Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung - Matthias Luserke-Jaqui


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Sympathie des Autors mit den rebellierenden Volksmassen jedenfalls keine Rede sein könne.37 Das Ende des MasanielloMasaniello hebe nachdrücklich das erfolgreiche Handeln des sich politischer Klugheit bedienenden Philomarinis hervor.38 Allerdings geht die Schlussfolgerung etwas zu weit, wonach für WeiseWeise, Christian Geschichte den Charakter des Machbaren habe, denn der Text selbst betont wiederholt das barocke Verständnis von Weltgeschichte als Heilsgeschichte. Nicht von ungefähr spricht Weise in der Nachrede von der „Goͤttliche[n] Providentz“ (S. 178) – die sich wohl vor allem in Masaniellos Wahnsinn ausdrückt –, welche die höfisch-aristokratische Gesellschaft vor dem Untergang bewahrt.

      Was den Nachweis einer zeitgenössischen Wirkung von Weises Dramen im Allgemeinen wie auch des MasanielloMasaniello im Besonderen betrifft, ist die Quellenlage äußerst dünn. Zu viele Archivalien sind durch Kriege und Brände vernichtet worden. Schon 1935 hat Walther Eggert in seiner Weise-Studie den Versuch unternommen, die noch vorhandenen Zeugnisse zusammenzutragen und auszuwerten. Seinen Forschungen ist zu entnehmen, dass Weises Dramen die größte Wertschätzung in Annaberg genossen. Auf der dortigen Bühne wurden bis zum Brand von 1731 mehr Stücke von Weise aufgeführt, als dies selbst in Zittau der Fall gewesen ist.39 Vermuten lässt sich indes nur, dass Weises Dramen nicht nur auf dem protestantischen Schultheaterprotestantisches Schuldrama aufgeführt wurden, sondern auch den Eingang ins zeitgenössische Programm des höfischen Theaterhöfisches Theaters fanden. Spuren von Weises Masaniello lassen sich zudem im Programm der Wanderbühnen nachweisen. Doch kam es außer Barthold FeindsFeind, Barthold Masagniello furiosoMasagniello furioso (1706) zu keiner weiteren produktiven RezeptionRezeption.40 In der Literatur des 18. Jahrhunderts waren Weises Stück und der Masaniello-Stoff nahezu vergessen, erst 1789 erschien von Johann Friedrich Ernst AlbrechtAlbrecht, Johann Friedrich Ernst wieder ein Drama mit dem Titel Masaniello von NeapelMasaniello von Neapel. Die Bedeutung von Feinds Drama in der Rezeptionsgeschichte ist von der Forschung noch keineswegs geklärt. In Feinds Operntext den Ursprung des Bürgerlichen TrauerspielBürgerliches Trauerspiels des 18. Jahrhunderts zu sehen, ist nicht zu belegen.41 Ob LessingLessing, Gotthold Ephraim tatsächlich Feinds Masagniello gekannt hat und ob sich seine Rede vom pedantischen Frost Weises und der Verbindung von ShakespeareShakespeare, William und Genie mit der Kenntnis von FeindFeind, Bartholds Text erklären lässt, bleibt letztlich spekulativ. Wichtig ist allerdings der Hinweis, dass Feind als Erster entschieden die Zahl der Dramatis Personae reduziert, und zwar von annähernd 100 (einschließlich der stummen Personen) bei WeiseWeise, Christian auf zehn. Weises Stück hat in den vergangenen Jahrzehnten nur eine einzige Inszenierung erfahren.42 Das zeigt, dass der MasanielloMasaniellokein aktuelles Drama ist, vielmehr handelt es sich um ein geschichtliches Stück, das ebenso ein Geschichtsstück ist. Insofern muss man stets aufs Neue nach seinem Stellenwert in der LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte fragen.

      Ludwig Philipp Hahns Dramen (1776/1778)

      Die biografischen Fakten sind spärlich. Ludwig Philipp HahnHahn, Ludwig Philipp wurde am 22. März 1747 im pfälzischen Trippstadt geboren und starb am 25. Februar 1814 in Zweibrücken.1 Sein Vater war der Pfarrer in Trippstadt Johann Heinrich HahnHahn, Johann Heinrich, die Mutter hieß Maria ElisabethHahn, Maria Elisabeth, geborene Rheinwald. Aus dieser Ehe gingen neun Kinder hervor, das fünfte war Ludwig Philipp. Über seine schulische Ausbildung ist wenig bekannt, es wird angenommen, dass er eine Cameralschule (der Arzt und Dichter Johann Heinrich Jung-StillingJung-Stilling, Johann Heinrich war 1778 Lehrer an der Cameralschule in Kaiserslautern und August Ludwig SchlözerSchlözer, August Ludwig nennt in seinem Briefwechsel diese Cameralschule als Vorbild2) besucht hat und Latein und Hebräisch konnte.3 Diese Schulen dienten der Ausbildung des Nachwuchses von Staatsbediensteten. An der Universität Göttingen war Hahn nachweislich nicht immatrikuliert. Der dort geführte und mit der Dichtergruppe des Göttinger HainGöttinger Hain verbundene, aber schon 1779 verstorbene Johann Friedrich HahnHahn, Johann Friedrich, der in Zweibrücken lebte, wird gelegentlich mit Ludwig Philipp HahnHahn, Ludwig Philipp verwechselt.4 Ob es verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Familien der beiden Hahn-Dichter gibt, ist unklar, eher unwahrscheinlich.5 1768 ist Ludwig Philipp Hahn Revisionsaccessist in Zweibrücken. Am 30. Januar 1777 heiratet er die am 12. September 1748 in Annweiler geborene Charlotta Christine WahlWahl, Charlotta Christine, Tochter des Pfarrers Friedrich Gerhard WahlWahl, Friedrich Gerhard und Susanna Margarethe WernigkWernigk, Susanna Margarethe, in Odenbach am Glan. Aus der Ehe mit Ludwig Philipp sollen sechs Kinder hervorgegangen sein. Hahn selbst berichtet von zwei Söhnen, die wegen eines Studiums zu unterhalten seien. Seine Frau stirbt am 8. Januar 1811 in Zweibrücken.6 Seit wann Hahn in Zweibrücker Diensten war, ist unklar.

      1776 erscheinen seine beiden Dramen Der Aufruhr zu PisaDer Aufruhr zu Pisa und Graf Karl von AdelsbergGraf Karl von Adelsberg, im November 1776 wehrt er sich bei seiner Dienststelle gegen zusätzliche berufliche Belastungen, 1778 erhält er die Beförderung zum Marstallamtssekretär und sein drittes Drama Robert von HoheneckenRobert von Hohenecken wird veröffentlicht. 1779 folgt die in Straßburg gedruckte Operette (Singschauspiel) SiegfriedSiegfried. Die Klage über Geldmangel bleibt ein durchgehendes Motiv in Hahns Amtszeit. Seit Beginn der 1780er-Jahre wird ihm Veruntreuung von Einnahmen vorgeworfen, wogegen er sich bis an sein Lebensende zur Wehr setzen muss. 1780 wird das einaktige Singspiel Wallrad und Evchen oder die ParforsjagdWallrad und Evchen publiziert.7 1784 wird HahnHahn, Ludwig Philipp zum Kammersekretär befördert. Er gründet im selben Jahr eine eigene Druckerei und erhält am 29. Juli 1784 die Druckerlaubnis für zunächst satirische und deutsche Schriften, am 23. Juni 1785 wird diese Erlaubnis um den Druck einer Zeitung erweitert.8 Hahn ist selbst journalistisch tätig. Er druckt Umrechnungstabellen für den Zahlungsverkehr. Sein Plan einer periodischen Schrift, unter dem Titul: Westricher Ephemeriden wurde zwar im Deutschen MuseumDeutsches Museum (Bd. 2, 1785, S. 282–287) öffentlich angekündigt, an dem die „Herren Geistlichen der drei Religionen, auch die meisten Herren Gelehrte unsers Westrichs und dessen Nachbarschaft, an diesen Ephemeriden mit arbeiten werden“ (S. 285f.), wurde aber offensichtlich nicht verwirklicht. Im Bereich der Literatur sollten „kritische und antikritische Anzeigen von Westricher gelehrten Produkten“ (S. 285) erscheinen. Unterzeichnet war diese Ankündigung mit „Gebrüder Hahn“ (S. 287). In dem im September 1785 geschriebenen „Vorbericht“ zu dem Buch Hauswirtschaftliche Beobachtungen und Erfahrungen über Die [!] Schädlichkeit der so genannten Neuländer- oder Viehgrundbiern, […]Hauswirtschaftliche Beobachtungen und Erfahrungen von einem J.M.K., das „von Ludwig Philip [!] Hahn, Herzogl Kammersekret. und Rechnungsrevisor“ (Zweibrücken, in Hahns Druckerei, 1785), „herausgegeben“ wurde, schreibt er: „Gegenwärtiger Aufsaz war eigentlich für die Westricher Ephemeriden, die im Februar d.J. von hier aus angekündiget wurden, bestimmt. Da deren Herausgabe aber, besonders darum, weil ich bei den eingekommenen Beiträgen, die, zur Unterhaltung der Leser, so unentbehrliche Mannichfaltigkeit vermisse, noch zur Zeit ausgesezt bleiben muß; […]“9. 1785 veröffentlicht Hahn in seiner eigenen Druckerei Sympathien des Dreisigsten Tages des Herbstmonats, 1785. Eine OdeSympathien des Dreisigsten Tages, das ist ein Huldigungsgedicht auf den Zweibrücker Herzog. 1786 erscheint ebenfalls in der eigenen Druckerei der Band Lyrische GedichteLyrische Gedichte. Ab 1789 darf Hahn auch Kalender drucken. 1790 wird das von ihm geschriebene Buch Mühlenpraktika oder Unterricht in dem Mahlen der Brodfrüchte für Polizeibeamte, Gewerbsleute und HauswirteMühlenpraktika oder Unterricht in dem Mahlen der Brodfrüchte veröffentlicht, das sogar noch 1820 eine zweite Auflage erlebte. Ab dem 29. Oktober 1790 muss sich HahnHahn, Ludwig Philipp zusätzlich auch um das Militärrechnungswesen kümmern. Am 3. Februar 1793 flieht er im Zuge der Wirren der Französischen RevolutionFranzösische Revolution mit dem seit 1775 regierenden Pfalz-Zweibrücker Herzog Karl II. August Christian (1746–1795) über den Rhein nach Mannheim. Doch schon kurze Zeit später ist Hahn im Dienst der Franzosen als Gerichtsschreiber am Justiztribunal in Zweibrücken tätig. Zweibrücken gehörte seit 1794 zu Frankreich. Aus den Dienstakten Hahns geht hervor, dass er vom Oktober 1794 bis März 1795 und vom Mai bis Oktober 1795 in Hanau und in Mannheim dienstlich tätig war.10 1796 ist er in französischen Diensten Bürgermeister in Contwig. Hahn versucht allerdings über viele Jahre hinweg, seine Wiedereinstellung in nun bayerische Dienste zu bewirken, doch ohne Erfolg. 1797 soll Hahn unter dem Pseudonym Johann Ehrlich das Buch Ueber den Gebrauch und Nuzen Verjüngter Wagen bei dem Fruchthandel nebst einer Anweisung zu deren VerfertigungUeber


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