Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug

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target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_26446a8a-49b4-57e6-af67-ca6ca8a77045">43 Der englische Ausdruck »financialization« leitet sich, innersprachlich korrekt, von »financial« (finanziell) ab wie der französische Term »financiarisation« von »financier«. Als »Finanzialisierung« eingedeutscht ist er nicht weniger bewusstlos unterwürfig als die Rede von »Analysten« (von engl. »analyst«, Analytiker) oder von der »Kommodifizierung« (von engl. »commodity«, Ware) statt des marxschen »Zur-Ware-Werdens«.

      Unter denen, die dieses Feld kritisch bearbeiten und dabei dem kapitalismusgeschichtlich Neuen den Epochennamen abzugewinnen versuchen, zeichnen sich zwei entgegengesetzte Denkrichtungen ab: eine historisch vergleichende, die regelmäßig wiederkehrende Ablaufmuster herausarbeitet, und eine, die in solchen Ablaufmustern das epochal Neue zu fassen sucht. Auch wenn der kritische Hauptstrom nicht auf ihrer Seite ist, hat die historisch vergleichende Richtung die besseren Karten. Zu der Frage aber, die uns bewegt, schweigen beide.

      Das wirklich Neue spielt auf einer Ebene, wo die Entwicklung ebenso unwiderruflich wie wiederholungslos fortschreitet. Es ist die Ebene des produktiv-konsumtiven Stoffwechsels der gesellschaftlichen Menschheit mit der Natur, der sie umgebenden und der eigenen. Auf ihr kann der Mensch, wie Marx sieht, »nur verfahren wie die Natur selbst« (23/57). Um wie die Natur verfahren zu können, muss er die Natur erforschen und die Verfahren und ihr jeweiliges Instrumentarium entwickeln, in denen das Naturwissen sich produktiv für letztlich konsumtive Zwecke anwenden lässt. Nach beiden Seiten verändert er dadurch Natur, die ihn umgebende und die eigene, Gegenständlichkeit und Subjektivität. Für die naturverändernde Subjektseite hat Marx den Satz aufgestellt: »Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen.« (23/194f) Dieses Wie hat wiederum zwei komplementäre Seiten, deren widersprüchliche Einheit die Produktionsweise bestimmt: »Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird.« (195) Mit der Natur aber verhält es sich wie in der Geschichte vom Wettlauf des Hasen mit dem Igel. Sie ist immer »schon da«. Die uns umgebende und unser Dasein tragende Natur nennen wir »Erde« in einem Sinn, der das, was auf, unter und über ihr ist, Wasser, Luft und alles Lebendige umfasst. Sie ist unser »natürliches Laboratorium«, wie Marx in den Grundrissen sagt (42/383), »das große Laboratorium, das Arsenal, das sowohl das Arbeitsmittel wie das Arbeitsmaterial liefert wie den Sitz, die Basis des Gemeinwesens« (384). Jede Entnahme und jede Entsorgung der Abfälle sorgt für ihre Veränderung. Vieles am Erdverbrauch einer bestimmten gesellschaftlichen Lebensweise, abbildbar als das, was man den »ökologischen Fußabdruck« genannt hat (vgl. Wackernagel/Beyers 2010), ist unwiderruflich. Das gilt zumal für die Folgen der systemischen Akkumulation um der Akkumulation willen, die den Kapitalismus von allen bisherigen Gesellschaftsformationen unterscheidet.

      Wir Heutigen, mit unserem katastrophisch geschärften Bewusstsein, müssen uns eingestehen, dass dieses Postulat in seiner positiven Fassung, wenn es sich nicht auf bestimmte Hinsichten beschränkt, streng genommen als utopisch zu bezeichnen ist. Denn auch wenn Ressourcen »von der Natur gratis geschenkt« zu sein scheinen (23/630), so ist doch in der Natur nichts umsonst. Jedenfalls können wir uns nicht vorstellen, vielleicht noch nicht, wie sich ein entsprechendes gesellschaftliches Naturverhältnis mit Nachhaltigkeitsüberschuss (›verbessert‹) im Ganzen herstellen lassen könnte. Wohl aber können wir zwischen nachhaltigeren und zerstörerisch zurückschlagenden Praxen unterscheiden, und an dieser ökologischen Unterscheidung hat sich unser Handeln auszurichten.

      Vom traditionellen Sprachgebrauch abweichend, mag man die Geschehensebene der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in diesem Sinn, den Natur ›übergreift‹, als die der menschlichen Naturgeschichte bezeichnen. Ebenso unwiderruflich wie wiederholungslos schreitet auf dieser Ebene die Entwicklung fort. Die Natur an sich ändert sich nur, indem sie sich gleich bleibt, bzw. bleibt sich darin gleich, dass sie sich fortwährend ändert. Die Natur für uns, die wir die »Erde« nennen, ist mit uns auf einer Reise ohne Wiederkehr. Der ungeheure Produktionsapparat, den die gesellschaftliche Menschheit für ihren »Stoffwechsel mit der Natur« errichtet hat und betreibt, wirkt mit seinen Abfällen und Ausscheidungen in der uns umgebenden Natur, verfahrend wie sie selbst. Wenn die Erdgeschichte Jahrmillionen dazu gebraucht hat, die sauerstoffbestimmte Atmosphäre herzustellen und die Reste der Organismen, die den Kohlenstoff gebunden und den Sauerstoff ausgeschieden haben, im Untergrund zusammenzupressen, so führt die industrielle Verbrennung solcher Reste den darin mineralisierten Kohlenstoff in einem Bruchteil jener Zeit als »Treibhausgas« wieder in die Erdatmosphäre zurück. Insofern macht die von den Ausscheidungen der Industriegesellschaft bewirkte Klimaveränderung


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