Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
werden wir sie packen, davon bin ich überzeugt. Die Mannschaft ist sicher nicht vollzählig, denn die anderen können noch nicht zurück an Bord sein.“
Le Testu verzog das Gesicht. Der Plan Servans erschien ihm ein bißchen einfältig, denn die Engländer würden nicht wegen eines einzelnen Mannes ihr ganzes Schiff aufs Spiel setzen. Aber in die Seeoperationen wollte Le Testu seinem Partner nicht hineinreden. Er wußte, daß die Piraten auf Rache für ihre Niederlage sannen. Sie würden kämpfen wie die Teufel, und sicher war auf den englischen Schiffen einiges an Beute zu holen. Das wichtigste aber für ihn war, daß der Sache der katholischen Hundesöhne eine schwere Niederlage zugefügt wurde.
Sie warteten, bis die beiden Piraten mit dem Kieker zurückkehrten. Sie berichteten atemlos, daß die beiden englischen Galeonen immer noch in der Bucht vor Anker lägen. Von Grammonts beiden Schiffen hatten sie allerdings nichts gesehen.
Pierre Servan war ein wenig enttäuscht. Er hatte damit gerechnet, daß Grammont zumindest versuchen würde, den Schiffbrüchigen seines Verbandes irgendwie zu helfen. Aber vielleicht war das aus irgendwelchen Gründen noch nicht möglich gewesen.
Er nickte Le Testu zu. Es wurde Zeit, daß sie sich die Boote holten, wenn sie bei Einbruch der Dämmerung in der Bucht von Sillon de Talbert sein wollten.
Ein Mann wurde zurückgeschickt, um den Gefangenen und seine beiden Wächter zu holen. Dann gab Le Testu das Zeichen zum Angriff. Sie rechneten zwar nicht mit hartem Widerstand, aber sie wußten, daß die bretonischen Fischer harte Schädel hatten mit denen sie auch durch dikke Wände zu gehen versuchten.
Sie schlichen sich vorsichtig an die ersten Häuser heran, bis der Schrei einer Frau das Dorf aus seiner Lethargie riß.
Le Testu und Montbars, beide mit Pistolen in den Händen, liefen auf den kleinen Platz des Dorfes und schossen in die Luft. Die anderen Piraten besetzten die Ausgänge des Dorfes, um die Flucht eines Einwohners zu verhindern, der vielleicht von irgendwoher Hilfe holte.
Der kleine Platz füllte sich. Die Fischer waren aus ihren Häusern getreten und bildeten vor Le Testu und Montbars eine dichte Mauer. Ihre Gesichter waren grimmig verzogen. Sie ließen sich von den Waffen der Männer nicht beeindrucken.
Einer von ihnen trat vor. Es war ein riesiger Kerl, der Le Testu noch um einen halben Kopf überragte. Seine Oberarme waren Muskelberge, und Le Testu dachte, daß er diesem Kerl nicht ohne Waffe gegenüberstehen wollte.
„Was sucht ihr hier bei uns?“ fragte der Riese grollend. „Wir wollen in Frieden leben. Zwingt uns nicht, für irgendeine Seite Partei zu ergreifen!“
Le Testu grinste schief. Die Leute hatten wohl schon ihre Erfahrungen gesammelt. Wahrscheinlich waren außer Piraten und Hugenotten auch schon die Soldaten von Heinrich von Bourbon oder die des Königs bei ihnen gewesen.
„Ihr könnt auch weiter in Frieden leben“, sagte Le Testu. „Wir wollen uns nur eure Boote für einen Tag ausleihen, da wir sie für eine dringende Mission brauchen.“
Es dauerte eine Weile, bis der Riese zu begreifen schien, was der Kerl da von ihm forderte. Die Boote ausleihen? Er lachte innerlich auf. Er wußte, was Kerle wie diejenigen, die in ihr Dorf eingedrungen waren, unter „ausleihen“ verstanden. Wenn die ihre Boote erst mal in den Fingern hatten, dann würden die Fischer sie nie wiedersehen.
Der Riese schüttelte den Kopf.
„Ohne Boote müßten wir verhungern“, sagte er. „Wir könnten nicht mehr zum Fischfang hinausfahren. Es tut uns leid, aber ihr müßt es in Saint Malo oder in Dinant versuchen.“
Das Lächeln war aus Le Testus langem Gesicht verschwunden.
Er legte den Kopf etwas schief und sagte: „Wir haben aber leider nicht so viel Zeit, daß wir nach Saint Malo marschieren könnten. Wir werden uns die Boote leihen, und ich möchte den sehen, der uns davon zurückhalten will!“
Der Riese trat einen Schritt vor. Noch hatte er die muskelbepackten Arme vor der Brust verschränkt. In seinen hellen Augen war ein gefährliches Funkeln. Er schüttelte bestimmt den Kopf.
„Ihr werdet die Boote nur über meine Leiche kriegen“, sagte er mit grollender Stimme.
„Das ist kein schlechter Vorschlag“, sagte Le Testu kalt, hob den rechten Arm mit der Pistole und schoß auf den Riesen.
Die Kugel schlug knapp oberhalb der verschränkten Arme in die linke Brustseite des Mannes, dessen Augen sich vor Entsetzen weiteten. Er ließ die Arme sinken und starrte an sich hinunter. Sein gestreiftes Leinenhemd sog sich mit seinem Blut voll.
Dennoch schwankte die Gestalt nicht ein bißchen. Die blauen Augen, in denen Überraschung, Schmerz und Zorn standen, richteten sich auf Le Testu, der ein bißchen bleich um die Nase wurde, als er sah, daß seine Kugel den Mann nicht einmal hatte erschüttern können.
Instinktiv trat der Wegelagerer einen Schritt zurück.
In diesem Augenblick schoß auch Montbars, und dessen Kugel zwang den Riesen auf die Knie.
Schreie aus Männerkehlen hallten plötzlich über den kleinen Platz. Aus einem der Häuser hastete eine Frau in einem schwarzen Kleid und warf sich vor dem Riesen auf die Knie. Sie umschlang den wie gelähmten Mann, drehte den Kopf zu Le Testu und schrie: „Mörder! Mörder!“
Die Fischer wollten auf Le Testu und Montbars losgehen, doch da tauchten von allen Seiten die schwerbewaffneten Piraten auf. Das Sonnenlicht glitzerte auf den Säbeln und Messern.
Die Fischer blieben stehen und starrten in ohnmächtiger Wut auf die vielen Musketen, die auf sie gerichtet waren. Sie wußten, daß sie gegen die Piraten nichts unternehmen durften, wenn sie ein Blutbad in ihrem Dorf vermeiden wollten.
So verhielten sie sich still, als die ersten Männer zum Strand hinuntergingen. Sie sahen, wie ein Esel, der mit Waffen vollgepackt war, zu den Booten gezerrt wurde. Sofort begannen einige Piraten, die Waffen in eins der Boote umzuladen.
Auch Le Testu und Montbars zogen sich langsam zurück. Sie hatten keinen Blick mehr für den Riesen, der jetzt auf der Seite lag und sich nicht mehr rührte. Er hatte es nicht anders gewollt. Wäre er in seinem Haus geblieben, hätte er jetzt noch am Leben sein können.
Ferris Tucker fluchte, als einer seiner beiden Wächter ihm die Mündung seiner Pistole in den Rücken stieß. Am liebsten hätte er ausgeholt und ihm mit den gefesselten Händen eine verpaßt, daß er sich überschlagen hätte.
Aber dann fiel sein Blick zu dem kleinen Platz des Dorfes hinüber, und er sah die Menge, die sich um jemanden scharte. Er hatte die Schüsse, die in gewissem Abstand gefallen waren, vernommen, und nun konnte er sich denken, was geschehen war. Einer der Piraten hatte einen Fischer über den Haufen geknallt.
Sie zerrten Ferris zu den Booten am Strand. Die meisten Piraten saßen schon in den Booten und pullten durch die Bucht aufs offene Meer hinaus. Der Esel lief laut schreiend auf das Dorf zu.
Le Testu, der neben dem letzten Boot stand, brüllte zu den Fischern hinüber: „Einen Esel für sieben Boote, ist das kein Geschäft?“ Er lachte dröhnend und vollführte eine obszöne Geste, als ihm die Männer von den Häusern herüberdrohten. Dann wandte er sich an Ferris Tucker.
„Los, rein ins Boot“, sagte er scharf.
Ferris hob ihm die gefesselten Hände entgegen.
„So kann ich mich schlecht bewegen“, sagte er.
Le Testu starrte ihn mißtrauisch an.
„Gut“, erwiderte er schließlich. „Ich binde dich los, Engländer. Aber du kannst sicher sein, daß du wie der Fischer da hinten an einer Kugel krepierst, wenn du auch nur versuchst, gegen einen von uns deine Faust zu erheben!“
Ferris Tucker nickte und dachte: Quatsch nur, du Affe. Ich werde den richtigen Augenblick schon nicht versäumen.
Auf einen Wink Le Testus hin wurden Ferris die Lederriemen abgenommen. Ein Prickeln lief durch seine Hände, als die Blutzufuhr wieder einsetzte. Er rieb sich die Handgelenke, und