möglich, denn hier konnten sie verhungern oder verdursten, obwohl letzteres der häufigen Regenfälle wegen ziemlich unwahrscheinlich war.

      Es ging wieder denselben Weg zurück, bis sie nach einer Ewigkeit erneut in dem größeren See waren.

      Kaum hatten sie denkleinen Nebenarm verlassen, da flogen wieder ganze Scharen von rosaroten Flamingos auf. Nur ein paar von ihnen blieben auf ihren Schlammnestern hocken, um ihre Eier auszubrüten. Die anderen flogen als riesige Wolke davon.

      „Paddeln wir mal zu den Mangroven hinüber“, schlug der Kutscher vor. „Da scheint es nochmals einen Creek zu geben.“

      Im See, der glatt und still vor ihnen lag, spiegelten sich die Wolken. Genau wie am Himmel zogen sie dahin. Die Mangroven, Dickichte, Palmen und Bäume spiegelten sich in allen Farben im Wasser.

      Dicht vor dem Schlamm der Mangroven brummte das Kanu sanft auf.

      „Auch das noch!“ fluchte der Profos. Er sah den Kutscher an, der angelegentlich und ungerührt die seltsamen Pflanzen betrachtete.

      „Mangroven sind sozusagen Selbstmörder-Pflanzen“, dozierte er, „obwohl sie Pioniere der Landgewinnung sind. Sie gedeihen vorzüglich in den Übergangszonen zwischen Land und Salzwasser. Seht nur, wie sich in ihren Wurzeln der Schlick fängt. Andere Blätter werden herübergeweht, fallen dazwischen und vermodern. Gleichzeitig fügen sie Nährstoffe hinzu, bis fruchtbarer Boden entsteht. Diese Keimlinge da fallen ab und bohren sich wie ein Speer in den Untergrund. Das geschieht immer direkt vor den alten Pflanzen.“

      „Und das nennst du Selbstmörder-Pflanzen?“ fragte Carberry.

      „Ja, letztendlich bringen sie sich selbst um. Manche Sämlinge fallen auch ins Wasser, treiben davon und streifen so lange über den Boden, bis sie hängenbleiben. Kurze Zeit später wurzeln sie und bilden wenig später eine neue Kolonie. Damit beginnt gleichzeitig der erneute Landgewinnungsprozeß.“

      „Wie fein“, höhnte Carberry. „Und was haben wir davon, wenn wir das jetzt wissen?“

      Der Kutscher, ein feinsinniger Mann, der immer sehr genau überlegte, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

      „Wir haben auch etwas davon. Diese Mangroven also sammeln so lange Boden an, bis sie in der Trockenheit und Höhe gefangen sind, denn dann fehlt ihnen das lebensnotwendige Wasser. Sie sterben wieder ab, und andere Sträucher und Pflanzen nehmen ihren Platz ein. Ist doch ganz interessant, oder?“

      Der Profos riß die Klappe auf und gähnte demonstrativ, um auszudrücken, wie sehr ihn das alles faszinierte.

      „Sehr interessant, um damit die Zeit zu vertrödeln“, sagte er.


Скачать книгу