Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
voraus, was Ferris als durchaus günstig für seine Flucht ansah. Wenn sie ihn mit sämtlichen sieben Booten jagten, hatte er kaum eine Chance, die Küste lebend zu erreichen.
Sein rechter Fuß stand seit einer Stunde auf dem Stiel einer Axt, die einer der Fischer im Boot gelassen hatte. Ferris hatte sofort gewußt, daß er diese Waffe, mit der er sich bestens auskannte, für seine Flucht gut brauchen konnte.
Aus den Augenwinkeln sah er zu Le Testu und dem Korsen hinüber, die am Heck des Bootes saßen und zur Küste hinüberstarrten. Er wußte, daß die beiden Kerle skrupellos genug waren, ihn über den Haufen zu schießen, wenn er zu fliehen versuchte, aber er war entschlossen, ihnen keine Gelegenheit dazu zu geben.
Er leitete sein Unternehmen ein, indem er beim Zurücknehmen der Riemen unterschnitt und das Ruderblatt dabei ins Wasser tauchte. Die vor ihm an der Steuerbordseite sitzenden Rudergasten fingen sofort einen Krebs. Das Boot bremste abrupt ab.
Le Testu, der im ersten Moment nicht wußte, was los war, sprang auf und schrie: „Paßt doch auf, ihr Idioten!“
Der vor ihm sitzende Pirat brüllte: „Das war der Engländer! Das hat er mit Absicht getan!“
Ferris Tuckers schwielige Faust packte zu und kriegte den Kerl im Genick zu fassen. Mit einem Ruck riß er den hageren Piraten von der Ducht hoch, feuerte ihm eine und warf ihn dann dem Korsen entgegen, der seinen Arm mit der Pistole hochgerissen hatte.
Der Pirat brüllte wie ein angestochenes Schwein. Er knallte mit dem Kopf zwischen seine beiden Vorderleute, und eins seiner ungewollt hochgeschleuderten Beine traf den rechten Arm des Korsen, der wütend aufschrie, die Balance verlor und hintenüber ins Wasser stürzte.
Ferris Tucker sah, wie sich der Kerl mit dem dunkelroten Hut nach seinem Kumpan umsah, und er nutzte den günstigen Augenblick. Plötzlich hielt er die Axt in den Fäusten, und mit einem einzigen Hieb durchtrennte er das Fall des Sprietsegels. Das Segel rauschte nach unten, und die Spiere krachte zwei Kerlen auf die Köpfe.
Ferris kriegte es schon nicht mehr mit. Er war übers Dollbord gehechtet, nachdem er vorher noch seine Riemen ins Wasser geschleudert hatte.
Während des Sprunges holte er tief Luft, und als er im Wasser war, begann er, mit heftigen Armbewegungen zu tauchen und zu schwimmen.
Er hatte sich die Richtung zur Küste eingeprägt und hoffte, einigermaßen die Richtung einzuhalten. Er schwamm und schwamm. Die Axt, die er sich in den Gürtel gesteckt hatte, schien ihn nach unten zu ziehen, aber um keinen Preis der Welt hätte er sich in diesem Augenblick von ihr getrennt. Er brauchte unbedingt eine Waffe, wenn er erst einmal die Küste erreicht hatte.
Er spürte, wie ihm die Sinne zu schwinden drohten. Mit letzter Kraft stieß er sich im Wasser ab, um an die Oberfläche zu gelangen. Es wurde hell über ihm, und dann hatte er auf einmal wieder Luft in den Lungen.
In seinen Ohren dröhnte es wie in einer Schmiede. Drei-, viermal holte er tief Luft, dann zischte etwas neben ihm durchs Wasser und hinterließ eine quirlende Bahn. Sekundenbruchteile später hörte er das Krachen einer Muskete.
Blitzschnell tauchte er wieder unter. Er hatte keine Zeit gefunden, sich umzudrehen und nach dem Boot Ausschau zu halten.
Er hatte die Küste gesehen und festgestellt, daß er sich ihr schon ein ganzes Stück genähert hatte.
Mit neuer Energie schwamm er unter Wasser weiter und betete, daß dieser Le Testu und seine Piraten ihn nicht fanden.
Fluchend war inzwischen Montbars wieder ins Boot geklettert. Seine grauen Haare hingen ihm in langen Strähnen ins Gesicht, das vor Zorn gerötet war.
Er sprang vor und riß eine Muskete hoch, die zwischen den Duchten lag. Einem der Piraten nahm er wortlos die Pulverflasche ab, schüttete etwas daraus auf die Pfanne, spannte den Hahn und zielte auf eine Stelle auf dem Wasser, wo nach seiner Meinung gleich der Rotschopf des Engländers auftauchen mußte.
Er wartete fast zwei Minuten, dann ließ ihn ein Schrei eines der Piraten herumfahren.
„Da!“ brüllte der Mann und wies in eine ganz andere Richtung, als Montbars gezielt hatte.
Der Rotschopf war für einen kurzen Moment zu sehen. Montbars riß die Muskete herum und drückte ab. Im selben Moment wußte er, daß er verfehlt hatte. Er sah, wie neben dem Kopf des Engländers eine Wasserfontäne hochstieg, dann war von dem Kerl nichts mehr zu sehen.
Le Testu schrie die Piraten an, sie sollten gefälligst das Boot in Bewegung bringen und hinter dem flüchtigen Gefangenen herpullen.
Sein Ton paßte den Piraten offensichtlich nicht. Sie bewegten sich ziemlich träge, und als einer von ihnen sah, daß die anderen Boote, vom Schuß alarmiert, gewendet hatten und auf sie zufuhren, stellten sie ihre Bemühungen, hinter dem Gefangenen herzupullen, ganz ein. Das Geschrei des Straßenräubers beeindruckte sie nicht im mindesten. Sie gehorchten nur einem, und das war ihr Kapitän Pierre Servan.
Mit vor ohnmächtiger Wut zusammengepreßten Lippen wartete Le Testu, bis die anderen Boote heran waren. Montbars hatte die Muskete neu geladen und zielte wieder aufs Wasser. Er wußte, mehr als zwei Minuten konnte es kein Mensch unter Wasser aushalten. Gleich mußte der Engländer wieder nach Luft schnappen, und dann würde er ihm ein Ding verpassen, daß er ohne Kopf an Land schwimmen mußte.
Sein Pech war nur, daß er sich zum zweiten Male verschätzte. Wieder sah er den Rotschopf des Engländers für Sekunden zu spät. Er mußte den Lauf der Muskete ein ganzes Stück schwenken, und in dieser Zeit hatte der Kerl nach Luft geschnappt.
Wieder peitschte die Kugel etwa eine Unterarmlänge vom Kopf des Engländers entfernt ins Wasser und stieß eine kleine Fontäne hoch. Die Entfernung war schon ziemlich groß, und bei dem kleinen Ziel war es eigentlich ein sehr guter Schuß gewesen.
Doch Montbars wurde von seiner Wut fast aufgefressen. Er warf mit einer heftigen Bewegung die Muskete einfach über Bord und starrte den anderen Booten entgegen. Aus seinen Haaren lief ihm immer noch das Wasser ins Gesicht.
„Der Gefangene ist geflohen!“ brüllte Le Testu den anderen Booten entgegen. In dem ersten entdeckte er Servan. „Ihre verdammten Leute haben es nicht für nötig befunden, ihn zu verfolgen!“
Pierre Servan, der seinen ganzen Plan zusammenfallen sah wie ein Kartenhaus, begann zu toben. Er donnerte seine Leute, die sich an Bord von Le Testus Boot befanden, zusammen, daß ihnen Hören und Sehen verging, aber das änderte nichts mehr an der Tatsache, daß der Gefangene endgültig entwischt war.
Als Servans Boot neben dem Le Testus lag, hatte sich der Kapitän der untergegangenen „Antoine“ einigermaßen wieder beruhigt.
„Wir werden unseren Plan nicht aufgeben“, sagte er gepreßt. „Wir brauchen den Gefangenen nicht. Wer weiß, ob sie nicht trotzdem auf uns geschossen hätten. Wir werden die Dunkelheit abwarten und dann versuchen, eine der beiden Galeonen zu kapern. Wir werden so lautlos vorgehen, daß die Deckswachen erst merken, was los ist, wenn sie schon unsere Messer an ihren Kehlen spüren.“
Das war eine Rede nach Le Testus Sinn. Allerdings fragte er sich, wie Servan die beiden Galeonen in der Bucht von Sillon de Talbert bis zum Einbruch der Dunkelheit erreichen wollte. Er fragte ihn danach.
Servan winkte wütend ab.
„Wenn wir nicht in der Abenddämmerung da sind, werden wir eben mitten in der Nacht oder im Morgengrauen angreifen“, sagte er. Mit einer abrupten Handbewegung befahl er seinen Bootsgasten, die Riemen aufzunehmen und loszupullen. Er warf noch einen kurzen Blick zur Küste hinüber. Sie war ziemlich weit entfernt, und er glaubte nicht, daß es der Engländer schaffen würde, sie zu erreichen. Durch das lange Tauchen mußte er sich völlig verausgabt haben.
Le Testu dachte das gleiche. Er sah, wie Montbars immer noch die Wasseroberfläche zur Küste hin beobachtete, aber auf diese Entfernung konnte es schon sein, daß die leichte Dünung des Wassers ein erneutes Auftauchen des Gefangenen ihren Blicken entzogen hatte.
Le Testu war überzeugt davon, daß der Engländer besser daran getan hätte, bei ihnen an Bord zu