Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


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nach dem anderen trat an die Kiste und legte Messer, Schere, Säge oder Skalpell sehr behutsam hinein. Auch der Kerl mit den Salbentöpfen hatte es verdammt eilig, Töpfe und Pinzetten loszuwerden.

      Der letzte, der das Verbandszeug in den Pranken hielt, überschlug sich fast vor Eifer. Auch er packte alles fein säuberlich und sehr vorsichtig hinein und schloß sogar noch den Deckel der Kiste.

      „Zufrieden?“ fragte der Häuptling knapp.

      „Sehr zufrieden“, erwiderte der Kutscher höflich. In seine Mundwinkel hatte sich ein Grinsen eingegraben, aber das sahen nur die, die ihn ganz genau kannten. Die Indianer bemerkten es nicht.

      „Dann sieh dir jetzt den Jungen an.“

      Diesmal klingt der Ton schon anders, dachte der Kutscher. Das waren fast die lieblichen Klänge von Schalmeien, es klang auch mehr bittend und nicht mehr so fordernd.

      „Du bist ein weiser Mann, Coanabo“, sagte der Kutscher noch. „Auf dieser Basis werden wir uns sicher gut verständigen.“

      Dem Profos gingen ob solcher Töne fast die Haare aus. Am liebsten hätte er sie sich gerauft, doch auch das war unmöglich.

      Verdammt, dem Kutscher müßte man direkt einen Orden verleihen, dachte er, der hat wirklich einen verdient. Vielleicht den Orden vom großen Medizinmann mit der übergroßen Klappe, der demnächst noch hier im Urwald regieren würde.

      Der Kutscher hätte jedenfalls seine Grenzen genau abgesteckt und war eiskalt dabei geblieben. Beklommen dachten die anderen, daß es auch anders hätte laufen können.

      Jetzt beugte sich der Kutscher mitleidig zu dem kleinen Jungen hinunter, legte ihm freundlich die Hand auf die schmale Schulter und sah ihn an.

      Das Kerlchen stand bibbernd vor ihm, als es berührt wurde. Es hatte zwar keine Angst aber die Berührung durch den fremden, so ganz andersfarbigen Mann machte ihn doch beklommen.

      Der Kutscher blieb ruhig und redete auf den Kleinen ein, obwohl der kein Wort verstand. Darauf kam es aber auch nicht an – seine Stimme allein wirkte beruhigend.

      Das Kerlchen hörte auf zu bibbern und sah den Kutscher aus großen, fiebrig wirkenden Augen an. Der Kutscher ahnte bereits etwas, als er das verquollene Gesicht sah.

      Durch Gesten bedeutete er dem Kleinen, den Mund zu öffnen, wobei er eine Hand liebevoll auf den fiebrigen Kopf legte.

      Ja, der Kleine hatte Fieber, auch fiebrige, glanzlose und matt scheinende Augen, die wie verschleiert wirkten.

      Dann öffnete er vorsichtig den Mund, und der Kutscher drückte ihm ebenso vorsichtig die Zunge nach unten. Dann sah er in den Rachen.

      Heiliger Himmel, dachte er. Das kleine Kerlchen hatte einen eitrigen Abszeß im Hals. Da war alles dick, verquollen, entzündet. Kein Wunder, daß der Junge ständig wimmerte. Er konnte auch nicht mehr essen und kaum noch schlucken. Selbst das Trinken mußte für ihn eine Qual sein.

      Er dachte im Bruchteil einer Sekunde an seine Zeit bei Doc Freemont in England zurück. Sehr lange war er nicht mehr mit einem eitrigen Abszeß im Rachenraum konfrontiert worden. Etliche Jahre lag das schon zurück. Aber er wußte noch genau, was in diesem Fall getan werden mußte. Aufstechen, den Eiter abfließen lassen, sonst erstickte das arme Kerlchen bald.

      „Was ist los?“ fragte Old O’Flynn neugierig. „Was hat er?“

      „Einen eitrigen Abszeß im Hals“, erklärte der Kutscher gelassen. „Da hilft alles nichts – ich muß schneiden.“

      Old O’Flynn wurde sichtlich blaß und rang nach Fassung. Er spürte, daß ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch.

      „Himmel, wenn das nur gutgeht“, murmelte er beklommen. „Wenn nicht, dann läßt uns der Kerl die Köpfe absäbeln.“

      „Damit rechne ich auch. Es muß eben gutgehen. Du kannst mir ja den Daumen halten.“

      „Sicher, sicher“, versprach Old O’Flynn, „alles, was du willst. Bau bloß keinen Mist, Kutscher.“

      „Verschlimmert wird die Sache dadurch, daß der Kleine ein Enkelchen vom Häuptling ist“, sagte der Kutscher lässig. „Das zählt natürlich gleich zehnfach.“

      Old O’Flynn begann noch mehr zu bibbern. Teufel, Teufel auch, dachte er, da hatten sie sich ja was Feines eingebrockt.

      Laß den alten Rutschensauser nur ein bißchen zittern, überlegte der Kutscher. Schließlich hatten sie das alles seiner Dösigkeit zu verdanken.

      Der Kutscher drehte sich zu Coanabo um, zeigte in den Hals des Jungen und erklärte ihm kühl und lässig, was ihm fehlte.

      „Ist das sehr schlimm?“ fragte der Häuptling.

      „Sehr schlimm“, bestätigte der Kutscher. „Und dazu brauche ich die Instrumente, mit denen die Kerle herumgespielt haben. Du siehst also, daß so etwas über Leben und Tod entscheiden kann. Daher war meine Wut auch berechtigt.“

      „Kannst du ihn heilen?“

      „Ich werde es versuchen. Natürlich ist das sehr kompliziert. Ich frage mich nur, warum euer Medizinmann das nicht tut. Oder habt ihr etwa keinen?“

      Der Kutscher registrierte kühl, daß Coanabo etwas verlegen wurde.

      „Er hat es versucht, aber es ist nicht besser geworden. Außerdem ist der Medizinmann zur Zeit selbst sehr krank.“

      „Aha“, sagte der Kutscher höflich. Der Kerl wollte nur nicht zugeben, daß er nicht helfen konnte, und so spielte er vorsichtshalber den kranken Mann.

      „Da ist noch etwas“, meinte der Kutscher so nebenbei. „Eine Hilfe ist die andere wert, wie man so schön sagt. Da es ein äußerst komplizierter Fall ist, verlange ich, daß meine Kameraden befreit werden, wenn es mir gelingt, den Kleinen zu heilen.“

      „Deine Kameraden werden befreit werden“, versprach Coanabo feierlich und nickend.

      „Die geklauten Sachen müssen aber auch zurückgegeben werden. Das gehört sich so.“

      „Ich verspreche auch das.“ Diesmal klang die Stimme nicht mehr so feierlich, eher etwas säuerlich.

      „Und noch etwas, Häuptling: Wenn mir das alles gelingt, dann möchte ich dich bitten, daß du uns mit deinen Leuten hilfst, das aufgelaufene Schiff von der Sandbank abzubergen.“

      Coanabo schluckte hart. Er sah sein Enkelchen an und nickte wieder.

      „Was ist, wenn es dir nicht gelingt?“ fragte er dann.

      „Dann weiß ich auch nicht weiter“, sagte der Kutscher. „Aber ich werde mir die größte Mühe geben.“

      „Falls es nicht gelingt“, sagte Coanabo drohend, „wird keiner deiner Wünsche erfüllt werden. Ich hoffe, du hast mich verstanden.“

      „Ich hoffe, wir haben uns verstanden“, erwiderte der Kutscher, wobei er auf das Wörtchen „wir“ eine ganz besondere Betonung legte.

      Coanabo gab keine Antwort. Aber er nickte zustimmend.

       7.

      Von nun an umgab sich der Kutscher mit einer geheimnisvollen Atmosphäre. Ein bißchen Brimborium gehörte nun einmal zu einem solchen Ritual, das wurde fast erwartet. Der Medizinmann der Arawaks war sicher auch einer von der geheimnisvollen Sorte, warum sollte er da als weißer Medizinmann nicht nachziehen?

      In diesem Fall war der Kutscher ein guter Psychologe. Von ihm erwartete man große Medizin. Sollen sie haben, dachte er.

      Natürlich würde er nicht einbeinig herumhüpfen und beschwörende Lieder singen oder Zaubersprüche aufsagen. Er würde die Burschen ganz anders beeindrucken.

      „Zunächst einmal“, sagte er, „müssen die Gaffer verschwinden, die stören mich bei der Arbeit nur. Ich


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