Geschichten eines Geistreisenden. Axel Kruse
nie, weder als Ingenieur noch sonst wie.
Mein Leben danach verlief kaum noch geradlinig. Ich versuchte einmal mit Lisa Kontakt aufzunehmen, aber die lebte ihr eigenes Leben, da war nichts zu machen. Frauen gab es, ja, die gab es zu Hauf, aber keine wirkliche Partnerschaft. Ich ging allein durchs Leben.
Mit fünfundvierzig Jahren erinnerte ich mich an den bevorstehenden Herzinfarkt. Ich ließ mich durchchecken, einen Stent einsetzen und durchlief noch einmal kurz vor meinem fünfzigsten Geburtstag einen kompletten Checkup, die Ärzte versicherten mir, dass alles in Ordnung sei. – Es geschah trotzdem, ich kam nicht einmal dazu, den Notarzt zu alarmieren.
Thomas gönnte sich wieder einen Schluck aus seinem Bierglas und sah mich lange an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er sah mich prüfend an, wollte weiter erzählen, das merkte ich. Allerdings hatte er sein Glas mittlerweile geleert, sodass Joaquin, aufmerksam wie er war, mit einem neuen vor uns stand.
»Ich bin ein wichtiger Mensch, habe ich dir das schon gesagt?«, merkte er an.
Ich nickte, in letzter Zeit erzählte er seine Geschichten immer öfter. Wahrscheinlich hatte er den Überblick verloren, wen er mit welcher Geschichte bereits beglückt hatte. Aber hier bot sich für mich eine Gelegenheit.
»Ich bin kein wichtiger Mensch«, antwortete ich, als er sich schon von mir abgewandt hatte.
Geradezu elektrisiert drehte er sich wieder zu mir herum und musterte mich eingehend. »Du hast Kontakt gehabt?«, fragte er. Seine Augen bohrten sich geradezu in mich hinein.
Ich kostete den Moment richtiggehend aus. Sollte ich ihm von Thomas erzählen? – Nein, mir war da etwas anderes in den Sinn gekommen.
»Mit einem Zeitreisenden?«, fragte er flüsternd und auch ein wenig ungläubig.
Ich nickte erneut und führte dann aus: »Eine meiner Angestellten hat mir von ihrer Zeitreise berichtet. Sie war über die Weihnachtstage in England. Auf dem Hinflug und auf dem Rückflug betrug die Zeitverschiebung jeweils eine Stunde vor bzw. zurück ...« Weiter kam ich nicht, er drehte sich abrupt um und widmete sich anderen Gästen. Joaquin mag es nicht, auf den Arm genommen zu werden, dabei war ich so stolz auf meine Idee gewesen und hatte eigentlich erwartet, dass er darauf anspringen würde.
Joaquin war dennoch nicht nachtragend. Wenig später kam er zu uns zurück und raunte mir zu: »Passt auf, was ihr sagt, ich werde abgehört!«
Erstaunt blickten wir ihn an. »Abgehört?«, fragte ich.
»Ja«, bekräftigte er. »Übers Internet. Dahinten in der Ecke.« Etwas diffus wies er mit seiner Hand hinter die Theke.
»Aber, Joaquin«, wagte ich einzuwerfen, »du hast doch überhaupt kein Internet.«
»Die machen das trotzdem«, erwiderte er. »Da hinten, in der Ecke, da sollte mal ein Internetanschluss verlegt werden und jetzt knackt es da immer, das ist doch wohl Beweis genug oder etwa nicht?«
Thomas verdrehte die Augen, er war kurz davor aufzustehen und zu gehen.
Ich versuchte noch einen Anlauf. »Das kann doch auch das Holz der Theke sein, das sich ausdehnt«, schlug ich vor.
»Nein, nein«, sagte Joaquin mit seiner Besserwissermiene auf dem Gesicht. »Das Knacken kenne ich, das ist wie damals, in dem Telefonat mit meinem alten Kumpel. Der wurde auch abgehört. Schließlich hatte der Zoll ja mitgekriegt, dass der immer zu verbotenen Forschungen ins Ausland fuhr! – Du weißt schon, verbotene Archäologie und so. Da wird ja heutzutage vieles von den Außerirdischen in die Schuhe geschoben, aber für alles kann man die ja auch nicht verantwortlich machen. Da gab es ja schließlich noch menschliche Zivilisationen vor unserer, die viel weiter waren als wir!«
Das war mal wieder eine typische Beweisführung à la Joaquin, wirklich entgegnen konnte man da nichts. »Du bist demnach Geheimnisträger und wirst abgehört«, sagte ich.
Er nickte. »Ja«, bestätigte er. »Bei den Amerikanern, da geht ja auch nicht alles mit rechten Dingen zu«, führte er dann weiter aus. »Da gibt es doch diese Straße, die Route 666 ...«
»Du meinst die Route 66«, wagte Thomas einzuwenden.
»Nein, nein«, entgegnete er. »Die 666, die geht von der 66 ab, die wiederum von der 6 abgeht. Die haben ein eigentümliches System, die Amerikaner. Aber das Wichtige ist doch, dass die 666 in Dulce endet, warum denn ausgerechnet in Dulce?«
Wir verstanden nur Bahnhof, was wir dadurch zum Ausdruck brachten, dass wir ihn einfach nur anstarrten.
»Ich meine«, sagte er dann. »666, das ist doch die Zahl des Tiers, die des Teufels, steht doch in der Bibel. Und die endet in Dulce, stellt euch das mal vor! Das ist doch ein Fingerzeig!«
»Was ist denn in Dulce?«, fragte ich mittlerweile doch etwas genervt.
Diesmal war es an Joaquin uns und im Besonderen mich, erstaunt anzusehen. »Das weißt du nicht? In Dulce ist doch diese Militärbasis, die mit den zig Stockwerken unter der Erde, wo sich die Amerikaner doch vor einigen Jahren auf einer der untersten Etagen mit den Außerirdischen diese blutige Schlacht geliefert haben. Da muss doch ein Zusammenhang sein, das geht doch gar nicht anders! Das habe ich übrigens gelesen, in mehreren Büchern. Also unterschiedliches Quellenstudium, da brauchst du jetzt gar nicht mit deinen merkwürdigen wissenschaftlich verbrämten Argumenten dagegen zu kommen.« Mit diesen Worten eilte er zu anderen Gästen weiter, die ein frisches Bier kredenzt haben wollten und ließ uns perplex zurück.
»Wie ging es weiter?«, fragte ich dann an Thomas gerichtet, um ihm den Weg leichter zu machen und den Einstieg wieder zu finden.
»Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, warum es den Asteroidengürtel gibt?«, fragte er dann.
»Ich denke, dass die Bruchstücke, die da oben rumfliegen, ein verhinderter Planet sind«, erwiderte ich. »Ich glaube, das ist die vorherrschende Theorie.«
Er nickte bejahend. »Ja, aber warum gibt es ihn?«, fragte er nochmals nach.
Ich zuckte ratlos mit den Achseln
Astrominc 2
Mein Vater strich mir mit seiner Hand über die Stirn. »Du musst aufstehen, Thomas, die Schule ...«, sagte er. Das Licht aus dem Flur fiel auf mein Gesicht. Ich mühte mich aus dem Bett, irgendwie war ich diesen Tag leid geworden.
An die Hausaufgaben dachte ich diesmal nicht, es war mir alles egal. Na ja, nicht wirklich, denn dann wäre ich ja nicht zur Schule gegangen.
Das Angebot meines Vaters, von ihm zur Schule gebracht zu werden, lehnte ich zu Gunsten meines Rades ab. Er nickte nur und machte sich auf den Weg.
Als ich vor die Tür trat, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, man hatte mir die Räder von meinem Fahrrad abmontiert und gestohlen, zumindest war das mein erster Eindruck. Mein Rad stand da, einsam und verlassen im Fahrradständer, allerdings war es etwas anders gebaut, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Der Lenker war noch so, wie man es von einem Fahrrad erwarten konnte, was sich dann nach unten weiter fortsetzte, konnte man beim besten Willen nicht als Gabel bezeichnen, da gabelte sich nichts. Demzufolge war es auch überhaupt nicht vorgesehen, dass dort ein Rad montiert werden konnte. Vom Lenker aus zog sich ein Rohr nach unten, dann nach hinten und wieder nach oben, wo es in einem Sattel mündete. An zwei Fortsätzen, die an der unteren Stange angebracht waren, fanden sich zwei kleine Plattformen, die unstreitig für die Füße gedacht waren. Das Vehikel schwebte in der Luft und war mittels einer Kette am Fahrradständer festgemacht.
Ich sah verblüfft hin, was war das für ein Ding? Ich besah es mir von allen Seiten, zog den Schlüssel für die Kette hervor und schloss die Verriegelung auf. Der Lenker war neben dem Bremshebel eindeutig das einzige bewegbare Teil an dem ganzen Vehikel, wie fuhr man das Ding? Ich schwang mich auf den Sattel und versuchte es wie bei einem Roller. Das war es! Einmal mit den Beinen abgestoßen, glitt es, ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden schwebend, durch die Luft. Den Berg hinunter gewann ich richtig an Fahrt, das Ding machte Spaß.
Ich war entweder zu früh oder zu spät