Unschuldig angeklagt und verurteilt. George Kardinal Pell
begonnen. Rebecca hat mir das Buch auf meine Bitte hin mitgebracht. Ich musste daran denken, wie ich gemeinsam mit Kris Sadowski9 sein hübsches altes Haus in Moskau besucht habe. Oder hatte Kris den Ausflug nur organisiert? Nein, ich glaube, er war dabei.
Danach war der ältere angelsächsische Arzt da, der mich gestern untersucht hat, um mir zu sagen, dass mein INR-Wert10 über 3 liegt, das ist ein bisschen erhöht, und dass ich das Warfarin ab sofort nicht mehr morgens, sondern abends einnehmen solle. Dann kam er auf meinen Husten zu sprechen und meinte, dass ich keine Grippe habe. Nach dieser Aussage habe ich mich an den Chef des Trakts gewandt, der das Gespräch mitgehört hatte, und darauf hingewiesen, dass man mir den Hofgang jetzt, da ich doch keine Grippe habe, nicht länger verbieten könne. Er antwortete, dass das gesamte Gefängnis unter Quarantäne stehe, vermutlich als Maßnahme gegen die Grippe. Das entsprach vermutlich der Wahrheit, denn wir hatten heute Nachmittag auch keinen Anwesenheitsappell.
Der Arzt hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er es nicht für gut hält, wenn ich mich nicht bewegen kann, wollte sich aber nicht einmischen, weil er nur ein paar Tage in der Woche im Gefängnis arbeitet.
Schwester Mary war da und wurde nicht vorgelassen, aber der Chef hat gesagt, dass wir drei uns zusammensetzen und für die Zukunft ein paar Besuchstermine pro Woche festlegen würden. Eine gute Lösung. Von meinen Anwälten habe ich nichts gehört, vermutlich hätte man sie auch gar nicht zu mir gelassen. Ich huste noch immer eine Menge Schleim heraus, aber mit meiner Erkältung ist es ein bisschen besser geworden. Die Quarantäne soll wohl morgen aufgehoben werden.
Heute habe ich zum ersten Mal den ganzen Tag lang mein Brevier für die Fastenzeit benutzt. Die erste Lesung ist aus dem Buch Exodus, und schon am »fünfzehnte[n] Tag des zweiten Monats« murrte das jüdische Volk gegen Mose und Aaron, weil sie sie in die Wildnis geführt hätten, um sie dort an Hunger sterben zu lassen, und die Israeliten trauerten den verlorenen Fleischtöpfen Ägyptens nach (Ex 16,1–3). Auch Gott wurde angegriffen. Er hörte ihr Murren und schickte die Wachteln und das Manna (Ex 16,11–15). Klartext zu reden, entsprach der Tradition. Ijob hatte also die Unverblümtheit in seinem sprachlichen Ausdruck nicht neu entdeckt.
Zu meiner Freude sind ein paar Ausgaben von The Spectator mit sehr guten und wohlwollenden Artikeln über meinen Fall angekommen. Auch Charles Moore hat einen nützlichen Beitrag verfasst.11 Meine alten Ausgaben von The Spectator und den anderen Zeitschriften hatte ich zuvor der Gefängnisbibliothek überlassen, sodass ich jetzt neue Hefte erhalten durfte – maximal sechs.
Michael Davis vom Catholic Herald hat Robert Richter in The Spectator dafür kritisiert, dass er mich nicht in den Zeugenstand gerufen hat.12 Das ist falsch dargestellt worden, da ich die Entscheidung selbst getroffen habe.
Bis zur Hälfte des ersten Verfahrens war ich davon ausgegangen, dass ich in den Zeugenstand gerufen würde, doch Robert erklärte mir, dass er sich grundsätzlich nicht darauf einlasse und dass sich bisher nur ein einziger Mandant nicht an seinen Rat gehalten habe. Ich war erleichtert und habe nie viel darüber nachgedacht.
Frank Brennan wollte die ganze Zeit, dass ich in den Zeugenstand treten sollte, vor allem nachdem die Geschworenen nicht zu einem Mehrheitsurteil gekommen waren. Schließlich entschied ich mich doch dafür auszusagen, obwohl das ganze Anwaltsteam und meine eigenen Berater dagegen waren. Terry Tobin13 schloss sich meinem Standpunkt an.
Erst nachdem der Staatsanwalt sich mit Charlie Portelli und insbesondere Max Potter14 befasst hatte, beschloss ich, nicht in den Zeugenstand zu treten. Ich war so verärgert darüber, wie die beiden behandelt worden waren, dass ich befürchtete, mein grimmiges Auftreten könnte aus einem mutmaßlichen Mehrheitsvotum für meinen Freispruch ein Unentschieden werden lassen. Dabei bin ich allerdings von ziemlich falschen Voraussetzungen ausgegangen.
Ich kann mich über Richters Arbeit nicht beklagen. Forensisch betrachtet haben wir den Prozess klar gewonnen und meiner Meinung nach hat er das im zweiten Verfahren eindrucksvoller demonstriert als im ersten. Robert ist ein Freund, den ich bewundere, ein herausragender QC15, der über das »absurde Urteil«, wie er es nennt, sehr aufgebracht ist und sich auf der Titelseite von The Age zu seinem Glauben an meine Unschuld bekannt hat.16 Es ist weder für mich noch für das ganze Anwaltsteam erklärlich, wie und mit welcher Logik die Geschworenen zu einem einstimmigen Schuldspruch gekommen sind. Philip Breenes Artikel in The Spectator vom 9. März über Joh. Bjelke-Petersen erklärt vermutlich, was in meinem Fall geschehen ist.17 Die öffentliche Meinung war einfach zu feindselig.
Gott, unser Vater, ich weiß nicht, wie viele Menschen im Lauf der Jahrhunderte überall auf der Welt genau wie dein Sohn ungerecht verurteilt worden sind. Sorge du für diese Opfer. Ich bete für unser Rechtssystem hier in Australien, dass alle Verantwortlichen sich gewissenhaft für die Gerechtigkeit einsetzen, und ich bete insbesondere für all meine australischen Landsleute, die zu Unrecht verurteilt worden sind.
Mittwoch, 20. März 2019
Ein ungewöhnlicher Tag, auch wenn die Abläufe sich ein klein wenig normalisiert haben. Beim Frühstück teilte mir der Wachmann mit, was ich ihn auch schon zu meinem unbekannten Zellennachbarn hatte sagen hören (wir sind zu zwölft in diesem Trakt, aber ich habe noch keinen der anderen Häftlinge zu Gesicht bekommen), nämlich dass das Gefängnis heute geschlossen bleiben und unter Quarantäne gestellt würde. Ich bedankte mich für die Information und dachte im Stillen, dass dies bei den allermeisten Häftlingen wohl nicht gut ankommen würde, wenn sie wieder den ganzen Tag in der Zelle verbringen müssten.
Ganz überraschend wurde ich um 11.30 Uhr gefragt, ob ich einen Hofgang machen wolle, weil die Quarantäne in unserem Trakt, in dem niemand Grippe hat, aufgehoben worden sei. Mein Husten hat nachgelassen und wurde trockener, und natürlich freute ich mich, 35 Minuten lang an die frische Luft zu kommen, auch wenn die Telefone nicht benutzt werden konnten. Gestern bin ich einmal pro Stunde oder alle zwei Stunden jeweils 100 Schritte auf der Stelle getreten, aber das ist nicht dasselbe wie ein Hofgang, auch wenn der Bereich begrenzt und etwas heruntergekommen ist. Es war warm, also habe ich meine Strickjacke ausgezogen, und trotz des bedeckten Himmels war es schön, draußen zu sein. Mein Gefängnisoberteil muss dringend gewaschen werden (das haben sie mir für morgen versprochen), deshalb habe ich unter der alten dunkelblauen Strickjacke mein langärmliges blau-weißes Hemd getragen. Ich muss sagen, durch den Wechsel habe ich mich ein bisschen besser gefühlt.
Vor etwa einer Woche hat mich eine der Dominikanerinnen aus Ganmain, die früher als Physiotherapeutin gearbeitet hat, darauf hingewiesen, dass ich nicht vergessen sollte, meinen Oberkörper zu trainieren. Bis dahin hatte ich nichts dergleichen getan, aber seither mache ich regelmäßig ein paar einfache Übungen.
Wieder 25 bis 30 Briefe, darunter auch schöne lange von Rebecca und Georgie und ein paar unerwartete Seiten von Margaret. Georgie sandte mehrere Vorschläge und ein Quiz, sodass ich meine Hausaufgaben machen muss, ehe ich sie am Montag treffen werde.
Die Briefe sind natürlich ermutigend und viele davon geben Zeugnis von einem tiefen Glauben. Eine richtige Wohltat. Einige danken mir für die Maßnahmen, die ich ergriffen habe, um den Glauben in der Gemeinschaft zu stärken, und ich bin dankbar dafür, dass das anerkannt und die jeweiligen Initiativen auch erkannt werden. Das Wachstum kommt von Gott, aber die Maßnahmen waren gut gemeint und stimmig und, davon bin ich zutiefst überzeugt, im Einklang mit den einzigen Strategien, die möglicherweise eine Stärkung bewirken können. Wir hatten magere Jahre, und Gebet, Rechtgläubigkeit und Loyalität sind keine Garantie für echtes Wachstum. Wir müssen jedoch mit dem Weinstock verbunden bleiben, und ohne Glauben, Gebet und Opfer werden wir ganz sicher keine echte Vitalität erlangen.
Zu viele, sogar einige Bischöfe, haben sich schon zu sehr mit dem Niedergang abgefunden, und manche wissen nicht einmal, wo das Schlachtfeld ist. Einige der Funktionäre, die an der bevorstehenden Vollversammlung 2020 teilnehmen werden, gehören zu dieser Kategorie. Wenn die Dinge schieflaufen, könnte die Vollversammlung letztlich einen Erdrutsch auslösen, der in einem ähnlichen Zusammenbruch endet wie in Quebec, den Niederlanden und Belgien. Doch die jungen Priester, die jungen Ordensfrauen (soweit vorhanden) sind gläubig, Menschen des Gebets, die wissen, wo das