Die Saga von Witte Wittenson. Skalbard Odinson
„Nun?“, rief Calvinus triumphierend in die Runde und stellte sich neben das Wasserfass. „Wer will der erste sein, den ich im Namen des einzigen, des wahren Gottes taufen soll?“
Fargrim erhob sich von seinem Hochstuhl und rief feierlich: „Bei meiner Ehre gab ich dir mein Wort und bei Od… – bei Gott, ich werde es halten!“
Langsamen Schrittes ging er auf Calvinus zu und kniete sich mit gesenktem Haupt vor ihn.
Ein paar lateinische Worte rezitierend, goss der Mönch dem Jarl ein wenig Wasser auf sein Haupt und nahm ihn in die Gemeinschaft der Christen auf.
Nach und nach taufte er zusammen mit seinen beiden Begleitern alle Männer, Frauen und Kinder der Siedlung.
Fargrim betrachtete dieses Schauspiel Wein trinkend von seinem Hochstuhl aus, als sich Helger der Händler, ebenfalls mit einem gefüllten Trinkhorn, zu ihm gesellte.
„Auf dein Wohl, Bruder“, begrüßte er seinen Jarl und hob sein Trinkhorn zum Gruße.
„Auf deines, Bruder“, entgegnete Fargrim wohlwollend. „Und natürlich auf das des ehrwürdigen Bruder Calvinus, auch wenn er etwas länger gebraucht hat als die anderen.“
„Ich habe mein Bestes getan, um ihn darauf zu stoßen“, entschuldigte sich der Händler. „Aber dafür ist dieser Wein erheblich besser als der letzte!“
„Das ist wahr!“, stimmte Fargrim lachend zu. „Aus Klöstern kommt immer ein ganz besonders guter Tropfen.“
„Wie oft bist du jetzt eigentlich schon getauft worden?“, wollte Helger wissen.
„Das weiß nur Odin!“, lachte der Jarl und nahm einen großen Schluck.
3.
DIE SAGA VON WITTE WITTESSON
TEIL 1: DES KÖNIGS NEUE MAUER
H och im Norden herrschte in einem kleinen Reich der Jarl Harlof Thorlofsson, der aber weithin nur als König Harlof bekannt war. Diesen fremdländischen Titel hatte er sich einst selbst verliehen, um allen zu zeigen, welch weit gereister Mann er einst gewesen war, als er bis an die Küsten Afrikas segelte und sogar Rom und Konstantinopel mit eigenen Augen gesehen hatte.
Doch diese Zeiten lagen weit zurück und nun war er alt und nicht mehr bei bester Gesundheit. Trübsinnig saß er auf seinem Hochstuhl in seiner Hauptstadt Glänoy und beschloss, dass diese Welt ihm nichts mehr zu bieten hatte, weshalb er aus ihr scheiden wollte.
Da er aber den Titel eines Königs angenommen hatte, meinte er sein Reich vererben zu müssen, anstatt wie es Brauch war, dem fähigsten seiner Gefolgsleute zu hinterlassen.
Allerdings hatte ihm seine Frau nur Töchter geboren und keine Söhne, weshalb nun einer seiner drei Schwiegersöhne seine Nachfolge antreten sollte.
Er rief sie zu sich und unterbreitete ihnen seine Absichten.
Während einer von ihnen, nämlich Witte Wittesson, der Mann seiner jüngsten aber schönsten Tochter, den König diese Vorhaben auszureden versuchte, verlangten die beiden anderen, Aki Ivarsson und Gnupi Signundsson, nur zu wissen, auf welchen von ihnen die Wahl gefallen sei.
Der König sagte, dass er sich nicht unter ihnen entscheiden konnte, da Aki der Älteste, Gnupi der Stärkste und Witte der Klügste sei, weshalb er sich entschieden hatte, ihnen eine Aufgabe zu stellen und denjenigen zu wählen, der diese als erster erfüllen würde.
So sollte derjenige, der als erster eine zwei Mann hohe Mauer um die Hauptstadt ziehen konnte, nach ihm König sein.
Sofort eilten Aki und Gnupi zu ihren Gefolgsleuten, um sie zur Arbeit einzuteilen, nur Witte sagte: „Es ist Frühling und die Saat steht bevor. Meine Leute müssen säen und anbauen, sonst hungern sie im Winter. Da ist keine Zeit, eine Mauer zu errichten.“
Und so ließ Witte seine Gefolgsleute auf den Feldern und in den Wäldern ihre gewohnte Arbeit tun, während Akis und Gnupis Felder brach lagen, da ihre Mannen in den Steinbrüchen Steine schlugen und vom ersten Tag an mit der Arbeit an den Mauern beschäftigt waren.
Beide kamen anfangs gut voran, doch beäugten sie sich ständig misstrauisch und voller Neid, und immer wenn es so schien, dass einer einen Vorsprung herausarbeiten konnte, sorgte der andere dafür, dass durch Unfälle und Einstürze die Arbeit des Rivalen wieder ins Stocken geriet.
So lagen sie im Sommer weit hinter ihren Erwartungen zurück, als Harlof kam, um ihre Arbeit zu begutachten.
Als der König sah, dass Witte noch nicht mit dem Mauerbau begonnen hatte, fragte er ihn, wann er den ersten Stein legen wolle, doch dieser antwortete: „Es ist Sommer und meine Leute wollen auf Raubzug fahren wie in jedem Sommer zuvor. Da ist keine Zeit, eine Mauer zu bauen.“
Der König nickte verstehend, bedauerte aber Wittes Entscheidung, denn tief in seinem Herzen wünschte er, dass Witte den Wettstreit für sich entscheiden würde, um seine Nachfolge anzutreten.
So fuhr also Witte mit seinen Männern alsbald auf Raubzug, während Aki und Gnupi weiterhin an ihren Mauern bauten.
Aki trieb seine Arbeiter, in seinem unbändigen Wunsch König zu werden, so hart an, dass viele seiner Unfreien an der Mühsal zerbrachen und starben.
Hatte ihn sein unerbittliches Antreiben zuerst in Führung gebracht, warfen ihn nun diese Verluste wieder herb zurück, so dass Gnupi mit seiner Mauer gleichauf zog.
Um seine Möglichkeiten zu bewahren, lies Aki daraufhin einige von Gnupis Sklaven heimlich vergiften.
So lagen beide gleichauf und dennoch weit hinter ihren Erwartungen zurück als der Herbst die Blätter färbte und König Harlof ein zweites Mal ihr Vorankommen begutachtete.
Witte, der mit reicher Beute von seinem Raubzug zurückgekehrt war, hatte immer noch keinen Stein gelegt und der König fragte ihn, da er den Vorsprung der anderen für einholbar hielt, ob er nicht doch mit dem Mauerbau beginnen wolle. Doch wieder sprach Witte: „Es ist Herbst und meine Leute müssen ernten und Vorräte anlegen, sonst haben sie im Winter nichts zu essen. Da ist keine Zeit für einen Mauerbau.“
Der König verstand und fragte nicht weiter nach.
Und so brachten Wittes Gefolgsleute reiche Ernte ein, während Aki und Gnupi ihre Mannen weiterhin mit dem Mauerbau beschäftigten.
Die Tage wurden kürzer und die ersten Vorboten des Winters machten sich im Königreich bemerkbar, als Aki und Gnupi die Hauptstadt je zu einer Hälfte umzogen hatten und sich nun mit ihren Mauerenden an zwei Stellen gegenüberlagen. Hätte man die beiden Hälften mit ein paar Steinen verbunden, hätte Glänoy bereits jetzt eine starke und wehrhafte Mauer besessen. Doch die Aufgabe des Königs lautete, dass nur derjenige seine Nachfolge antritt, der zuerst mit seiner Mauer die Stadt umschließt, und so stritten nun Aki und Gnupi, wessen Mauer der des anderen weichen sollte. Natürlich wollte keiner der beiden nachgeben und so beschlossen sie, aneinander vorbeizubauen. Der Münzwurf sollte entscheiden, wer Innen und wer Außen weiterbauen musste.
Doch bevor dies geschehen konnte brach der Winter ins Land und es zeichnete sich ab, als solle er besonders hart und lang werden.
Da beschlossen Aki und Gnupi, den Bau den Winter über ruhen zu lassen, und erst im nächsten Frühling fortzusetzen.
Also kauften sie sich am Markt, was immer sie für den Winter brauchten und zogen sich in ihre Hallen zurück.
Ihre Gefolgsleute aber, die seit dem Frühling ununterbrochen an der Mauer gearbeitet hatten und weder Aussaat noch Ernte noch sonstige Vorkehrungen für den Winter getroffen hatten, froren und hungerten bitterlich.
Um Wärme und Essen bettelnd, klopften viele von ihnen an Wittes Tür, von dem sie wussten, dass er im Herbst reiche Ernte eingefahren hatte.
Witte hatte ein Einsehen und ließ sie ein.
Da es aber ungesetzlich war, den Unfreien eines anderen Herren Unterschlupf zu leisten, ging