Seewölfe Paket 24. Roy Palmer
Zeit standen alle gefesselt an den Bäumen.
Drei Indianer wandten sich jetzt der Wolfshündin Plymmie zu, welche die Zähne fletschte und bedrohlich knurrte. Die Indianer zögerten, denn sobald sie näher herantraten, drang aus der Kehle der Wolfshündin ein gefährliches Knurren, und sie zeigte ihr scharfes Gebiß.
„Hau ab, Plymmie, verschwinde!“ rief Hasard junior. „Los, los, verzieh dich!“
Einer der Arawaks hob den Bogen und spannte ihn. Da verschwand die Hündin mit ein paar langen Sätzen im Gestrüpp. Ein Rascheln, nochmals ein heiseres Knurren, dann war sie verschwunden.
Die Zwillinge atmeten auf, denn es hatte ganz so ausgesehen, als wollte der Indianer sie töten. Jetzt ließ er den Bogen sinken, als Coanabo zwei Worte ausstieß.
„Das hat sie ja kapiert“, sagte Philip erleichtert.
Niemand unternahm Anstalten, der Hündin zu folgen.
Über Carberry war ein leiser Flügelschlag zu hören. Sir John hatte seinen Standort gewechselt und flog ins Geäst des Baumes, an den der Profos gefesselt war. Dort blickte der Papagei mit schiefgeneigtem Kopf hinunter und stieß schnalzende Laute aus.
Die Indianer schenkten ihm keine Beachtung, was der Profos ebenfalls mit einem erleichterten Aufatmen zur Kenntnis nahm.
„Immer schön folgsam bleiben“, höhnte er biestig, „dann tun sie uns auch nichts.“
Er kam einfach nicht darüber hinweg, daß sie ihn wie einen Hund angebunden hatten und er sich nicht einmal zur Wehr setzen konnte. Aus den Augenwinkeln hielt er Ausschau nach den Fleischtöpfen und Kochkesseln, aber er sah keine. Die haben sie vielleicht in den Hütten, dachte er, wo immer wieder hungrige Gesichter auftauchten und die Szenerie am Strand beäugten.
„Das hätten wir uns alles ersparen können“, sagte der Kutscher ungehalten. „Wenn man auf mich gehört hätte, wäre das alles nicht passiert. Jetzt, da wir geflüchtet sind und wieder eingefangen wurden, sind die Indianer natürlich sauer.“
„Ich bin auch sauer“, sagte der Profos. „Wir haben lediglich noch eine Galgenfrist. Wenn es nach dir gegangen wäre, dann hätten uns diese Kerle schon am frühen Morgen massakriert.“
„Deshalb riet ich ja auch, den Sonnenaufgang zu genießen“, bemerkte der Kutscher verärgert. „Man weiß leider nie, wann es der letzte sein wird.“
Carberry warf einen Blick auf Old O’Flynn, der gefesselt am Baum stand und ein wüstes Grinsen im Gesicht hatte. Sieht so aus, als habe der Alte etwas vor, dachte er, doch das war bloßes Wunschdenken. Old Donegal konnte überhaupt nichts unternehmen.
„Was grinst du denn so dämlich?“ fragte Carberry. „Dir haben wir doch den ganzen Mist zu verdanken. Du hast das alles vermurkst.“
„Ha!“ tönte der Alte grimmig. „Das ist alles halb so schlimm. Heute nacht werde ich wieder mein Stilett aus dem Holzbein zaubern.“
„Und dann?“
„Dann befreie ich euch. Wir schnappen uns ein Kanu und türmen erneut damit.“
„Sehr lustig“, meinte Carberry, „aber das haben wir schon mal versucht, falls du dich erinnerst. Das kannst du dir aus deinem Querkopf schlagen. Die Kerle haben uns im Nu wieder eingefangen.“
„Nicht, wenn ich das in die Hand nehme“, versicherte Old Donegal. „Wir werden türmen, aber wir nehmen eine Geisel mit. Außerdem versenken wir die anderen Kanus. Und diese Geisel wird uns gefälligst zur ‚Empress‘ lotsen, sonst werden diese räudigen Bastarde mich mal von einer recht üblen Seite kennenlernen.“
„Dann haben wir ja noch mindestens zwölf Stunden Zeit“, sagte Carberry höhnisch. „Jetzt ist erst Mittag, und bis deine Befreiungsaktion anläuft, sind wir verhungert.“
„Ich krieg’ das schon hin, auch wenn ich gefesselt bin.“
Das hörte sich zwar gut an, überlegte Ed, aber es würde wahrscheinlich nicht viel einbringen, denn in dieser Nacht würde man sie sicher scharf bewachen, und da konnten sie jeden Gedanken an Flucht gleich aufgeben.
Der Häuptling ließ sich Zeit er schien überhaupt keine Eile zu haben, denn erst jetzt landete er mit seinem Kanu auf dem Strand. Noch sechs andere Arawaks waren bei ihm – Unterhäuptlinge offenbar, wie der Kutscher annahm, denn sie waren anders herausgeputzt als die Indianer mit den Bogen.
Coanabo musterte die Gefesselten. Er sah in grimmige Gesichter, wandte sich dann ab und hockte sich mit den Unterhäuptlingen etwas abseits von den Gefangenen auf den Boden.
Ein ziemlich lautes und erregtes Palaver begann. Coanabo blickte starr über den See und hörte zu. Hin und wieder nickte er zustimmend.
Der Kutscher beobachtete alles sehr aufmerksam und gespannt. Ihm fiel auf, daß einer der Unterhäuptlinge sehr erregt war und ständig auf das Kanu deutete, mit dem sie geflohen waren. Offenbar gehörte es ihm, und er war sehr empört, daß man es entwendet hatte.
„Der soll sich bloß nicht ins Hemd kacken wegen seines alten Torfkahns“, flüsterte Carberry. „Der tut ja geradeso, als hätten wir eine ganze Kriegsgaleone geklaut.“
„Das dürfte hier ungefähr das gleiche bedeuten“, sagte der Kutscher. „Sie sind jedenfalls sehr ungehalten.“
„Ich auch“, sagte der Profos trocken. „Die Hundesöhne nicken alle so eifrig. Die Stimmung ist unverkennbar feindlich. Die Kerle können es gar nicht erwarten, uns abzuschlachten.“
„Nun mal langsam. Ihre Erregung ist verständlich. Ein Kanu bedeutet hier anscheinend eine ganze Menge und ist ein persönlicher Besitz, an dem man sich nicht vergreifen darf.“
Der Kutscher wollte noch etwas sagen, doch Coanabo erhob sich, sah die Gefangenen der Reihe nach an und trat dann vor den überraschten Old Donegal, den er genau musterte.
Er deutete auf sich und sagte: „Häuptling Coanabo. Ihr Spanier?“
Old Donegal runzelte verblüfft die Stirn, denn der Häuptling hatte einwandfreies Spanisch gesprochen. Er war so verdattert, daß er eine Weile mit der Antwort brauchte.
Doch der Kutscher kam ihm schnell zuvor.
„Nein, wir sind keine Spanier“, sagte er ebenfalls auf spanisch. „Wir sind Engländer und Feinde der Spanier.“
Coanabo sah den Kutscher lange und nachdenklich an. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf.
„Was ist Engländer? Ihr seid Spanier, denn ihr sprecht Spanisch, und so müßt ihr Spanier sein.“
Für Coanabo waren das durchaus logische Gedankengänge. Dieser schmalbrüstige Mann sprach Spanisch, also mußte er auch ein Spanier sein.
„Das stimmt nicht“, sagte der Kutscher ruhig. „Wir sind wirklich keine Spanier, aber wenn man einen Feind bekämpft, dann muß man unter anderem auch seine Sprache beherrschen und sprechen. Nur so kann man ihn besser bekämpfen.“
Der Häuptling sagte nichts, er musterte den Kutscher nur schweigend, der gleich ein weiteres Argument zur Hand hatte.
„Du sprichst auch die Sprache der Spanier, Häuptling Coanabo. Und trotzdem bist du kein Spanier.“
Coanabo wurde unschlüssig. Er krauste die Stirn und nickte unentschlossen. Was dieser Mann sagte, das stimmte. Er sprach Spanisch und war kein Spanier, und das behauptete dieser schmalbrüstige Mann ebenfalls von sich und den anderen. Sehr merkwürdig war das.
Während er die anderen ansah, erklang von den Pfahlhütten im See ein Ruf. Drei, vier Indianer standen auf der Plattform einer Hütte und deuteten auf den Creek. Coanabo drehte sich um. Die „Empress“-Leute wandten ebenfalls die Köpfe und blickten in die Richtung.
Dort wurde gerade ein Kanu herangepaddelt, besetzt mit acht Indianern. Einer stand aufrecht im Boot und winkte.
Der Häuptling drehte sich um und rief etwas über das Wasser. Daraufhin änderte das