Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
scharfe Stimme in einem fürchterlichen Französisch.
Ferris hatte nur das Wort Hurensohn verstanden, sonst wäre er wahrscheinlich wütend geworden.
„Bindet mich los, ihr Blödmänner!“ knurrte er. Er war selbst ein wenig verwundert, aber es war tatsächlich seine Stimme gewesen, die da gesprochen hatte. Es wurde Zeit, daß er sie mal wieder mit einer Portion Rum behandelte.
Sie schienen ihn verstanden zu haben, denn ein grauhaariger Mann mit einem dunklen Gesicht und jettschwarzen Augen beugte sich neben ihm nieder und löste den Kälberstrick, der seine gefesselten Hände und seine Füße miteinander verband.
Ferris Tucker geriet ins Schwanken, als der Esel einen Schritt vorwärts tat, und wenn ihn nicht Hände gepackt hätten, wäre er wohl mit dem Kopf voran aus dem Sattel gerutscht.
Er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als sie ihn auf die Füße stellten. Ein scharfes Stechen wie von tausend nadelspitzen Messern zuckte durch seine Beine. Das Hämmern in seinem Kopf nahm wieder zu, für einen Augenblick wurde es ihm schwarz vor den Augen.
Er faßte sich mit den gefesselten Händen an den Kopf und hätte fast wieder gebrüllt. Er spürte eine hühnereigroße Beule, von der das Hämmern stammte, an seiner rechten Schläfe.
Starke Arme stützten ihn. Er hörte Stimmen, verstand aber nicht, was die Leute sagten.
Als das Stechen in den Beinen verschwand, drehte er vorsichtig den Kopf. Er blickte in die grimmigen Gesichter von fast dreißig Kerlen und einem Esel, dessen kleine Augen ihn tückisch musterten.
Instinktiv trat er einen Schritt zurück. Sein Absatz bohrte sich in einen Fuß, und das Gebrüll, das der Mann ausstieß, tat ihm in den Ohren weh.
Er ließ seinen Absatz eine Weile an seinem Platz, bevor er ihn wieder entlastete. Er blickte sich um und sah einen Mann, der einen Veitstanz aufführte, den einen Fuß in den Händen.
Ferris grinste höhnisch, was ihm eine Maulschelle von dem Grauhaarigen einbrachte.
Er schüttelte den Kopf etwas und dachte: Dein Glück, Bursche, daß du meine linke Seite getroffen hast! Sonst wäre ich dir mit beiden Füßen in den Bauch gesprungen und hätte dich zu Mus getrampelt!
Ein schwarzes Loch von der Größe eines Talers war dicht vor seinem Gesicht.
„Noch eine dumme Bewegung von dir, Engländer“, knurrte Montbars, „und ich schieße dir den Kopf von den Schultern!“
Ferris Tucker verstand nicht viel von den Worten, aber dennoch war es eindeutig, was der Kerl meinte. Er verhielt sich ruhig.
Sie palaverten eine Weile, und er fragte sich, warum die Kerle eigentlich alle so sprachen, als hätten sie Schnupfen. Oder sie haben wirklich einen, dachte er. Schließlich hatten sie in der Nacht ja eine ganze Weile in dem kalten Wasser des Kanals schwimmen müssen.
Er wurde wieder von mehreren Männern gepackt und auf den Rükken des Esels gehievt, diesmal im Reitersitz. Das verdammte Biest versuchte, nach seinem rechten Bein zu schnappen, und es erwischte tatsächlich ein Stück von seiner Hose. Ferris trat ihm dafür mit den Hakken in die Seiten, und das Grautier revanchierte sich prompt mit einem Luftsprung, der Ferris garantiert zurück auf den Boden befördert hätte, wenn er nicht immer noch von ein paar Händen gehalten worden wäre.
Einer schnappte die Zügel des Esels und gab ihm keine Gelegenheit mehr, nach den Beinen seines Reiters zu schnappen. Die harten Stöße des Eselsrittes brachten zuerst wieder alles in Ferris’ Innerem durcheinander, doch nach einer Weile hatte er sich an den stakkatohaften Rhythmus gewöhnt und konnte die kantigen Bewegungen etwas ausgleichen.
Ferris Tucker begann langsam wieder klar zu denken. Sie hatten ihn nicht getötet, sondern entführt. Das hieß, sie wollten etwas von ihm wissen oder brauchten ihn als Geisel, um etwas zu erreichen.
Er knurrte innerlich. Die Kerle würden sich noch wundern, wenn er erst einigermaßen wieder in Ordnung war. Er spürte den leichten Druck in der Tasche an seiner linken Seite am Oberschenkel. Die Bastarde haben mich nicht mal untersucht! dachte er. Wenn ich die Hände frei habe, werde ich ihnen die Flaschenbombe unter den Ärschen anzünden, daß sie ihre Höllenfahrt mit Donner und Blitz antreten können!
Er begann damit, die Hände unauffällig zu bewegen, um die Lederriemen zu lockern, aber sie saßen sehr fest und schnürten ihm das Blut immer mehr ab, je stärker er die Hände bewegte.
Nach einer Weile gab er auf.
Sie bewegten sich immer noch durch den dampfenden Wald. Ferris Tucker mochte die Luft nicht, die hier herrschte. Sie beklemmte ihn. Er war die reine, salzhaltige Luft des Meeres gewöhnt und atmete schwer unter der drückenden, feuchten Witterung, die hier herrschte.
Er fühlte sich erst wieder wohler, als sie den Rand des Waldes erreichten.
Die Piraten blieben stehen. Ein paar von ihnen gingen voraus. Zorn stieg in Ferris auf, als er den Kerl mit dem dunkelroten Hut vor sich sah, der ihn mit dem Kolben der Muskete niedergeschlagen hatte. Am liebsten hätte er sich vom Rücken des Esels auf ihn gestürzt, aber er sah ein, daß er mit gefesselten Händen gegen dreißig Piraten nur wenig Chancen hatte.
Dann kehrte die Vorhut zurück. Es schien alles in Ordnung zu sein. Sie trieben seinen Esel wieder an. Es wurde heller. Das dunkelgrüne Blätterdach trat zurück, und Ferris sah vor sich eine weite freie Fläche, die mit hohem Gras bewachsen war, immer wieder unterbrochen von kleineren und größeren grauen Felsbrocken.
Eine halbe Meile entfernt stieg das Gelände zu einer kleinen Anhöhe auf.
Ferris kniff die Augen etwas zusammen, die vom hellen Sonnenlicht geblendet wurden. Er starrte zu der Anhöhe hinüber, weil der Kerl mit dem dunkelroten Hut und dem schmalen Oberlippenbärtchen mit dem rechten Arm hinüberwies. Er redete auf zwei Männer ein, die besser gekleidet waren als die anderen Piraten, obwohl ihre Klamotten auch so aussahen, als hätte man sie gestern erst aus dem Wasser gezogen.
Der eine von ihnen trug einen schwarzen Hut mit breiter Krempe und ein gestreiftes Hemd, der zweite hatte einen ziemlich fetten Bauch, wie es Ferris schien. Darüber kreuzten sich auf der Brust ein breiter Waffengurt, in dem drei Pistolen steckten, und ein Gurt, der mit Munition vollgestopft zu sein schien.
Sie redeten ziemlich viel miteinander, und Ferris fluchte, daß er nicht besser zugehört hatte, wenn die Männer auf der „Mercure“ französisch gesprochen hatten. Er verstand zwar einiges, wenn langsam gesprochen wurde, aber der Kerl mit dem dunkelroten Hut sprach ein solches Kauderwelsch, daß Ferris dachte, es müsse eine andere Sprache sein.
Auf der kleinen Anhöhe stand eine Art Fischerhütte. Sie war aus Felssteinen gebaut, die hier überall herumlagen. Das Dach war teilweise von Gras überwuchert.
Ferris schaute sich um. Die Gegend schien ziemlich einsam zu sein. Eigentlich luden diese saftigen Weiden ein, Rinder und Schafe zu halten, aber das war wohl wegen der Piraten, die diese Küste verunsicherten, ein wenig lukratives Geschäft. Wer gab schon sein Vieh gein kostenlos her?
Je weiter sie sich der Hütte näherten, desto mehr wurde Ferris an dem zerfallenen Zustand klar, daß sie unbewohnt sein mußte, und zwar schon seit Jahren. Ein Fensterrahmen, dessen Holz mit grünlichem Schimmel bedeckt war, hing schief in einer Angel. Spinnweben zogen sich über das Fensterloch. Nur die Tür schien einigermaßen in Ordnung zu sein. Sie sah stabil aus und hatte ein eisernes Schloß.
Was das sollte, wußte Ferris nicht, denn wenn jemand in die Hütte eindringen wollte, konnte er auch durch die verrotteten Fenster kriechen.
Vor der Hütte gab der Mann mit dem dunkelroten Hut ein paar Befehle. Ferris sah, daß sie nicht sogleich befolgt wurden. Die Piraten blickten zu den beiden besser gekleideten Kerlen hinüber, und erst als diese nickten, bequemten sie sich, das zu tun, was der andere befohlen hatte.
Ferris wurde vom Rücken des Esels gehoben, als sei er ein Baby. Er ließ es mit sich geschehen. Warum sollte er unnötig Kraft verschwenden? Sie stießen ihn durch die inzwischen geöffnete Tür in einen dunklen Raum, in dem es nach Moder roch.