Geschichten eines Geistreisenden. Axel Kruse
können, mit irgendeiner Information etwas anzufangen. Er war zwar sehr erstaunt, ob meiner Vorhersage hinsichtlich der deutschen Einheit, glaubte aber nicht im Mindesten daran, bis sie dann plötzlich da war.
Wir verlebten eine glückliche Zeit, einmal, ich war ungefähr dreißig Jahre alt, hatten Lisa und ich einen heftigen Streit. Wir waren unterwegs, verbrachten einen schönen Sommertag in Kettwig an der Ruhr, als ich mitten in der Menschenmenge eine Frau anstarrte, die uns, einen Kinderwagen schiebend, am Ruhrufer entgegen kam. – Meine Frau! In Begleitung eines Mannes und zweier anderer Kinder, die fröhlich vergnügt neben dem Kinderwagen herliefen. Ich starrte minutenlang auf diese Szene, drehte mich sogar um, als die kleine Gruppe an uns vorbeigegangen war. Der Mann drehte sich auch um und sah mich irritiert an, ging dann aber wortlos weiter.
Lisa war sauer, mehr als sauer. »Peinlich war das, und unverschämt! Liebst du sie immer noch? Das ist doch jetzt lange genug her!«, geiferte sie. »Geh doch zu ihr, dann wirst du sehen, was du davon hast!«, schrie sie mich eifersüchtig an. Irgendwie überstand unsere Beziehung diesen Streit, auch wenn seitdem nichts mehr wie vorher war.
Kinder hatten wir keine. Wir lebten unser Leben, ich mittlerweile als Buchhalter, sie als Sekretärin. Es war nichts Außergewöhnliches und irgendwann wurde ich fünfzig. Wenige Tage nach meinem Geburtstag kam ich dann nach Hause, Lisa war noch nicht da. Die Schwüle war drückend, mir war auch ein wenig übel. Jahre, ja Jahrzehnte hatte ich nicht mehr daran gedacht, das war ein Fehler gewesen. Ich schleppte mich zum Telefon, die 112 konnte ich noch wählen. Der Notarzt sei unterwegs, wurde mir versichert, als ich zusammenbrach. Mir wurde schwarz vor Augen. Mein letzter Gedanke war, dass ich, verflucht noch mal, nicht daran gedacht hatte Lottozahlen auswendig zu lernen.
Thomas nahm den letzten Schluck aus seinem Bierglas und sah mich direkt an. »Du hältst mich für verrückt, nicht wahr?«, fragte er.
Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. »Starker Tobak«, entgegnete ich dann.
Glücklicherweise kam Joaquin zu uns, stellte ein neues Glas vor mir ab und sagte: »Du sprichst mit einem bedeutenden Mann« und eilte zu einem anderen Gast weiter, so als ob Not am Manne wäre.
Sicherheitshalber drehte ich mich um und blickte noch einmal in den Schankraum. Nein, wir waren allein an der Theke, mit uns sprach niemand, niemand hatte die Absicht, sich zu uns zu setzen. – Wenn Joaquin nicht Thomas meinte, konnte er nur sich selbst meinen. Erleichtert lehnte ich mich zurück, genoss mein Bier und wartete den Augenblick ab, in dem er uns die neueste Verschwörungstheorie mitteilen würde. Wir mussten nicht lange warten, nachdem er den anderen Gast bedient hatte, kam er zu uns zurück.
»Zeitreisende nehmen nur Kontakt zu unbedeutenden Menschen auf, ist dir das klar?«, fragte er mich sodann. Thomas ignorierte er geflissentlich.
Ich schüttelte den Kopf, mir war noch kein Zeitreisender begegnet.
Etwas verärgert ob meiner Reaktion vertiefte Joaquin meine Kenntnisse: »Wenn sie mit bedeutenden Zeitgenossen Kontakt aufnähmen, dann liefen sie doch Gefahr, dass sich die Zeitlinie verändert! Deshalb scheuen sie den Kontakt zu wirklich wichtigen Männern und Frauen. Mit unbedeutenden Menschen, die nicht den Einfluss auf das Weltgeschehen haben, mit denen nehmen sie Kontakt auf, ist doch klar!«, sein Gesicht strahlte vor Freude ob seiner Erkenntnis. »Mit mir hat noch keiner Kontakt aufgenommen«, flüsterte er dann, ergriff ein neues Bierglas, um dies einem gerade die Bar betretenden Gast zu kredenzen. Verblüfft aufgrund seiner unschlagbaren Logik widmete ich mich wieder meinem Bier.
»Willst du wissen, wie es weiterging?«, fragte Thomas in die sich ausbreitende Stille hinein. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er noch weiter erzählen würde.
Die zweite Wiederholung
Mein Vater strich mir sanft mit der Hand über den Kopf. »Du musst aufstehen«, sagte er dann, das uralte Ritual wiederholend.
Der Lichtschein aus dem Flur traf meine Augen. Ich nickte, stand auf und achtete sorgsam auf die Legosteine. Ich eilte ins Bad, verrichtete meine Notdurft und versuchte allen Ernstes danach noch ein wenig an den Mathehausaufgaben zu arbeiten, bis ich mich, ohne Rücksicht auf die Ermahnungen meiner Mutter zu nehmen, doch zu frühstücken, auf mein Rad schwang und zur Schule fuhr.
An der Brederbachstraße angekommen machte ich eine Vollbremsung. Die Mauer war weg. Da war wieder das schmiedeeiserne Gitter, innerlich frohlockte ich. Ich hatte zwar noch keinen Plan, aber es schien mir so, als ob ich zu Hause angekommen sei.
Um die Straßenecke bog gerade ein Junge, Lars! Der arme Kerl, er wusste nicht, wie ihm geschah. Ich kam von hinten, riss seine Schultasche von der Schulter, warf sie über den Zaun auf den Friedhof und fuhr weiter zur Schule. Während der kurzen Fahrt bis zum Gymnasium kam mir in den Sinn, dass er sich vielleicht an mir gerächt hatte, als er mich in meinem ersten Leben gemobbt hatte, machte das Sinn?
Egal, ich musste noch die Hausaufgaben abschreiben, es war ein anstrengender Tag, aber meine Quote war etwas besser als beim letzten Mal.
Den Nachmittag verbrachte ich sofort in der Stadtbücherei. Nicht wirklich, um mir dort Bücher auszuleihen. Nein, ich vergewisserte mich, dass die Titel zu den richtigen Autoren passten. Versuchte mich zu erinnern, welche Bücher zu dieser Zeit noch nicht geschrieben worden waren. Da stand der Herr der Ringe in gewohntem Umfang. Andere Werke anderer Autoren waren entweder vorhanden, richtigerweise mit dem richtigen Verfasser oder sie waren eben noch nicht vorhanden, weil die entsprechenden Autoren sie noch nicht geschrieben hatten, bzw. noch schreiben würden. – Ich hatte einen Plan!
Den umzusetzen sich als nicht gerade einfach erwies. Es fing damit an, dass ich meiner Mutter ihre alte Schreibmaschine abschwatzen musste. Papier in ausreichender Menge war auch nicht so einfach aufzutreiben, aber nach ein paar Tagen brachte mir mein Vater aus dem Büro einen Stapel alter Briefbögen mit, die nicht mehr verwandt werden konnten, da der Vorstand gewechselt hatte. So tippte ich, was das Zeug hielt. Im Grunde musste ich ja nur abschreiben.
Alien, aus meiner Feder, wurde vom Heyne Verlag angenommen. Ich war gerade noch rechtzeitig damit gewesen. Das erste Paket mit meinen Büchern auszupacken, war wie ein Fest. Genauso hatte ich es mir vorgestellt, seit ich damals, in meinem ersten Leben, das erste Mal den Film zurück in die Zukunft gesehen hatte. Seit damals spukte es mir im Kopf herum, diese Szene selbst zu erleben, in der der Vater, am Ende des Films, das Paket mit seinen Romanen öffnet. Seltsam, ich weiß. Vor allem deshalb seltsam, weil es ja nicht wirklich meine Bücher waren. – Aber was meinst du, von wem so manches Buch stammt, dass du heutzutage so auf den Bestsellerlisten findest? Du würdest staunen.
Egal, das Lied von Eis und Feuer schloss sich dann an. Danach stürzte ich mich auf das Werk von Jack McDevitt, die Legende von Christopher Sim wurde ein Bestseller. Ich hatte meinen Weg gefunden und das ganz ohne Lottozahlen, Randolph Zoran sei Dank.
Als Wunderkind gehandelt, trat ich in diversen Fernsehshows auf und präsentierte dort meine Bücher, immer ein wenig in der Angst lebend, dass irgendwann jemand im Publikum aufstehen und »Plagiat« rufen würde – aber warum sollte das geschehen? Ich war früh genug dran mit meinen Werken.
Alien wurde verfilmt, es wurde ein Erfolg. Star Wars hatte ja den Weg geebnet. Ich sonnte mich in dem Erfolg. Mit achtzehn hatte ich bereits meine zweite Million zusammen, das war ja recht einfach gewesen.
Dann kam der Absturz. Alkohol und Drogen, trotz meiner mittlerweile doch eigentlich ausreichenden Lebenserfahrung verfiel ich zusehends. Ich hatte versucht, ein eigenes Werk zu verfassen, nicht mich bei anderen Schriftstellern zu bedienen – und war grandios gescheitert! Mein Buch, mein erstes eigenes Buch, kam bei Kritikern und beim Publikum einfach nicht an. Sicherlich, es verkaufte sich trotzdem, wurde aber nicht gelesen. Das Buch lag auf den Bestsellertischen, wurde gekauft, verschenkt, aber nicht gelesen! Niemand setzte sich in der ihm gebührenden Form mit ihm auseinander. Für mich war es ein Schlag. Mein Werk wurde nicht anerkannt, ich flüchtete mich für mehr als zehn Jahre in einen nebelverhangenen Alptraum aus Alkohol, Tabletten und noch einigen anderen Sachen, aus dem ich glücklicherweise irgendwann doch wieder herausfand. Die Schriftstellerei hatte ich trotz allem an den Nagel gehängt.
Ich versuchte etwas anderes, biederes,