Trilogie des Mordens. Ulrich W. Gaertner
des Sonntag schrillt an der Haustür des kleinen Mittelreihenhauses die Türklingel im Dauerton. Der auf dem Haustürpodest schwankende, spärlich bekleidete Mann gibt unartikulierte Laute von sich. Mit der rechten Hand presst er ein zusammengeknülltes Handtuch gegen den blutenden Hals, während er mit der linken kraftlos gegen das Holz der Tür schlägt.
„Hilfe, Hilfe, helft mir“, krächzt er, bevor er in den Knien einknickt.
Endlich eine Stimme in der Sprechanlage.
„Wer ist da, was wollen Sie?“
Die blecherne Stimme erreicht den Verletzten wie aus weiter Ferne. Sein Blick verschleiert sich.
„Helft mir“, gurgelt er mit letzter Kraft, ehe er auf dem Podest zusammenbricht. Dass sein Kopf dabei gegen den Türknopf schlägt, nimmt er nicht mehr wahr. Keine Minute später wird die Haustür vorsichtig und nur spaltbreit geöffnet.
Der Mann im Hausmantel ringt nach Atem, als er nach draußen sieht. Es ist ein Anblick wie aus einem Horrorfilm: Auf den Fliesen, liegt ein stark am Hals blutender Mann, der einen Lacklederanzug trägt. Er gibt kaum noch Lebenszeichen von sich.
Eine unsichtbare Hand presst das kranke Herz des Hausbewohners zusammen, ihm wird schwindelig. Doch dann handelt er schnell. In der kleinen Diele reißt er den Telefonhörer hoch. Die flatternde Hand wählt den Polizeinotruf. Mehrmaliges Tuten, dann die Stimme eines Polizisten.
„Bartold hier, Herbert Bartold. Kommen Sie sofort in die Steinstraße 147. Vor unserer Haustür liegt ein Mann. Er rührt sich nicht. Und schicken Sie einen Rettungswagen mit.“
Der Anrufer beginnt vor Aufregung zu stottern.
„Ich glaube, der Mann verblutet. Kommen Sie so schnell wie möglich.“
Routiniert fragt der Beamte nach der Anschrift des Anrufers.
„Wir sind in Kürze bei Ihnen. Ein RTW rückt mit aus.“
Händezitternd legt der Bartold auf. Neben ihm steht seine junge Frau, die bereits vor die Tür gesehen hat. Sie klammert sich ängstlich an ihren Mann.
„Ich glaube, das ist Giovanni, der da draußen liegt. Was sollen wir machen, Herbert?“
Der reißt sich aus seiner Benommenheit.
„Giovanni? Bist du verrückt. Etwa d ein Giovanni, von nebenan?“
Plötzliche Wut macht sich in dem Mann breit.
„Hol’ mir ein Handtuch. Vielleicht kann ich die Blutung aufhalten, bis der Notarzt kommt.“ Hastig rennt er die wenigen Schritte zu dem Mann, der reglos auf seiner rechten Körperseite liegt. Vorsichtig bewegt er ihn und glaubt, ein leises Stöhnen zu hören.
„Beeil’ dich, Susanne, mach’ schnell. Ich glaube, er lebt noch.“
Sekunden später reicht ihm seine Frau ein Handtuch und stürzt mit bleichem Gesicht in die Gästetoilette neben der Haustür. Herbert Bartold vernimmt würgende Geräusche. Im Licht der Außenbeleuchtung erkennt er den Mann mit dem blutverschmierten Gesicht ist. Tatsächlich Giovanni, der „nette“ Italiener, einen Hauseingang weiter. Weiter reichen seine Gedanken nicht, als er das Handtuch auf die Halspartie presst. Ein unangenehmer Geruch umgibt den reglosen Mann. Angewidert betrachtet Bartold den Lacklederbody. Verdammt, das hat das Schwein verdient. So wie ich den kenne, übersteht der das auch.
„Bleib ja im Haus, Susanne. Das ist nichts für dich.“
Bartold beugt sich über den Ohnmächtigen. Die Blutung ist durch den Druck mit dem Handtuch zum Stillstand gekommen. Bartold lauscht in die stille Nacht. Wo bleiben die Sanis denn? Nichts zu hören. Zeit für einen schnellen Sprint ins Haus, zurück zum Verletzten. Ein plötzliches, lautes Stöhnen. Dann endlich aus der Ferne die Geräusche von Einsatzfahrzeugen, schnell näher kommend. Als er den Hals reckt, um die Straße hinunter zu sehen, erblickt er zu seiner großen Erleichterung die herannahenden Scheinwerfer und erkennt im Licht der Bogenlampen den hohen Aufbau eines RTW. Mühsam erhebt sich Burger und wankt den Rettern entgegen. Dann sind zwei Uniformierte vom Polizeikommissariat Winsen/Luhe an seiner Seite und führen ihn zu ihrem Einsatzbus.
„Das Schwein, das das getan hat, müsste man lynchen“, murmelt Bartold aufgebracht.
„Ich glaube, Kollege, der Mann hier ist auch ein Fall für den Notarzt“, hört er die ruhige Stimme des Beamten, der besorgt auf seine blutigen Hände sieht und ihn behutsam auf die Sitzbank des Einsatzfahrzeuges schiebt.
Acht Stunden später reihen sich zwei gut gekleidete junge Leute, eine blonde Frau und smarter Banker Typ unter die vielen Passanten des Hamburger Rathausviertels ein.
Auf dem großen Platz, dem Rathausmarkt, ist an dem sonnigen Apriltag mit ungewöhnlich wenig Wind richtig Betrieb. Zum Tag des Handels sind dutzende Stände mit einer breiten Palette von Waren und Produkten aufgebaut. Quirlig geht es schon zu, als die beiden Aussteller den für sie reservierten Standplatz einnehmen, auf dem ein drei mal vier Meter großer Zeltpavillon mit gelbem Dach und einem mehrgliedrigen Kreuz im Kreis errichtet ist. Es fehlen zwar noch einige Aussteller und Händler, aber bis zum offiziellen Beginn um 10.00 Uhr, ist auch noch eine halbe Stunde Zeit. Routiniert baut der Mann seinen Klapptisch auf, während die junge Frau zwei Regiestühle platziert. Anschließend verteilt sie wirkungsvoll auf der signalroten Papierauflage Dutzende Broschüren und Bücher.
Der fleißige Mann mit dem sympathischen Lächeln und dem Kurzhaarschnitt beschäftigt sich mit der Installation des wichtigsten Ausstellungsteiles, einem technischen Gerät aus dunkelblauem Kunststoff mit einer Menge Knöpfen, Schaltern und Tasten. Es handelt sich um ein DIN A4 großes, rundes Messgerät, das über eine Spannungsquelle, Elektroden sowie eine Messeinrichtung verfügt, die den Hautwiderstand und somit Reaktionen von Menschen registriert, die mit unbequemen Fragen konfrontiert werden. Insider bezeichnen es als „Wahrheitsmesser“ abgekürzt W-Meter, der in der Lage sein soll, bewussten und unbewussten emotionalen Schmerz der Probanden zu messen. Beide Aussteller blicken sich zufrieden grinsend an; mit ihrem Stand fallen sie schon aus der üblichen Kategorie ihrer Nachbarn. Kostenloser Persönlichkeitstest und Kostenlose Auswertung, steht in großen Lettern auf einem Transparent oberhalb des geöffneten Pavillon-Einganges. Im Innern sind ebenfalls mehrere Klapptische mit Stühlen zu sehen die mit Blumensträußen dekoriert sind. Auch das soll Neugierige anlocken. Ein zweiter Wahrheitsmesser wartet hier auf seinen Einsatz. Während der Mann im Pavillon verschwindet, ordnet die attraktiv wirkende Frau im dunkelblauen Kostüm noch einmal das Sortiment der ausgestellten Drucksachen. Sie blickt vernimmt von draußen die tiefen Schläge der großen, historischen Uhr vom Rathaus. Zehn Uhr.
Vom erhöhten Podium, direkt vor dem ehrwürdigen Rathaus der Hansestadt, ertönt ein brummendes Geräusch. Das Standmikrofon mitsamt den Lautsprecherboxen wurde eingeschaltet. Auf dem mit Girlanden geschmückten Podest erscheinen Frauen und Männer in Prunkgewändern der mittelalterlichen hanseatischen Zünfte und Stände. Die attraktive Ausstellerin erkennt die schlanke, hochgewachsene Gestalt des Ersten Bürgermeisters mit dem schmalen Gesicht und den weißblonden Haaren, der vor das Mikrofon tritt. Nun erfolgt die Festansprache des Ersten Hanseaten mit einem historischen Rückblick, aber auch mit einer zuversichtlichen Prognose der neuen Handelswege in den östlichen Teil Deutschlands.
Die junge Beobachterin mit abgeschlossenem Studium der Wirtschaftswissenschaften interessiert die kluge Ansprache nicht, die vom Zusammenwachsen der alten und neuen Bundesländer und den sich daraus ergebenden Chancen Bezug handelt.
UWs, denkt sie gehässig über den erfolgreichen Politiker. Oder noch schlimmer. Unwissende Personen. Damit bezeichnet ihre Organisation Menschen, die noch nicht den Weg zur richtigen Lehre des Meisters gefunden haben, diese negieren oder sogar bekämpfen. Dazu zählen auch die geistlichen und politischen Führungsspitzen der Hansestadt, die alles tun, um unsere Tätigkeit zu erschweren, denkt die Frau voller Hass. Aber das sieht man ihr nicht an. Auffordernd lächelt sie mit ihren auffällig rot geschminkten Lippen die Passanten provozierend an, so dass die biederen Händlerehefrauen aus der ländlichen Region Vierlanden ihre unruhig werdenden Männer zur Ordnung rufen müssen. Dann sind die Festansprachen