Unschuldig angeklagt und verurteilt. George Kardinal Pell

Unschuldig angeklagt und verurteilt - George Kardinal Pell


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vollkommen ist.

      Gott wird oft auf eine Art gutmütiger Onkel oder Großvater reduziert: gemächlich, freundlich, anspruchslos und ineffektiv. Es ist erstaunlich, wie wenig Zeit in den Lehrplänen im Fach Religion über die Jahre hinweg dafür vorgesehen ist, das Profil Gottes zu schärfen und zu erklären. Als ich Weihbischof war, habe ich mit den Schülern, die gefirmt werden sollten, Gespräche geführt und wir haben dabei regelmäßig um Antworten auf die Frage gerungen, was es bedeutet, wenn die Kirche lehrt, dass Gott »Geist« ist.

      Die neue Übersetzung in der Messliturgie habe ich begrüßt, die et cum Spiritu tuo mit »und mit deinem Geiste« wiedergibt. Dadurch hat der Begriff Eingang ins regelmäßige Beten – und damit Beachtung gefunden und war nicht mehr so leicht zu ignorieren.

      Gott ist der Geist der Liebe, der durch seinen Sohn das Universum geschaffen hat und der jedes Verbrechen vergibt, wenn echte Reue erweckt wird. Selbst Stalin, Hitler, Pol Pot und Mao kämen dafür infrage. Das ist außergewöhnlich.

      Wenn sich der Niedergang des Christentums fortsetzt, wird die Gesellschaft weniger vergebungsbereit sein. Konstantin war der erste christliche römische Kaiser und ich bewundere ihn sehr, denn er hat soziologische Strömungen entstehen lassen, die die Menschen zu Gott und zum Guten hingeführt haben. Peter Brown, der beste lebende Experte für die Geschichte des frühen Christentums, stellte fest, dass damals viele zum katholischen Glauben hingeführt wurden. Aus einem unbekannten Grund hat Konstantin seinen Sohn Crispus töten lassen, und seine heidnischen Gegner behaupteten, er sei deshalb Christ geworden, weil seine Sünden hier vergeben werden konnten, denn im Heidentum ist die Ermordung eines erwachsenen Kindes ein unverzeihliches Verbrechen. Abtreibung war allerdings gang und gäbe.

       Herr Jesus, lass neue Menschen wie Elija unter uns erstehen, Männer und Frauen, die insbesondere in Australien die Flamme des christlichen Monotheismus am Brennen halten. Wir wollen nicht, dass unser Land eine trockene, ausgedörrte Einöde wird, in der die Sehnsucht nach Transzendenz schwach, der Aberglaube dagegen stark ist.

       Freitag, 22. März 2019

      Ein zweiter Tag, der anders war, nicht wegen des zweiten AFL-Spiels zwischen Collingwood und Geelong, sondern weil der sympathische Vollzugsbeamte, ein großer, offenherziger Mann, mir drei Hofgänge erlaubt hat. Den ersten in der Morgenkühle gegen 9.00 Uhr, den zweiten gegen 13.00 Uhr und den dritten gegen 16.00 Uhr, als die Sonne schon ans Untergehen dachte. Es war ein schöner Nachmittag, als die Sonne sich in den benachbarten Wolkenkratzern spiegelte und ich ein paar Vögel singen und zwitschern hörte. Ich habe den Gesang der Vögel immer geliebt – auch wenn »Gesang« bei manchen australischen Vögeln, zum Beispiel dem Kookaburra26, vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist. Der Vogelgesang ist ein Geschenk, aber wir halten ihn meist für selbstverständlich. Trakt 8, in dem ich untergebracht bin, liegt im fünften Stock, sodass es richtige Klettervögel sein müssen.

      Außerdem bin ich zweimal zum Blutabnehmen in die Medizinische Abteilung gerufen worden, weil die erste Probe nicht ausgereicht hat. Die indische Krankenschwester, die das Blut abnehmen sollte, hatte nicht viel Erfahrung auf diesem Gebiet. Man merkte ihr das auch an, denn sie war ein wenig angespannt. Eine erfahrenere irische Schwester konnte sie unterstützen. Es ging nur darum sicherzustellen, dass mein Blut dünnflüssig genug ist, um keinen Schlaganfall zu bekommen. Abgesehen davon, dass ich immer noch erkältet bin, habe ich keinerlei gesundheitliche Probleme, auch wenn einige Zeitungen berichten, dass ich im Krankenhaus läge. Ich weiß nicht, wer oder was hinter solchen Gerüchten steckt.

      Eine kleine Abordnung der Verantwortlichen des Gefängnisses hat mir ein paar Fragen gestellt. Sie wollten wissen, wie ich zurechtkomme. Ich habe ihnen erklärt, dass alles in Ordnung sei, dass ich keine Klagen habe und es zu viel zu essen gebe. Der Drogen- und Alkohol-Beauftragte fragte mich, ob ich ihm irgendetwas mitteilen wolle, und ich habe geantwortet, dass ich mir in meiner gegenwärtigen Lage weder das eine noch das andere beschaffen könne. Die Leiterin der Gruppe, Miss Kendall, wünschte mir viel Glück für mein Berufungsverfahren.

      Der Tag war auch deshalb ungewöhnlich, weil ich nicht genug Zeit für mein komplettes Tagesprogramm hatte!

      Auf H.s Vorschlag hin habe ich meine Laken und Decken gewechselt, um meine Erkältung loszuwerden. Anstelle der zwei alten dünnen Decken bekam ich eine von derselben Sorte und eine neue schwere, dunkle Decke, die definitiv etwas ausmachen wird. Ich danke Gott für diesen freundlichen Vorschlag und freue mich über eine weitere kleine Gnade.

      Das Leben ist momentan recht schlicht – mit gelegentlichen kleinen Beeinträchtigungen wie einer Zahnbürste mit zu kurzem Griff, der sich bei Gebrauch verbiegt, und dünnen Plastikmessern, die nicht wirklich gut schneiden. Beide sind so entworfen, damit man sie nicht als Waffe benutzen kann.

      Meine Müllentsorgungstechnik wird immer besser. Ich versuche, eine große braune Papiertüte zu bekommen, wickle meinen Müll in Zeitungspapier und stopfe ihn bis zur täglichen Müllabholung kurz vor dem Nachteinschluss gegen 16.00 Uhr in die Tüte. Das Duschwasser ist heiß, genau wie es für die Internatsschüler Ende der 1940er- und in den 1950er-Jahren am St-Patrick’s in Ballarat war. Das Gefängnisessen ist allerdings besser und reichlicher als damals am St Pat’s.

      In den Zeitungen steht, dass ich 23 Stunden täglich in Einzelhaft verbringe. Es ist aber nicht wie bei den Schweigeexerzitien, denn ich habe einen Fernseher, hier und da Kontakt mit dem Wachpersonal, das nicht feindselig ist, Termine (beim Arzt zum Beispiel), Gespräche mit den Anwälten und zweimal in der Woche, nämlich montags und donnerstags, Besuche von draußen. Mein Hofgang, in der Regel zweimal eine halbe Stunde, findet ebenfalls in der Isolation statt.

      Leider ist Rances ACL27 komplett gerissen, sodass er zwölf Monate ausfällt, aber glücklicherweise hat Geelong in einer hervorragenden Partie gegen Collingwood gewonnen. Collingwood hat viele Chancen vertan, vor allem im zweiten Viertel, und bei Geelong haben alle sechs Neuzugänge gut gespielt.

      Einige meiner engsten Freunde und Verwandten sind Pies-Fans.28 In den Fragestunden, die ich bei den Firmlingen eingeführt hatte, als ich zwischen 1987 und 1996 Weihbischof war, hat mich immer jemand nach meiner Lieblingsmannschaft gefragt. Dann habe ich um Ruhe gebeten, die auch ausnahmslos eintrat, und erklärt, dass ich zwei Mannschaften die Daumen drücke: Richmond und jedem Team, das gegen Collingwood spielt. Was folgte, waren mehr oder weniger tumultartige Zustände. In Wirklichkeit habe ich eine heimliche Schwäche für Collingwood, seit sie vor Jahrzehnten, als »sie« uns nach Queensland verbannen wollten, Geld für uns [Richmond] gesammelt hatten, damit wir in Melbourne bleiben konnten.

      Nach wie vor treffen Briefe ein, die mir Mut zusprechen, einige davon sind wirklich schön geschrieben und zutiefst spirituell, wenn nicht gar theologisch. Eine Briefschreiberin in New South Wales hat – wie einige andere auch – meine Situation mit der von Lindy Chamberlain verglichen, deren Baby von einem Dingo [australischen Wildhund] verschleppt worden war. Auch sie wurde von der öffentlichen Meinung gnadenlos verurteilt.

      Die Briefschreiberin hat mich daran erinnert, dass Gottes heilige Kriegerengel um mich herumstehen und dass der Helm des Heils, der Schild des Glaubens und das Schwert des Geistes mich beschützen. Sie bat mich auch, meinen Klägern zu vergeben, sie zu segnen und für sie zu beten, was ich auch tue, und das ohne große Probleme.

      Sie weist darauf hin, dass sowohl der heilige Paulus als auch der Pilger aus The Pilgrim’s Progress und auch Lindy Chamberlain über ihre Erfahrungen im Gefängnis geschrieben haben, und forderte mich auf, dasselbe zu tun, um Zeugnis von Gottes Güte abzulegen und auf diese Weise »vielen anderen Hoffnung zu schenken, die ihre eigenen Prüfungen durchstehen müssen, damit sie standhaft bleiben in ihrem Glauben an Gottes erlösende Macht und Liebe sowie in der Treue zu seinem Wort«.

      Ich weiß, dass all die Gebete für mich nach Gottes Plan nicht vergeudet sein werden, und möglicherweise ist auch dieses Tagebuch Teil eines solchen Plans.

      Ein wunderbarer Brief kam von den vier verbleibenden Mitgliedern des Instituts Johannes Paul II. für Ehe und Familie, dessen Gründung ich 2001 unterstützt habe und das nun wegen finanzieller Engpässe im Erzbistum Melbourne – demselben Bistum, das erst kürzlich zehn Millionen für ein Bürogebäude


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