Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


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ihm erzählt hatte. Auch sie hörte sehr aufmerksam zu, bückte sich dann zu dem Kleinen, zeigte auf den Kutscher und sprach längere Zeit mit ihm.

      Der Kleine blickte den Kutscher aus seinen schwarzen Knopfaugen ziemlich ernst an und nickte zaghaft.

      „Sag ihm auch, es wird für einen kleinen Augenblick etwas weh tun, aber danach ist es auch schon vorbei. Es ist besser, wenn der Junge das vorher weiß.“

      Auch das wurde wieder sofort übersetzt. Der Kleine nickte tapfer.

      Inzwischen hatte Hasard das Skalpell ins Feuer gehalten. Die anderen brachten den Jungen zum Baum hinüber, wo er auf dem Boden Platz nahm.

      Hasard kehrte zurück und überreichte dem Kutscher das scharfe und lange Skalpell so, daß es der Kleine nicht mitkriegte. Dann bauten sie sich rechts und links vor dem Kerlchen auf und hielten ganz behutsam seinen Kopf fest. Der Druck wurde immer stärker, bis der Kleine sich nicht mehr rühren konnte.

      „Fertig?“ fragte der Kutscher. „Habt ihr ihn absolut fest?“

      „Absolut, Sir. Es kann losgehen.“ Die beiden zeigten immer noch Gelassenheit und blickten das Kerlchen freundlich an.

      Dem Kutscher standen ganz feine Schweißperlen auf der Stirn, als er sich auf den Boden kniete und in den offenen Mund des Kleinen sah.

      Himmel, ist das ein Ding, dachte er.

      Vorsichtig führte er das Skalpell ein. Seine Hände zitterten nicht, er blieb ganz ruhig, denn er wußte, was von diesem Eingriff abhing, nämlich ihr Leben und das Leben des Jungen. Er mochte sich nicht vorstellen, daß etwas schiefgehen könnte.

      Der eisenharte Profos blickte zur Seite, während Old Donegal vorsichtshalber die Augen schloß. Martin, Nils und Sven stand der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn.

      Die Mutter des Jungen hatte sich abgewandt, nur der Häuptling stand aufrecht da und sah mit ernstem Gesicht der Prozedur zu.

      Das Kerlchen selbst hielt die Augen krampfhaft geschlossen und den Mund weit geöffnet. Es zuckte nicht einmal, und es bewegte den Kopf um keinen Deut, denn die Zwillinge hielten es eisern fest.

      Die Prozedur dauerte nur wenige Minuten, dann spuckte der Kleine Eiter und Blut.

      Du meine Güte, dachte der Kutscher, das schießt ja nur so heraus! Er ließ den Kleinen spucken, bis er aufhörte, erst dann betupfte er sehr vorsichtig die Wunde.

      Innerhalb von drei Minuten war alles vorbei. Dem Bürschchen rann eine Träne aus dem Auge. Jetzt öffnete er sie langsam, sah den Kutscher an und grinste zaghaft und etwas scheu.

      Der Kutscher legte ihm die Hand auf die Schulter und grinste ebenfalls sehr erleichtert. Die Zwillinge ließen los, und da konnte das Kerlchen wieder aufstehen.

      Der Kleine schluckte einmal kräftig und sah dann seine Mutter mit strahlenden Augen an. Dann schnatterte er etwas mühsam drauflos.

      Coanabo lachte plötzlich. Über sein Gesicht glitt ein Schimmer der Freude. Auch die Mutter strahlte.

      „Er sagt“, übersetzte der Häuptling, „er kann jetzt wieder schlucken und es tut auch nicht mehr so weh. Es kratzt nur ein wenig im Hals.“

      „Das gibt sich bald. Der Kleine darf jetzt aber bis morgen mittag nichts essen, damit alles gut verheilt. Das ist sehr wichtig. Und er soll auch nicht herumtollen, sondern ruhig bleiben.“

      Auch das wurde der überglücklichen Mutter übersetzt. Daraufhin griff der Kleine nach der Hand des Kutschers und grinste wieder.

      „Großer Medizinmann“, lobte der Häuptling. „Du bist ein sehr guter Medizinmann. Wir alle danken dir aus ganzem Herzen.“

      Verlegen grinsend wehrte der Kutscher den Dank ab und sah sich um. Er hatte gar nicht gewußt, daß er so viele Zuschauer bei seinem Eingriff gehabt hatte. Jetzt erst sah er sie ganz bewußt. Auf den Plattformen der Hütten standen sie – junge und alte, Frauen und Kinder, die jetzt die Arme hochrissen und jubelten, als Coanabo verkündete, daß der große Medizinmann aus dem fernen weiten Land den Jungen geheilt hätte.

      Da strömten auch die Krieger herbei, die der Kutscher vorhin weggescheucht hatte. Kutscher und Zwillinge wurden umringt und angestaunt. Ein unglaubliches Palaver und Geschnatter setzte ein.

      „Ich werde ab und zu nach dem Jungen sehen und mich um ihn kümmern“, versprach der Kutscher, doch das hörte Coanabo schon gar nicht mehr. Er nahm sein Enkelkind in die Arme, setzte es dann wieder auf den Boden, ging zu den Gefangenen hinüber und schnitt ihnen die Fesseln durch. Augenblicke später waren alle frei.

      „Ihr seid keine Feinde“, verkündete Coanabo. „Ihr seid Freunde, die anderen helfen!“

      Damit war der Kutscher der Mann des Tages. Er mußte ein endloses Händeschütteln über sich ergehen lassen und wehrte immer wieder sehr verlegen ab.

      Auch der Profos rückte an, strahlend, über das ganze narbige Gesicht grinsend. Er griff mit seinen riesigen Pranken nach den schmalen Händen des Kutschers und drückte sie herzhaft.

      „Prächtig hast du das hingekriegt“, tönte er. „Ich habe doch immer gewußt, daß du ein prachtvoller Kerl bist, auf den man sich in jeder Lage verlassen kann. Du bist wirklich ein großer Medizinmann.“

      „Kein verlauster Entenarsch?“ fragte der Kutscher trocken.

      Der Profos rieb sich etwas verlegen die Hände.

      „Keine Rede davon, um Himmels willen! Einen verlausten Entenarsch hat dich doch nur Sir John genannt, und der hat doch keinen …“

      „… Verstand, nicht wahr?“

      „Der Geier hat wirklich keine Manieren, was, wie? Jetzt hockt er da oben und traut sich nicht herunter. Gelobt sei der große Medizinmann. Ohne dich wären wir ziemlich beschissen dran.“

      Auch die anderen bedankten sich bei dem Kutscher. Old O’Flynn setzte ihm gerührt sein Holzbein auf den Stiefel und umarmte ihn.

      „Kann ich Plymmie wieder holen?“ fragte Philip.

      Das wurde ausdrücklich erlaubt, und so stieß Philip drei kurze scharfe Pfiffe aus. Für Plymmie war das das Zeichen, daß die Welt wieder in Ordnung sei.

      Irgendwo aus dem Mangrovengestrüpp brach die Hündin hervor, ganz in der Nähe des Kaimans. Der Riesenechse klappte das Maul vor Schreck zu, als die Hündin an ihr vorbeifegte und laut bellte. Da der Kaiman solche Töne offenbar noch nie gehört hatte, floh er verstört und rasend schnell ins Wasser und tauchte ab.

      Niemand kümmerte sich hier um die Echse. Sie gehörte ganz einfach zum täglichen Leben.

      Inzwischen legten weitere Kanus von den Hütten ab, und immer mehr Indianer kamen herüber. Auch etliche Kinder waren dabei, die aufgeregt mit dem Kleinen palaverten. Der stand jetzt auch im Mittelpunkt und fühlte sich sichtlich wohl dabei.

      Die Frauen schürten das Feuer und schleppten Früchte herbei. Als der Profos das sah, lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und der Magen rutschte ihm bis in die Kniekehlen.

      Coanabo ließ durch einen Krieger kühles Wasser an die durstigen Männer verteilen.

      „Wir veranstalten einen Festschmaus“, sagte er zum Kutscher. „Ihr seid alle herzlich eingeladen. Sicher habt ihr Hunger.“

      „Allerdings“, gab der Kutscher zu. „Seit unserer überstürzten Abreise haben wir nichts mehr gegessen. Vielen Dank.“

      Immer mehr Frauen erschienen jetzt. Sie brachten noch mehr leckere Sachen, auch Geflügel wurde gerupft, Langusten, Krabben, Muscheln, Bananen, Kokosnüsse und Papayas wurden in die Nähe des Feuers getragen und dort ausgebreitet.

      „Sie scheinen völlig unabhängig zu sein“, sagte der Kutscher erstaunt. „Und sie haben offenbar alles im Überfluß. Aber wo bringen sie das Zeug nur her?“

      „Das weiß ich auch nicht“, sagte Carberry ratlos. „Sie tauchen wie aus dem Nichts auf und schleppen Zeug herbei.


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