Unschuldig angeklagt und verurteilt. George Kardinal Pell

Unschuldig angeklagt und verurteilt - George Kardinal Pell


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in der letzten Zeit, auf die Notwendigkeit, die Entscheidung der Berufungsrichter abzuwarten, hat es dort gegeben.

      Die Briefflut reißt nicht ab. Gestern erklärte mir H., dass im Büro »88« Briefe für mich lägen, die ich aber erst am Wochenende bekommen würde, weil das Wachpersonal sie zuerst lesen müsste. Tatsächlich habe ich heute rund 15 erhalten, darunter eine ermutigende Nachricht des emeritierten Erzbischofs von Perth, Barry Hickey, mit zwei guten Zitaten aus dem zweiten Korinther- und aus dem Epheserbrief: »Schließlich: Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!« (Eph 6,10). In einem schönen Brief aus Kingaroy, Queensland, war von der Stille die Rede: »Die Stille im Morgengrauen, ehe der Posten ins Horn stößt, vielleicht der erste Gesang eines Vogels.« Die Schreiberin endet mit den Worten: »Machen Sie sich die Stille zum Freund und Sie werden durch sie siegen.«

      Collingwood hat Richmond auseinandergenommen, die völlig überrumpelt wurden. Grundy hat im Ruck11 dominiert. Dusty Martin ist immer noch ein guter Spieler, aber nur noch ein Schatten des Ballzauberers, der er vor zwei Jahren war. Tatsächlich ist Richmond beinahe überall geschlagen worden, was zu einer ziemlichen Differenz beim Punktestand geführt hat. Dieses Jahr werden die Tiger die Meisterschaft nicht gewinnen. Und obendrein hat sich Jack Riewoldt verletzt. De Goey war großartig, fünf Tore für die Pies, während bei Lynch (Tiger) die Formkurve auch nach oben zeigt mit wieder einmal drei Toren.

      Das Brexit-Fiasko in Großbritannien zieht sich weiter hin, vieles spricht für einen No-Deal-Exit. Von erfolgreichen Verhandlungen kann keine Rede sein, aber weil viele Brexit-Gegner sich weigerten, die Entscheidung zu akzeptieren, und das Unterhaus so gespalten war, hätte es, um dem derzeitigen Chaos zu entkommen, mehr Kraft, Klugheit und Glück gebraucht, als May aufbieten konnte.12

      Die Unnachgiebigkeit der europäischen Führung ist eine Langzeitgarantie für Katastrophen, und die Sorge um die Zukunft der Europäischen Union verstärkt ihre Starrheit. Keine Regierungsmannschaft kann einen Staatenbund leiten, wenn sie vorschreibt, welche Form Bananen haben und aus welchen Zutaten Fleischpasteten bestehen müssen, und wenn sie irische Bürger daran hindert, die Gräber für ihre Angehörigen vorzubereiten, weil das die Aufgabe der Totengräber sei.

      Der Alltag in meiner Zelle ist weit von diesen wichtigen und unwichtigen Themen entfernt. Football ist eine schöne Freizeitbeschäftigung, aber nicht mehr als das.

       Herr Jesus, hilf mir, das Übermaß an Stille zu nutzen, um dir näherzukommen und so die Spaltung in unserer Gesellschaft und die Wunden der Opfer heilen zu helfen.

       Freitag, 29. März 2019

      Meine Überlebens- und Bewältigungstechnik hat sich seit meiner Ankunft geändert und verbessert. Dass ich mich zwischen 6.00 Uhr, wenn ich meine Medikamente bekomme, und 7.15 Uhr, wenn die Sirene heult, noch einmal ins Bett lege, ist inzwischen ein wichtiger Teil des täglichen Rituals geworden. Ich habe gehört, dass es eine Bußübung beim Opus Dei ist, gleich nach dem Wachwerden aus dem Bett zu springen, aber ich habe es schon immer vorgezogen, nach dem Klingeln des Weckers noch fünf Minuten im Bett zu bleiben.

      Mein Sudoku-Buch enthält 250 Rätsel und ich versuche, täglich zwei zu lösen, eins davon ungefähr aus dem zweiten Drittel, denn sie sind nach Schwierigkeitsgrad gestaffelt, und ich will nicht in den letzten Wochen vor meiner Berufungsverhandlung zu ständiger Frustration verurteilt sein, weil ich die ganz einfachen schon gelöst habe und mit den schwierigen schlichtweg überfordert bin. Ich bin besser geworden, an den meisten Tagen kann ich beide lösen. Manchmal wechsle ich ab und versuche, das »sehr einfache« Sudoku aus der Herald Sun – der einzigen Zeitung, die hier zugelassen ist – von Montag, Mittwoch und Freitag zu lösen. Peinlicherweise hat mir diese »sehr einfache« Kategorie anfangs einige Schwierigkeiten bereitet.

      Fast immer habe ich zweimal täglich eine halbe Stunde lang Hofgang in einem der etwas heruntergekommenen Bewegungsbereiche. Heute habe ich den Wachmann um einen Besen gebeten, um den kleinen Hof zu säubern, und er hat eingewilligt. Ich hatte schon seit einer Weile darüber nachgedacht, aber mich gefragt, ob ein solches Ansinnen Staub aufwirbeln würde. Jedenfalls ist die Sache jetzt erledigt – weniger aus Selbstlosigkeit als aus Eigennutz, denn ein verschmutzter Hof wirkt auf mich ein bisschen deprimierend. Morgen – oder sobald man es mir erlaubt – werde ich versuchen, den zweiten Bereich zu fegen.

      In der Nähe haben die Vögel gesungen, als ich gegen 15.45 Uhr draußen war, das war erst das zweite Mal, dass ich sie hören konnte, und die Möwen haben gekreischt. Im Hof kann man das Telefon benutzen. Heute habe ich versucht, Erzbischof Fisher13 zu erreichen, doch ich konnte hören, wie der Mitarbeiter am Empfang des Polding Centre14 den Anruf beendet hat. Ich war am Telefon noch nie besonders redegewandt, und bevor ich vor ein paar Jahren nach Australien zurückgekehrt bin, hatte ich noch nie ein Handy benutzt. Natürlich werden alle Gespräche mitgehört.

      Dreimal in der Woche können wir uns ein paar Kleinigkeiten aus der Kantine bestellen, somit habe ich hier meine Lipton- und Kamillenteebeutel, zwei Tafeln Cadbury’s Vollmilchschokolade (nur vier kleine Stückchen am Tag), Zahnpasta, Shampoo und sogar Vaseline-Hautlotion erhalten. Kein Luxus, aber kleine Annehmlichkeiten. Ich »hänge« sehr an meinem Wasserkocher und an meinem Fernseher.

      Am Seminar in Werribee, wo ich vor 59 Jahren mit meiner Priesterausbildung begonnen habe, hat man immer darauf gedrängt, dass wir uns nicht zu sehr an geschaffene Dinge »hängen«, uns nicht zu abhängig davon machen sollen. Natürlich könnte ich im Gefängnis auch ohne Wasserkocher und Fernseher überleben, aber ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird. Das Leben hält oft seltsame und willkommene Tröstungen bereit.

      Einen Vers aus Psalm 69 im heutigen Brevier habe ich mir sehr leicht zu eigen machen können:

       Nicht sollen zuschanden werden durch mich,

       die auf dich hoffen,

       Herr, Gott der Heerscharen,

       nicht sollen durch mich beschämt werden,

       die dich suchen, du Gott Israels.

      »Amen« zu alldem.

      Ich habe meine tägliche Betrachtung zum Buch der Offenbarung fortgesetzt: einer beunruhigenden Geschichte des Jammers, die von schönen mystischen Momenten durchsetzt ist, zum Beispiel der großen Schar, die niemand zählen kann, aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen, die vor dem Thron des Lammes stehen und Gott anbeten und preisen, den 144 000 Jungfrauen auf dem Berg Zion und der schwangeren Frau, »mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt« (Offb 12,1).

      Doch hinter diesen Momenten des Triumphes steht die Vollstreckung der göttlichen Gerechtigkeit, denn das Lamm öffnete die sieben Siegel vor »zehntausendmal zehntausend Engeln«, und die sieben Engel mit den sieben goldenen Schalen gingen hinaus und gossen den Zorn Gottes über die Erde aus, und nur die weiß gekleideten Märtyrer, die ihre Gewänder »im Blut des Lammes weiß gemacht« haben, wurden verschont (Offb 7,14).

      Wie ist das alles zu verstehen? Dieses Buch ist Teil des geoffenbarten Wortes Gottes, das heißt, wir können es nicht zur Seite legen und einfach übergehen, sondern müssen mit dem Text ringen und ihn so gut wie möglich zu verstehen versuchen.

      Vielleicht zwei Bemerkungen vorweg: Das Übernatürliche ist ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Botschaft. Wenn der Katholizismus auf ein agnostisches Dienstleistungsunternehmen reduziert wird, wird die Tradition verraten und es wird keine Konvertiten mehr geben. Der Exodus wird dann umso schneller vonstattengehen. »Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?« (Lk 18,8) lauten die ernüchternden Zeilen des Neuen Testaments.

      Christus hat von einem erfüllten Leben nach dem Tod gesprochen, einem wunderschönen oder furchtbaren Leben, das unseren Erkenntnishorizont weit übersteigt, und das Buch der Offenbarung vermittelt uns eine erste Ahnung von dieser Reise. Der Himmel wird anders sein als der wohlverdiente Weihnachtsurlaub und auch anders als die besonders lange Reise in fremde Gegenden, die wir uns für die erste Zeit unseres Ruhestands vorgenommen haben.

      Jesus


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