Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


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du eine ganze Menge lernen, Kutscher. Das wäre doch was, wenn man auf der ‚Isabella‘ von hübschen Frauen schon zum Frühstück verwöhnt würde. Hm, notfalls könntest du mir ja das Frühstück an die Koje bringen.“

      „Sicher“, versprach der Kutscher, „ab sofort werde ich das jeden Montag tun.“

      „Ist das dein Ernst?“

      „Mein voller Ernst – jeden Ostermontag.“

      Da verzog der Profos nur grämlich das Gesicht und winkte ab.

      Dem Kutscher war schon am Vortag ein Indianer aufgefallen, der etwas abseits der Gruppe saß, sich nicht an der Unterhaltung beteiligte und auch kaum etwas aß. Er sah richtig unglücklich aus.

      „Was hat er denn?“ fragte der Kutscher.

      „Etwas Ähnliches wie der Junge“, erwiderte Coanabo. „Sein Mund ist stark geschwollen. Er traut sich aber nicht, den großen Medizinmann zu fragen.“

      Noch ein Abszeß, dachte der Kutscher. Das fing ja lustig an, da konnte er gleich wieder schneiden.

      Nach dem Essen nahm sich der Kutscher den unglücklich dreinblickenden jungen Mann vor.

      „Das ist nicht das gleiche“, sagte er. „Der Mann hat einen stark vereiterten Zahn. Wenn der nicht gezogen wird, kann es schlimm werden. Aber das werden wir gleich haben.“

      Der Kutscher ließ durch seine beiden „Assistenten“ die Kiste holen, um den Zahn zu ziehen. Inzwischen kam auch der Kleine angelaufen, der immer wieder nach der Hand des Kutschers griff und nicht mehr von seiner Seite wich. Fröhlich plappernd redete der Kleine dauernd auf den Kutscher ein.

      Er habe keine Schmerzen mehr, übersetzte Coanabo, und es gehe ihm prächtig.

      Wieder strömten die Indianer zusammen, um sich das Schauspiel anzusehen. Diesmal ließ sie der Kutscher nicht vertreiben, und so sahen alle gespannt zu.

      Der Indianer öffnete den Mund. Der Kutscher blickte auf einen riesigen, total vereiterten Backenzahn. Auch die Wange des Mannes war stark angeschwollen und heiß. Der Mann hatte starke Schmerzen, aber er versuchte, sie mannhaft zu unterdrücken, denn Schmerz zu zeigen galt bei den Arawaks als ein Zeichen der Schwäche.

      Der Kutscher nahm die Zange, fuhr in den Mund hinein und drehte sie hin und her, wobei der Indianer keine Miene verzog.

      Es knirschte leise, und dann hielt der Kutscher einen mächtigen Zahn hoch. Anschließend wurde gepinselt.

      Damit hatten sie sich weitere Wertschätzung errungen, denn die Indianer brachen in Jubel aus und feierten erneut den großen Medizinmann.

      Weitere Dankbarkeit erwarb sich der Kutscher eine knappe halbe Stunde später, als sie einen Indianer von den Feldern brachten, der in einen Graben gefallen war und sich den rechten Knöchel gebrochen hatte. Sie trugen ihn, weil er nicht mehr laufen konnte.

      „Hier gibt’s ja Arbeit in Hülle und Fülle für dich“, sagte Martin. „Du könntest dich hier glatt als Arzt niederlassen. Drei Behandlungen in nur zwei Tagen.“

      „Ich freue mich, wenn ich den Leuten helfen kann“, sagte der Kutscher schlicht und einfach.

      Diesmal verlief die Prozedur anders, denn jetzt mußte der Knöchel genau untersucht und geschient werden. Das tat der Kutscher mit der ihm eigenen Akribie.

      Aus der Kiste wurden Brettchen geholt, dann wurde das Bein gerichtet und geschient. Auch dieser Indianer verbiß den Schmerz und zeigte ihn nicht, obwohl es höllisch weh tat.

      Der Kutscher erklärte dem Häuptling, daß der Mann längere Zeit ruhig liegenbleiben müsse. Dann zeigte er ihm noch, wie die Brettchen sachgemäß entfernt wurden.

      Danach wollten sie aufbrechen. Coanabo holte das große Häuptlingskanu, in dem seine neuen Freunde Platz nehmen sollten. Er wollte sie persönlich zur Bight begleiten.

      Doch noch einmal gab es einen Zwischenfall, der alle in Angst und Schrecken versetzte.

      Etwas abseits vom Strand hockte ein Bürschchen am Wasser in der Nähe der Mangroven und angelte. Der Kleine hatte schon zwei Fische an Land gezogen und ging jetzt voller Eifer bis an die Hüften ins Wasser.

      Nils Larsen schaute gerade in die Richtung und sah etwas durch das Wasser treiben. Es sah wie ein Ast aus, aber da hier nur eine sehr schwache Strömung ging, konnte der Ast verständlicherweise keine „Bugwelle“ vor sich herschieben. Das tat er aber.

      Nils sah jetzt zwei Augen aus dem Wasser ragen und eine Schnauze, die sich unmerklich höher hob.

      „Ein Kaiman!“ brüllte er entsetzt. „Er schwimmt auf den Jungen zu.“

      Er hatte spanisch gesprochen, damit auch Coanabo ihn verstand.

      Der Häuptling fuhr herum und starrte zu der Stelle, wo der ahnungslose Junge angelte. Der war so in die Angelei vertieft, daß er die Gefahr gar nicht bemerkte.

      Coanabo rief etwas mit lauter Stimme. Der Junge zuckte zusammen, warf die Angel weg und wollte türmen.

      In diesem Augenblick schlug die große Echse peitschend mit dem Schwanz durchs Wasser. Ein kochender Wirbel entstand. Der Druck riß den Jungen um, der jetzt zu brüllen begann.

      Nils Larsen raste in langen Sätzen zu dem Kanu. Zum Glück hatten die Indianer nicht nur Kochtöpfe gemaust, sondern auch Musketen und Pistolen.

      Im selben Augenblick reagierte auch der Profos. Er sah einen dicken Knüppel unter einem Baum liegen, hob ihn hoch und stürmte unter lautem Gebrüll zum Wasser. Auch Plymmie fegte los, als Philip ihr etwas zurief.

      Inzwischen hatte Nils die Muskete in der Hand und rannte weiter. Das Bürschchen im Wasser brüllte in Todesangst, als die Panzerechse wild zuschnappte. Offenbar ist es dieselbe, die sich gestern noch hier gesonnt hat, dachte der Profos, und der man weiter keine Beachtung geschenkt hatte. Jetzt versprach sich das Vieh fette Beute.

      Auch ein paar Indianer waren inzwischen losgerannt, allen voran der Häuptling.

      Carberry erreichte die Stelle als erster. Mit ein paar Sätzen lief er ins flache Wasser. Das Riesenvieh riß gerade wieder den fürchterlichen Rachen auf. Der Junge lag auf der Seite im Wasser und war vor Angst wie gelähmt.

      Der Profos zögerte keine Sekunden. Als das klaffende Maul sich öffnete, rammte er voller Wut und mit aller Kraft den schenkelstarken Ast in den Rachen.

      Die Echse schnappte zu. Krachen und Splittern. Der Knüppel zerbrach wie ein dünnes Hölzchen. Der Kaiman begann zu toben und wild mit dem Schwanz zu schlagen.

      Da war auch Nils Larsen heran. Er hob die Muskete an die Schulter, zielte kurz und drückte ab, als er den Schädel vor sich sah.

      Der Schuß brach sich überlaut im Dschungel, wo plötzlich jedes Geräusch schlagartig erstarb.

      „Treffer!“ brüllte Carberry.

      Der Riesenkörper des Kaimans begann zu zucken und zu toben und schob sich höher auf den Morast hinauf.

      Das seichte Wasser färbte sich rot und schaumig. Noch ein paar zuckende Bewegungen, und die Echse lag still da. Die Kugel hatte ihr den Schädel zertrümmert.

      Schnaufend holte der Profos das stocksteife Bürschchen aus dem Wasser, noch ehe die anderen heran waren. Am Strand zitterte der Kleine so stark, daß sie ihn festhalten mußten.

      Mit dieser Tat hatten sie sich weitere Dankbarkeit erworben und waren wieder einmal die Helden des Tages.

      Eine verstörte Mutter kam angerannt und warf sich vor dem Profos schluchzend zu Boden. Ein paar andere Männer sahen Nils und den Profos bewundernd an.

      „Ohne euch würde der Junge nicht mehr leben“, sagte Coanabo. „Es passiert hier nur selten, daß einer von einem Kaiman angegriffen wird, aber es passiert eben doch hin und wieder. Das letztemal war es eine Frau, die spurlos verschwand.“

      „Jetzt ist ja wieder alles gut“, sagte Carberry. „Das Biest ist


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