Unschuldig angeklagt und verurteilt. George Kardinal Pell
Kennzeichen. Wir müssen unsere Identität in vielfältiger Weise definieren.
Meine diesjährige Fastenzeit im Gefängnis wird die allzu leichte Bußpraxis vieler Jahre wettmachen.
Gott, unser Vater, hilf uns, uns gut auf das Osterfest vorzubereiten, an dem wir das Leiden, den Tod und die glorreiche Auferstehung deines Sohnes feiern. Hilf uns, dies durch Gebet, barmherzige Werke und Fasten zu tun.
Mittwoch, 27. März 2019
Vier Wochen sind vergangen, seit ich in Haft bin. Eine Art Meilenstein, aber auch eine Erinnerung daran, dass noch ein paar Monate vor mir liegen. Es ist viel besser, die Situation wie die Anonymen Alkolholiker von einem Tag auf den nächsten anzunehmen und sich auf Höhepunkte, besonders die Kar- und Ostertage, vorzubereiten.
Der Häftling, den sie mit Gas aus seiner Zelle geholt haben, ist in ein anderes Gefängnis verlegt worden. Der gebrüllte Dialog war heute Abend laut und deutlich, kann sein, dass noch eine dritte Stimme dabei war. Die muslimischen Gebete waren heute Morgen gedämpft zu hören, heute Abend habe ich bis jetzt jedoch nichts gehört. Ich frage mich, ob er bei diesen Gelegenheiten still betet oder ob er eine Pause beim Beten einlegt.
Michael, Ruth und Rachel Casey8 haben mir drei schöne kleine Karten gesandt: eine Madonna mit Kind von da Vinci, das Thomas-Morus-Porträt von Holbein und einen Paradiesgarten aus dem 15. Jahrhundert. Sie stehen hinter mir auf dem Regal, während ich dies schreibe.
In Sunrise war heute Morgen in den Schlagzeilen am unteren Bildschirmrand zu lesen, dass eine große Zahl von Herausgebern von Zeitungen und Zeitschriften, Reportern und Nachrichtensprechern (tatsächlich 33) wegen Missachtung des Gerichts angeklagt worden sind, weil sie gegen die in meinem Fall verhängte Nachrichtensperre verstoßen haben. Ich bin nicht sicher, ob dies bei Gericht angesichts der gespaltenen öffentlichen Meinung helfen wird, aber es ist sicher kein Nachteil für mich.
Ich muss gestehen, dass ich mich darüber freue, denn sie haben mit ihren Aktivitäten bei vielen Leuten meinen Ruf ruiniert. Und ich glaube nicht, dass meine Haltung unchristlich ist, auch wenn Schwester Mary Therese, die Gründerin der Immaculata Schwestern, die jetzt in Tasmanien ist, Lk 6,27–36 zitiert und mich an das Jesuswort von der Feindesliebe erinnert hat: »Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!«
Tatsächlich haben mich ein oder zwei Anwälte der Gegenseite und einige Journalisten mit ihrem Verhalten mehr aufgebracht als meine Ankläger. Das Empfinden ist das eine, doch es muss geläutert und zuweilen umgelenkt werden.
Wie eine ganze Anzahl verständnisvoller und frommer Katholiken hat auch Schwester Therese den Eindruck, dass der Kirche in dieser Leidenszeit viele Gnaden zufließen. Doch ihr letzter Satz ist deutlich genug: »Ich werde viel für Sie beten, damit Sie denen vergeben können, die gegen Sie gesündigt haben, sodass Sie mit Ihrem Verhalten der Welt das Antlitz Jesu zeigen.« Sie hat recht, und ich vergebe ihnen.
Als ich als Bischof und Erzbischof die Firmlinge besucht habe, habe ich schon recht früh die Technik der Dame Edna Everage9 angewandt und Fragen gestellt, um dann mithilfe der Antworten das Gespräch voranzubringen. Fünft- und Sechstklässler antworten in der Regel bereitwillig und in den ersten beiden Jahren der Mittelstufe ist es genauso. Ich habe immer 40 bis 50 Minuten lang Fragen gestellt und den Schülern dann Gelegenheit gegeben, mir ihrerseits 10 oder 15 Minuten lang ihre Fragen zu stellen.
Manche Sechstklässler haben mir Fragen gestellt, die für einen Doktoranden in der Theologie angemessen gewesen wären, während andere Fragen ebenso gut von Zweit- oder Drittklässlern hätten stammen können. Gelegentlich haben auch die Eltern ihren Kindern Anregungen gegeben.
Einmal fragte mich ein Junge nach der Bedeutung eines Verses aus dem Buch Exodus, der in der heutigen Lesung des Breviers vorkommt: Was hat Gott gemeint, als er zu Mose sagte: »Du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht kann niemand schauen«? (Ex 33,23).
Es ist ein Gemeinplatz, dass niemand Gott je gesehen hat. Jesus und die Gottesmutter und viele Heilige waren bei zahlreichen Erscheinungen zu sehen, aber nie die transzendente Dreifaltigkeit.
Durch eine glückliche Fügung hatte ich gerade einen der griechischen Väter gelesen, einen der alten Lehrer der Theologie, nicht der römischen, sondern der orthodoxen Tradition, wie wir sie heute nennen. Damals waren Griechen und Lateiner noch in ein und derselben Kirche vereint, hatten aber andere Liturgien, Andachtsformen, theologische Stile und Interessen.
Ich glaube, der Schriftsteller, den ich damals gelesen habe, war der heilige Gregor von Nyssa, der im 4. Jahrhundert gelebt hat, und seine Erklärung lautete, dass wir Gott nur durch die Schönheiten der Natur sehen können, die Gottes Güte, Größe und Intelligenz widerspiegeln. Der Junge war mit der Antwort ganz zufrieden.
Herr Jesus, hilf uns immer, den unsichtbaren Vater, das transzendente Licht, durch die Wunder zu sehen, die du als das Wort geschaffen hast. Lass nicht zu, dass das Böse und das Hässliche uns ablenken oder gar niederdrücken. Herr, ich gebe zu, dass ich irritiert war über die salbungsvolle Vergebungsbekundung mancher Kirchenmänner. Das schien mir zu einfach, wenn nicht heuchlerisch. Dies mag mein Fehler gewesen sein, vielleicht war es zynisch, die Regung eines schwarzen irischen Herzens. Aber ich bete, dass wir alle, insbesondere auch ich selbst, uns bemühen, so zu vergeben, wie du es auf Golgota getan hast, und in dieser letzten Prüfung das zu praktizieren, was wir predigen.
Donnerstag, 28. März 2019
Heute Morgen bin ich beschwingt aufgewacht, weil mein Neffe Nicholas seinen Besuch angekündigt hat und wegen des Aufeinandertreffens der beiden alten Rivalen Richmond und Collingwood am heutigen Abend. Viele irisch-australische Katholiken haben bis zum Zweiten Weltkrieg in diesen beiden Vorstädten von Melbourne gelebt, und deshalb besteht eine große Rivalität unter den Landsleuten meiner Mutter in Bezug auf die beiden Teams, an der ich mich mit dem größten Vergnügen beteilige.
Nach meinen Maßstäben im Gefängnis war es ein geradezu betriebsamer Tag: Ich hatte zuerst einen Termin beim Physiotherapeuten wegen meiner Schulter, die dank der Behandlung in der letzten Woche schon ein wenig besser geworden ist, und dann in der Medizinischen Abteilung, in der mir Blut abgenommen wurde, um die Viskosität zu überprüfen. Wie üblich waren mehrere Versuche notwendig, um die Menge für eine aussagekräftige Probe zu erhalten. Ich biss mir auf die Zunge und gab mir alle Mühe, nicht zu zeigen, was ich von dieser Effizienz hielt. Aber es gibt keinen Mangel an ärztlicher Versorgung im Gefängnis, zumindest was mich betrifft.
Dann hatte ich eine vergnügliche Dreiviertelstunde mit meinem Neffen Nick, der gut aussah und energiegeladen wirkte. Er muss vorsichtig sein, um sowohl eine Grippe wie auch eine Lungenentzündung zu vermeiden. Er erhält immer noch Angebote für den Bau seines neuen Hauses, der seiner Schätzung nach sieben Monate in Anspruch nehmen wird.
Er steht meinetwegen an seinem Arbeitsplatz unter Druck, deshalb hat er sich ein paar Tage freigenommen. Der Katholikenhass ist groß. Er war schon immer gläubig, obwohl der Glaube bei ihm hin und wieder etwas verschüttet war, aber meine Probleme und die Feindseligkeit gegenüber dem Katholizismus haben aus ihm einen beredten Verteidiger der heiligen Mutter Kirche gemacht, der an seiner Arbeitsstätte an verschiedenen Stellen Medaillen verteilt hat! In seinen Verteidigungsreden hat er mich als einen Mann Johannes Pauls des Großen bezeichnet (seine Formulierung) und die unglaubwürdigen Beschuldigungen über die angeblichen Vorfälle in der Sakristei der Kathedrale verglichen mit Beschuldigungen über Vorfälle, die sich nach einem großen Spiel in den Umkleideräumen des MCG10 ereignet hätten. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Umkleideräume genau wie die Sakristei der Kathedrale in den fraglichen Zeiten sehr belebte Orte sind. Er erzählte, dass sich leider viele seiner maltesischen katholischen Kollegen zumindest anfangs von der Lawine der Feindseligkeit in den Medien hatten mitreißen lassen. Als ich darauf hinwies, dass ich in den letzten 18 Monaten in Sydney und Umgebung keinen einzigen negativen Kommentar gehört, aber sehr viel Zuspruch erhalten hatte, war er überrascht. In dieser Hinsicht ist Victoria ein anderes Land. Darüber, dass meine frühere Schule St Patrick’s in Ballarat so rasch auf Distanz gegangen ist, war er genauso bestürzt