Seewölfe Paket 24. Roy Palmer

Seewölfe Paket 24 - Roy Palmer


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Verklar ihnen das, sonst ist hier der Teufel los.“

      „Besteck?“ fragte Coanabo verwirrt. „Was ist Besteck?“

      „Ich bin Arzt!“ brüllte der Kutscher in der alten Lautstärke, als hätte er einen Schwerhörigen vor sich. „Ich Arzt, verstanden? Kapiert? Medizinmann! Ich Medizinmann! Und deine Kerle haben nicht das Recht, mit den kostbaren Geräten herumzuspielen, verdammt noch mal. Sie sollen die Sägen, Messer und Scheren liegen lassen und nicht damit wie die Blödmänner herumfuchteln.“

      Coanabo trat wieder einen Schritt zurück.

      „Der wird dir jetzt den Hals durchschneiden“, raunte Carberry, „du hast ihn schwer beleidigt.“

      „Einen Scheiß habe ich!“ tobte der Kutscher. „Und wenn, dann ist es mir auch egal.“

      Carberry schwieg beeindruckt und fassungslos. Aber er hatte das Gefühl, als bahne sich hier etwas Schreckliches an.

      Der Häuptling wurde hellhörig. Er blickte den Kutscher nachdenklich an und musterte ihn. Kurz darauf kräuselten sich seine Lippen verächtlich nach unten.

      Arzt, Medizinmann, überlegte er. Sicher war das ein Medizinmann für die Minen der Spanier, in denen er als Sklave hatte schuften müssen. Da war auch ein weißer Medizinmann zuständig gewesen, doch das war einer, der die Indianer nicht heilte, sondern umbrachte, wenn sie krank und geschwächt waren. Dieser weiße Medizinmann in den Minen hatte sich nur um seine eigenen Landsleute gekümmert. Die wurden bei dem kleinsten Wehwehchen umhätschelt und versorgt, während sich der Halunke um die Sklaven überhaupt nicht gekümmert hatte.

      Dreißig Jahre war das jetzt schon her, aber Coanabo hatte das nicht vergessen, und er würde es auch sein Lebtag nicht vergessen, wie man sie damals behandelt hatte – wie das letzte Vieh.

      Bitterkeit stieg in ihm auf, aber da war auch etwas, was ihn an diesem Mann beeindruckte. Schön, dann sollte er unter Beweis stellen, was für ein großer Medizinmann er war. Coanabo hatte einen schwerkranken Enkel, einen kleinen Jungen.

      Aus harten Augen sah er den Kutscher an, aber der gab den Blick wutentflammt zurück und maß zornig die Kerle, die immer noch Scheren, Knochensägen und andere Instrumente in den Händen hielten und damit Löcher in die Luft stachen.

      Ruckartig wandte sich der Häuptling ab. Er blickte in Richtung der Pfahlbauten und rief mit lauter Stimme ein paar Worte über das Wasser.

      Aus einer der Hütten trat eine junge Frau auf die Plattform hinaus. Sie hielt einen kleinen braunhäutigen und schmalen Jungen an der Hand, der leise vor sich hin wimmerte. Das leise Klagen war bis an den Strand zu hören.

      Coanabo sagte wieder etwas zu einem der Arawaks. Der nickte hastig, stieg in ein Kanu und paddelte schnell hinüber.

      Die Männer der „Empress“ sahen sich an und wußten nicht, was sie von der Sache halten sollten.

      „Was haben die vor?“ fragte Sven Nyberg leise.

      „Frag mich was Leichteres“, maulte der Kutscher, „bin ich vielleicht ein Indianer?“

      „Nein, aber großes weißes Medizinmännchen“, sagte Sven grinsend.

      Gespannt verfolgten sie, was weiter geschah. Nur der Kutscher warf immer noch zornige und empörte Blicke auf die Kerle, die mit seinem kostbaren Besteck spielten. Es wurmte ihn auch mächtig, daß der Häuptling sie mit keinem Wort aufgefordert hatte, die Sachen wegzulegen. Sie staunten die blitzenden Instrumente immer noch an.

      Die Frau und der Junge stiegen Hand in Hand in das Kanu. Das kleine Kerlchen wimmerte immer noch leise vor sich hin, während die Mutter ihm offenbar beruhigend zuredete. Schon von hier aus war zu erkennen, daß die Frau ausnehmend hübsch war.

      Als das Kanu auf den Strand lief, sprang die Frau leichtfüßig heraus. Dann nahm sie wieder den Jungen an der Hand und ging zu Coanabo, der den beiden entgegensah.

      Carberry starrte auf die Frau, dann auf den Jungen. Dann wechselte seine Blickrichtung vom Häuptling auf den Kutscher, dessen heiliger Zorn immer noch nicht verraucht war.

      Die Indianerin war gut gebaut, hatte ein sanftes, weiches Gesicht und kohlschwarze Augen. Sie schenkte den Männern an den Bäumen nur einen flüchtigen Blick. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Jungen, der wie ein Häufchen Elend am Strand stand und den Kopf tief gesenkt hielt.

      Coanabo musterte den Kleinen mitleidig, strich ihm über die Haare und sagte etwas zu ihm. Der Kleine wimmerte jetzt etwas leiser.

      Dann drehte der Häuptling sich um, sah sich die Messer an, die immer noch im Sand lagen, hob eins auf und näherte sich dem Kutscher. Seine Augen glitzerten kalt.

      Der Profos hat anscheinend doch recht, dachte der Kutscher. Sieht so aus, als will der Kerl mir den Hals durchschneiden. Aber das ergab wiederum keinen Sinn, und etwas völlig Sinnloses tat ein Häuptling wie dieser Coanabo nicht.

      Der Profos wand sich in seinen Fesseln. Er sah seine Theorie bestätigt und glaubte, daß es dem Kutscher wegen seiner üblen Flucherei jetzt ernsthaft an den Kragen gehe. Aber sosehr er auch zerrte und sich wand – die Stricke hielten eisern. Trotz seiner Bärenkräfte konnte er sie nicht einmal lockern.

      Coanabo trat einen schnellen Schritt vor. Das Entermesser blitzte im Sonnenlicht, als es auf den Kutscher zufuhr. Der verzog keine Miene und schloß nicht einmal vor Entsetzen die Augen.

      Zwei rasche Schnitte, und schon fielen die Fesseln, die den Kutscher am Baumstamm hielten.

      Die anderen stießen tief die Luft aus und sogen sie gleich darauf wieder gierig ein.

      Der Kutscher lebte noch und erfreute sich bester Gesundheit. Trotzdem lag eine unheilschwangere Atmosphäre über dem Strand. Jeder spürte das überdeutlich, als sei die Luft wie vor einem Gewitter geladen.

      „Sieh dir den Jungen an!“ befahl Coanabo dem Kutscher. Er schob das wimmernde Kerlchen einen Schritt auf den Kutscher zu.

      Der Kutscher rieb sich erst einmal die Hände und massierte seine Gelenke, damit das Blut wieder besser zirkulierte.

      Jeder andere hätte den Befehl sofort befolgt, aber der Kutscher konnte auch eigensinnig und sehr bockig sein, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Und das war immer noch der Fall. Es ging ihm verdammt gegen den Strich, daß die Instrumente noch nicht in der Kiste lagen und die Kerle auch weiter damit spielten.

      Er wußte, daß er sehr hoch reizte, trotzdem setzte er alles auf eine Karte. Er war nicht nur ein guter Feldscher, er war auch ein guter Psychologe, wie sich noch herausstellen sollte.

      Daher schüttelte er zum Entsetzen der anderen Männer den Kopf.

      Der Profos stöhnte unterdrückt. Himmel, was fiel dem Kerl eigentlich ein, sich ausgerechnet jetzt wie ein störrischer Esel aufzuführen, jetzt, da alles auf der Kippe stand!

      Er warf dem Kutscher einen erbitterten Blick zu, aber der Kerl zuckte nur mit den Schultern und blieb kalt bis in die Knochen.

      „Nein“, sagte er klar und fest. „Erst sollen die Kerle mein kostbares Besteck sauber und vorsichtig in die Kiste legen. Wenn sie das getan haben, werde ich mir den Jungen anschauen. Sonst läuft hier überhaupt nichts.“

      Der Häuptling sah aus, als habe ihn der Schlag getroffen. Er wurde aus diesem Mann einfach nicht mehr schlau. Kaum war er von den Fesseln befreit, da stellte er Ansprüche. Vielleicht war er wirklich ein so guter Medizinmann, daß er sich das erlauben konnte.

      Der Kutscher blieb stocksteif stehen und sah Coanabo fest und unnachgiebig in die Augen.

      Carberry hätte sich jetzt gar zu gern den Schweiß von der Stirn gewischt, doch die Fesseln verhinderten das. So blies er sich nur eine Haarsträhne aus der Stirn, und auch die blieb kleben, weil auf seiner Stirn Schweißperlen standen.

      Einen Moment verharrte der Häuptling unentschlossen. Dann fiel sein Blick auf den wimmernden Jungen, und er schluckte trocken.

      Er drehte sich erneut um und bellte zwei, drei Worte in die Gegend.


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