Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
konnte: Pulver!
Plötzlich wußte er, was der Besuch bei dieser alten Fischerhütte bedeutete. Die Piraten hatten hier ein Waffenlager eingerichtet. Wahrscheinlich hatten sie damit gerechnet, daß sie auch einmal eine Niederlage würden einstecken müssen. Und sie hatten vorgesorgt, daß sie dann nicht ohne Waffen waren.
Ein eisiger Schreck durchzuckte Ferris.
Was war, wenn Hasard und die anderen ihrer Fährte folgten, um ihn zu befreien? Sie würden in eine zweite Falle laufen, und hier auf der freien Ebene hatten sie keine Möglichkeit, den tödlichen Kugeln der Piraten zu entgehen.
Ferris wußte, daß es an ihm lag, das zu verhindern. Es mußte einen Weg geben, den Seewolf zu warnen.
Er fluchte, als man ihn in eine dunkle Ecke stieß und er hart mit dem Gesäß auf den steinernen Boden prallte. Seine Augen mußten sich erst wieder an die hier herrschende Dunkelheit gewöhnen. Die Einrichtung der Hütte war genauso verkommen wie das Äußere. Tische und Stühle lagen quer über den Raum verstreut. Auch hier waren überall Spinnweben.
Der Kerl mit dem dunkelroten Hut war in die hintere Ecke des Raumes gegangen, und die beiden Piraten waren ihm gefolgt. Neben der Feuerstelle, über der noch ein verrußter Topf an einem Dreibein hing, bückte er sich, faßte in einen eisernen Ring und hob keuchend eine schwere, steinerne Platte an.
Die Piraten packten mit zu. Mit einem dumpfen Laut fiel die schwere Platte gegen die Wand. Ferris sah, wie die Kerle sich zunickten. Der Mann mit dem dunkelroten Hut nahm eine Fackel aus einer eisernen, in die Steinwand gelassenen Halterung und zündete sie an. Die Flammen warfen gespenstische Schatten an die verschimmelten Wände.
Dann stieg er hinunter. Die beiden anderen folgten ihm. Immer mehr Männer verschwanden im Keller, der ziemlich groß sein mußte, wenn er alle Piraten aufnehmen konnte.
Der Grauhaarige, der sie in die Falle auf der Lichtung gelockt hatte, war bei Ferris geblieben. Er sagte nichts, doch an seinen jettschwarzen Augen erkannte Ferris, daß der Mann bereit war, ihn zu töten, wenn er irgend etwas versuchen würde.
Er hörte Stimmen aus dem Keller, die seltsam hohl zu ihm heraufschallten, und aus einigen Worten entnahm er, daß er mit seiner Vermutung recht behalten hatte.
Pierre Servan und Jean Bauduc gingen die Augen über, als sie im Schein des Fackellichtes die Waffen sahen, die Le Testu und seine Bande in dieser alten Fischerhütte gehortet hatten.
Jean Bauduc preßte die Lippen aufeinander, um keine Flüche auszustoßen, die ihm auf der Zunge lagen. Die meisten dieser Arkebusen, Musketen, Tromblons, Pistolen, Säbel und Messer kannte er nur allzu gut. Jedenfalls war ihm plötzlich klar, wer für die Überfälle auf die Waffentransporte verantwortlich war, die Yves Grammont von Brest aus nach Rennes zu Heinrich von Bourbon auf den Weg gebracht hatte.
Auch Pierre Servan hatte sofort erkannt, daß die meisten Waffen englischen Ursprungs waren, und er hatte die gleichen Schlüsse gezogen wie Bauduc.
Er warf dem Kumpan einen schnellen Blick zu und gab auch seinen Männern, die sich hinter ihm mit staunenden Gesichtern drängten, einen Wink, daß sie sich ruhig verhalten und nichts verraten sollten.
Mit einer großartigen Armbewegung wies Le Testu über sein Waffenarsenal.
„Na, was sagt ihr dazu? Habe ich euch zuviel versprochen?“
„Großartig“, stieß Pierre Servan hervor, und ein mißtrauischer Mann hätte den gequälten Unterton in seiner Stimme bestimmt herausgehört.
„Damit schießen wir die englischen Verräter in Stücke, wenn sie uns hierher folgen“, sagte Le Testu. „Und sie werden sich auf unsere Fährte gesetzt haben, um ihren Mann zu befreien.“
„Die paar Kerle?“ sagte Bauduc zweifelnd. „Einer von ihnen ist tot, und einen haben wir gefangengenommen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind sie nur noch sieben Mann.“
Le Testu zuckte mit den Schultern. Er starrte Bauduc und Servan einen Augenblick an und dachte, daß die beiden Kerle nicht in seine neue Bande paßten. Sie waren zu eingebildet. Vielleicht versuchten sie eines Tages sogar, ihn, Le Testu, auszuschalten, um selbst die Führung der Bande zu übernehmen. Schließlich waren es ihre Männer, und Le Testu hatte schon bemerkt, daß sie seine Befehle immer erst dann ausgeführt hatten, wenn die Zustimmung eines der beiden erfolgt war.
Le Testu wandte sich an die Piraten, die hinter Servan und Bauduc standen.
„Nehmt euch, was ihr braucht“, sagte er. „Der Kampf gegen die englischen Korsaren und gegen Heinrich von Bourbons Soldaten wird nicht leicht werden. Aber der Sieg gehört uns!“
Er war gewohnt, daß seine Leute nach einer solchen Ansprache in Jubel ausbrachen, aber die Piraten zogen nur grimmige Gesichter, als sie auf die Waffen zugingen und sich damit ausrüsteten.
Ein merkwürdiges Volk, dachte Le Testu, und einen Augenblick lang schien es ihm, er hätte einen Fehler begangen, als er die Piraten zu seinem größten Waffenlager geführt hatte. Doch dann verscheuchte er diese Gedanken. Die Niederlage gegen die Soldaten Heinrich von Bourbons steckte ihm noch tief in den Knochen, und er war froh, so schnell wieder Verbündete gefunden zu haben.
Er übergab einem der Piraten die Fackel und stieg die steinernen Stufen wieder hinauf. Servan und Bauduc folgten ihm.
Le Testu trat auf Montbars zu, der in der rechten Hand lässig eine Pistole hielt, die wie zufällig auf den in der Ecke sitzenden Ferris Tucker wies.
„Hat er schon was gesagt?“ fragte Le Testu den Korsen.
Montbars schüttelte den Kopf. „Kein Wort.“
Der Wegelagerer näherte sich Ferris Tucker und blieb außer Reichweite seiner Fäuste stehen. Er starrte den rothaarigen Riesen an, und ein Grinsen huschte über sein längliches Gesicht, als er daran dachte, wie er den Kerl mit der Muskete an der Schläfe erwischt hatte.
„Warum grinst du so dämlich?“ fragte Ferris Tucker.
Le Testu zog die Stirn in Falten. Er drehte sich zu Servan um und fragte: „Hast du verstanden, was er gesagt hat?“
Pierre Servan schüttelte den Kopf.
Le Testu trat einen Schritt näher zu dem Gefangenen, aber jetzt hielt er eine Pistole in der Hand. Mit dem Daumen spannte er den Hahn. Sein Grinsen ließ Ferris Tucker glauben, daß der Kerl es freundlich mit ihm meinte, aber schon im nächsten Moment wurde er eines Besseren belehrt.
Der Wegelagerer trat zu, und seine Stiefelspitze traf Ferris Tucker hart am Oberschenkel. Es tat höllisch weh, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Hör zu, du verfluchter Verräter!“ stieß Le Testu hervor. „Wir werden dich für deinen Verrat bestrafen. Wir hängen dich Schwein auf und lassen deinen Kadaver für die Bussarde und Ameisen liegen!“
Diesmal hatte Ferris einiges verstanden, und er wunderte sich, daß der Kerl ihn einen Verräter nannte.
Er suchte seine Französischkenntnisse zusammen und fragte den Kerl: „Kannst du mir verraten, wovon die Rede ist? Und wer bist du? Deine Visage ist mir noch nie begegnet.“
Das Gesicht Le Testus verzerrte sich vor Wut.
Der hat mich tatsächlich verstanden! dachte Ferris Tucker begeistert und beschloß in diesem Augenblick, sein Französisch zu vervollkommnen, wenn er erst mal wieder mit Jean Ribault zusammentraf.
Er sah, wie Le Testu wieder mit dem Stiefel ausholte, und drehte sich instinktiv etwas zur Seite.
Die Stiefelspitze traf die Flasche, die er in der Tasche stecken hatte. Sie war aus ziemlich dickem Glas und ging nicht so leicht kaputt.
Le Testus Zehen waren da schon empfindlicher. Er heulte auf wie ein Derwisch und hüpfte eine Weile auf einem Bein herum, bis er bemerkte, daß die anderen ihn anstarrten. Er verbiß den Schmerz. Wütend beugte er sich zu Ferris Tucker hinunter und zerrte die Flaschenbombe hervor.
„Was, zum Teufel, ist das?“ brüllte er.