Das Intrigenlabyrinth. Gaby Peer

Das Intrigenlabyrinth - Gaby Peer


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Dornbach brachten sie in der jetzigen Situation dazu, darüber nachzudenken. War Magdalena nicht wirklich ein verzogenes, arrogantes, egoistisches Wesen? Für Joy war sie immer nur selbstbewusst gewesen, dagegen konnte man doch nichts sagen.

      Celine wollte nur so viele Kinder, weil sie keinen Bock auf Arbeit hatte! Bis vor Kurzem war Celine für Joy der Inbegriff der perfekten Mutter gewesen. Ihre Erziehung bestand aus der genau richtigen Portionierung von Strenge, Liebe, Nachsichtigkeit, Verständnis, Mitgefühl, Konsequenz und Nachhaltigkeit.

      Oma Margot war eine oberflächliche Witzfigur, für die das ganze Leben eine Party war. Für Joy war sie die liebenswerteste Omi gewesen, die man sich nur vorstellen konnte. Margot zeigte immer großes Interesse an ihrem Leben. Sie wollte immer alle Einzelheiten wissen – Schule? Freunde? Gefühle? Sorgen? Einfach alles! Für Schulprojekte lieferte sie immer die besten Ideen. Sie war unglaublich kreativ. Ja, sie machte alles mit Humor und mischte allem Spaß bei … Aber kann jemand, der so viel Anteilnahme zeigt, einfach nur oberflächlich sein?

      Jonas hatte einen bösen Blick – das hatte Clara gleich erkannt. Joy fand, dass Jonas einfach ein kleiner, niedlicher Streber mit etwas zu wenig Humor war. Er war der Dornbach, der den Finger am häufigsten erhob und zur Vernunft mahnte, wenn wieder einmal alle zu ausgelassen wurden.

      Marilena war für Clara ein unerzogenes, freches Ding, mit dem sie noch ihr blaues Wunder erleben würden. Für Joy war Marilena die kleine, kesse, nervende Schwester, die nur Quatsch im Kopf hatte.

      Aber jetzt, da sie so einsam und verzweifelt vor der Hütte saß und über alle Dornbachs nachdachte, musste sie ihrer Mutter recht geben. Die Meinung zu jedem Einzelnen tendierte jetzt mehr und mehr in Richtung der Aussagen ihrer Mutter. Was passierte da gerade in ihrem Kopf? Warum war all das Zeug, das ihre Mutter ihr über Jahre hinweg immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragen hatte, so präsent und plötzlich so wahr? Es hatte mehr Gewicht als die vielen schönen Jahre mit Dornbachs. Wie konnte ein Mensch in so kurzer Zeit seine Meinung so radikal ändern? Dass sie Jens verfluchte, war vollkommen klar! Aber dass sie die anderen Dornbachs plötzlich ebenfalls verachtete, sogar zu hassen begann, das war für sie nicht nachvollziehbar. Aber es waren Gefühle, die sie überkamen, und diesen Gefühlen war mit Vernunft nicht beizukommen. Magdalena war arrogant, Jonas hatte einen bösen Blick, Marilena war frech und ungezogen, Omi – nein, Margot war oberflächlich und Celine war faul und lag ihrem Mann auf der Tasche! Ja, so war das und nicht anders! Joy hatte auch immer im Haushalt geholfen, die Hasenställe ausgemistet und allen Kindern jahrelang kostenlosen Nachhilfeunterricht gegeben. Wenn die Dornbachkinder etwas nicht machen wollten, übernahm sie es freiwillig. Wenn sie so darüber nachdachte, hatten sie sie ganz schön ausgenutzt.

      Jeder Tag in der Hütte vergrößerte den Hass und es wuchs eine unglaubliche Rachsucht in ihr. Sie würde es den Dornbachs heimzahlen. Für alles sollten sie büßen! Jeder Einzelne sollte seine Rechnung bekommen und treffen würde jeder Racheakt auch Jens – tief ins Herz. Das war das Wichtigste! Es musste Jens wehtun – er sollte hilflos zuschauen müssen, wie seine Familie litt! Eine größere Strafe konnte es für ihn nicht geben. Weder eine Gefängnisstrafe noch eine Trennung von Celine würden ihn so schmerzen wie das, was sie sich ausdenken würde.

      Als Joy das Gefühl hatte, perfekte Pläne geschmiedet zu haben, überkam sie ein Gefühl der Zufriedenheit – der Tag war gekommen, es war an der Zeit, wieder nach Hause zu gehen und die Rachemaschine in Bewegung zu setzen.

      Jetzt saß sie inmitten der Familie Dornbach – nur Jens fehlte – und bei ihrer Mama, die nicht aufhören konnte zu weinen. Sie hielt sie ganz fest im Arm und entschuldigte sich immer und immer wieder. Auch die anderen weinten, aber Joy glaubte natürlich, genau zu erkennen, dass das nur gespielt war. Nur Mamas Tränen waren echt!

      Joy versuchte wortreich zu erklären, dass sie einfach eine Auszeit gebraucht habe. Der Grund sei vor allem Lars gewesen, weil der sie so unter Druck gesetzt habe, miteinander zu schlafen. Sie fühle sich aber überhaupt noch nicht bereit dazu! Sie erzählte und schmückte aus, ja sie wunderte sich selbst über ihre Kreativität. Am Ende waren alle einfach nur froh, dass sie heil und wieder zu Hause war.

      Am nächsten Tag, einem Montag, nahm Joy wieder ihr ganz normales Leben auf. In der Schule suchte sie sofort nach Lars, der sie wie ein Gespenst anstarrte: „Wo warst du, Joy, ich bin fast gestorben vor Angst!“

      „Ich habe eine Auszeit gebraucht, ich musste nachdenken. Vor allem über uns. Ich bin noch nicht bereit, mit dir zu schlafen, und du hast nicht wirklich Verständnis. Du unterstellst mir, dass ich dich nicht liebe. Das hat so keinen Sinn, ich möchte dir sagen, dass ich Schluss mache. Such dir bitte eine andere, die bereit ist für das, was dir sooo wichtig ist!“

      „Du übertreibst jetzt aber ganz schön, ich habe dich weder bedrängt noch unter Druck gesetzt. Und es ist für mich auch kein Problem zu warten, bis du so weit bist. So wichtig ist das für mich nicht.“

      Joy spürte, wie sie ganz gegen ihren Willen Herzklopfen bekam und erschrocken feststellen musste: Ich bin sehr verliebt in Lars. Aber als der den Arm um sie legte und sie küssen wollte, brannte ihre Batterie mit einem Schlag durch und sie schlug nach ihm. „Lass die Finger von mir, du Schwein!“

      Lars starrte sie dermaßen entsetzt und erschrocken an, dass Joy sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Ehe sie reagieren konnte, drehte Lars sich um und rannte fast in Richtung Schulgebäude. Vielleicht war das der beste und einfachste Weg für Lars, mit dieser Situation zurechtzukommen. Wut auf Joy würde ihm helfen, schnell über das Aus ihrer Beziehung hinwegzukommen. Magdalena bestand darauf, dass Joy gegen siebzehn Uhr zu ihnen kommen sollte.

      „Ich weiß nicht, ich möchte meine Mutter nicht schon wieder alleine lassen.“

      „Ach bitte, bitte, du bist ja heute Mittag mit ihr zusammen und wir – nein, ich möchte nichts verraten. Bitte, bitte komm einfach! Du musst!“

      Ja, genau das war das verwöhnte Gör, von dem Mama gesprochen hatte. Aber gut, sie wollte die erste Begegnung mit Jens hinter sich bringen. Das würde für ihn sicher eine hohe Belastungsprobe – oder wusste er vielleicht gar nichts mehr von der Vergewaltigung? Doch, natürlich, warum sonst hätte er sie gestern vor dem Eintreffen seiner Familie sprechen wollen und war nicht selbst mitgekommen? Also sagte Joy fröhlich: „Na gut, ich komme, ich liege aber nicht falsch, wenn ich von einer Überraschung ausgehe?“

      Magdalena schubste sie und sagte: „Du alte Spielverderberin!“

      Punkt siebzehn Uhr wollte Joy an der Tür klingeln, aber sie bekam einen schlimmen Schweißausbruch und zitterte am ganzen Leib. Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Noch ehe sie überlegen konnte, was sie tun sollte, wurde die Haustür aufgerissen und alle stürzten auf sie zu: „Hallo, Ausreißerin – komm rein!“

      Sie wurde gewaltsam hineingezogen und fand sich direkt vor Jens wieder. Ihr wurde furchtbar übel – sie war sich hundertprozentig sicher, ohnmächtig zu werden. Bevor das passieren konnte, wurde sie von Magdalena zu einem Stuhl gezogen und in Sitzposition gedrückt.

      „Wir sind uns einig, dass wir uns noch nie in unserem Leben so schlecht und hilflos wie in den letzten zwei Wochen gefühlt haben. Wir hatten eine unglaubliche Angst um dich. Du hast uns so sehr gefehlt, Joy. Du wirst deshalb heute zu einem offiziellen Dornbachfamilienmitglied gekürt. Dies ist deine Adoptionsparty! Du gehörst für immer zu uns!“

      Was fröhlich und lieb gemeint war, wandelte sich in Joys Ohren in: „Vergiss deine armselige, traurige Mutter – du hast doch uns, du gehörst zu uns!“ Mama hatte schon wieder recht gehabt. Sie wollten ihr Joy ganz entfremden und wegnehmen. Sie mussten ständig unter Beweis stellen, wie toll Joy es doch bei ihnen hatte. Verdammte Bande – euch werde ich es schon noch zeigen.

      Nach außen hin hatte sie sich schnell wieder im Griff, denn sie wusste, nur so konnte ihr Plan wirklich gelingen. Sie musste mitspielen. Sie wollte ganz nah an den Dornbachs dranbleiben. Sie mussten ihr blind vertrauen.

      Den ganzen Abend warf sie immer und immer wieder verstohlene Blicke zu Jens, schaffte es auch, ihm ins Gesicht zu lachen. Es gab auch einen Versuch von Jens, sie allein in der Küche zu sprechen, doch sie machte sich so schnell aus dem Staub, dass er nichts


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