Mississippi Melange. Miriam Rademacher

Mississippi Melange - Miriam Rademacher


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Vermutung, dass er sich für den Rest des Abends im Schlafzimmer verbarrikadieren würde, stand er jetzt hier vor mir.

      »Wir brauchen wirklich mehr Geld, Vater.«

      »Ich hab’ doch nur eine kleine Durststrecke, Junge. Alles wird wieder gut, vertrau mir. Noch ein paar Monate und dann werde ich …«

      »Du wirst gar nichts«, erwiderte ich ruhig. »Sei froh, dass alle dich am anderen Ende der Welt vermuten und nicht hier bei mir. Lass es gut sein, ich werde eine Lösung für uns finden.«

      Dann ging ich duschen. Ich hatte schließlich zwei Stunden Zeit. Unter dem Strahl des warmen Wassers rechnete ich weiter, überlegte kurz, die letzten Kontoauszüge zurate zu ziehen, tat es aber als sinnlos ab. Ich kannte meinen Kontostand. Abschließend kämpfte ich noch eine Weile mit meinem Stolz. Letzterer schrumpfte auf ein Minimum zusammen, nachdem ich einen Blick in den Kühlschrank geworfen und das letzte halbe Bier getrunken hatte. Die letzte Käsescheibe aß ich ohne Brot und mit einer gehörigen Portion Selbstverachtung. Und gerade als ich den Schlüssel einstecken und die Wohnung verlassen wollte, öffnete sich die Tür des Schlafzimmers erneut.

      »Wer war der Kerl überhaupt, Smiljan? Weißt du das?« Die Augen meines Vaters blickten sorgenvoll aus dem unrasierten Gesicht, der grüne Morgenmantel, den er meistens trug, wies Reste von Eigelb am Revers auf.

      »Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

      »Smiljan. Ich finde, es reicht schon, wenn ich mein Leben versaut habe. Handle du dir nicht auch noch Ärger ein.« Seine Stimme klang aufgeregt, und ich beeilte mich, ihn zu beruhigen.

      »Ich höre mir an, was er zu sagen hat, und dann sehen wir weiter.«

      Mein Vater runzelte die Stirn und fuhr sich durch das feine, farblose Haar. »Da geht es doch bestimmt um irgendwas Illegales.«

      »Dann mach ich den Job nicht.« Er sah nicht überzeugt aus, und ich spürte, wie ich die Geduld verlor. »Ich gehe jetzt. Wenn du dich so um mich sorgst, dann stell dich hinter die Gardine. Vom Fenster aus wirst du genau beobachten können, was sich in der Wohnung gegenüber tut.«

      Ich flüchtete vor weiteren Nachfragen ins Treppenhaus. Ein paar Stufen später stand ich auf dem Bürgersteig und atmete die wohlvertraute Mischung aus Nachtluft und Autoabgasen. Es war kühl, der Sommer vorbei, und irgendwo lag schon der lange, stürmische Winter auf der Lauer. Im ersten Stock des Nachbarhauses brannte noch immer die einzelne Glühbirne. Ich überquerte die Gammelgade und klingelte kurzentschlossen bei Maiberg, denn dieser Name war der einzige, der erst kürzlich mit einem Streifen Kreppband über das ursprüngliche Klingelschild geklebt worden war. Kein dänisch klingender Name, wie ich fand. Gleich darauf hörte ich den Summer und lehnte mich gegen die Tür, die sogleich aufsprang. Schon beim Eintreten in den dunklen Hausflur hörte ich die Stimme des fremden Mannes.

      »Ich wusste, dass Sie kommen würden. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Kommen Sie rauf.«

      In der fremden Wohnung des Mannes mit dem Namen Maiberg stand tatsächlich kein einziger Umzugskarton. Hinter allen weit geöffneten Türen herrschte gähnende Leere.

      »Ist das jetzt Ihre Wohnung?«, fragte ich und machte ein paar Schritte vorwärts in den Raum mit der nackten Glühbirne. Es war die Küche, wie mir die Wasseranschlüsse an der Wand verrieten.

      Maiberg gab keine Antwort. Stattdessen nahm er eine Bierflasche von der Bank des Küchenfensters, eben jenes Fensters, durch das er mich beobachtet hatte, öffnete sie und reichte sie an mich weiter.

      Ich zögerte, daraus zu trinken, und sagte, was mir unter der Dusche am wichtigsten erschienen war: »Sie haben von einem legalen Job gesprochen und nur deswegen bin ich hier. Wenn ich merke, dass ich für irgendwelche krummen Machenschaften benutzt werden soll, dann werde ich nicht zögern …«

      Maiberg griff in die Innentasche seines Sakkos und zog ruckartig etwas heraus. Ich hielt den Atem an, doch statt einer Waffe wurde mir unvermittelt eine Fotografie vor das Gesicht gehalten. Sie zeigte ein Mädchen mit ausdruckslosem Gesicht und Mireille-Mathieu-Frisur. »Sie ist Ihr Job. Sehen Sie sie genau an, denn daraus wird Ihre Arbeit bestehen: Sie genau anzusehen. Jeden Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und darüber hinaus. Schaffen Sie das? Wenn Sie gerade mal ein bisschen unterrichten müssen, kann Ihr Vater für Sie einspringen. Das wäre doch eine nette Abwechslung für den alten Mann. Wo er doch nun schon seit Wochen in der kleinen Wohnung dort drüben festsitzt. Und es wird noch viel Zeit vergehen, bis Gras über seine Verbrechen gewachsen ist.«

      »Mein Vater ist kein Verbrecher«, widersprach ich. »Er hatte die besten Absichten, als er das Geld seiner Kunden und Freunde anlegte. Er hatte einen todsicheren Tipp bekommen, verstehen Sie?«

      »Ja, diese Art Tipps kenne ich sehr gut.« Maiberg wedelte mit der Fotografie vor meinem Gesicht herum. »Interessanterweise liegen die Tippgeber meist kurz nach dem Platzen der Seifenblase an einem fernen Strand und zählen ihre Millionen, während andere wie Ihr Vater bis zum Hals in der Scheiße stecken. Aber was rede ich. Das sind Probleme, die mich eigentlich gar nichts angehen. Mir geht es einzig und allein um sie.«

      Maiberg ließ zu, dass ich ihm das Foto aus der Hand nahm. Ich betrachtete das runde Gesicht genau und schätzte das Mädchen auf etwa dreizehn Jahre.

      »Das ist ein Kind«, stellte ich fest und machte Anstalten, das Bild zurückzugeben, doch Maiberg nahm es nicht zurück.

      »Sie ist dreiundzwanzig.« Die Stimme des anderen knarrte nicht mehr. Sie hatte eine warme Färbung angenommen. »Und ihr Name ist Katalie.«

      Dreiundzwanzig, nur fünf Jahre jünger als ich selbst. Mir fiel es schwer, das zu glauben. Das Mädchen auf dem Foto trug einen Nickipullover und eine Cordhose. Kein Mensch trug heutzutage noch Cordhosen, schon gar keine junge Frau. »Katalie. Ein seltsamer Name. Habe ich noch nie gehört.«

      »Ein seltsamer Name für ein seltsames Mädchen.« Die Stimme des Mannes war noch weicher geworden, seine Gedanken schienen für einen Moment abzuschweifen, doch dann klang er wieder ganz geschäftsmäßig, als er fortfuhr: »Sie wird hier einziehen. Katalie hat diese Wohnung von ihrer Großmutter geerbt, die vor einigen Wochen im Krankenhaus verstorben ist. Ihr ganzer Besitz ging an Bedürftige, nur diese Wohnung hinterließ sie ausgerechnet ihrer Enkelin. Katalie ist fest entschlossen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Deswegen und weil es so am besten ist, werden Sie von dem Tag ihres Einzuges an ein wachsames Auge auf sie haben, verstanden?«

      »Nein«, gab ich unumwunden zu. »Was bedeutet es, ein wachsames Auge auf jemanden zu haben? Wie stellen Sie sich das vor?«

      Maiberg deutete auf das Fenster und hinüber zu meiner Wohnung. »Sie werden morgens nachsehen, ob sie aufsteht, werden darüber wachen, was und wie oft sie isst, werden sicherstellen, dass sie jeden Abend heimkommt und beobachten, mit wem sie sich umgibt oder anfreundet.«

      Mir kam ein Verdacht. Noch einmal betrachtete ich das Foto in meiner Hand genau. »Kann sie nicht auf sich selbst aufpassen? Ist Katalie behindert oder geistig zurückgeblieben?«

      »Das konnte niemals nachgewiesen werden!« Maiberg klang jetzt aufgebracht und rang die Hände, hatte sich aber Sekunden später wieder in der Gewalt. Er räusperte sich und seine Stimme klang verlegen, als er weitersprach: »Katalie ist sonderbar, ja. Ihre Art, die Dinge zu sehen, ist einzigartig. Sie ist nicht ganz von dieser Welt.« Er machte eine ausladende Geste und wirkte nun gar nicht mehr wie der weltgewandte Mann, der mir in meinem Arbeitszimmer gegenübergestanden hatte. Jede Überheblichkeit war von ihm abgefallen. »Manchmal wären wir alle gern nicht von dieser Welt, nicht wahr? Aber unser Verstand folgt allgemeinen Regeln und Gesetzen und kann gar nicht mehr anders, als immer wieder auf denselben ausgetretenen Pfaden zu wandeln, verstehen Sie? Bei Katalie ist das anders.« Seine Arme fielen herab. »Um sie herum scheint die Wirklichkeit sich zu verzerren, wenn Sie mir folgen können.« Das konnte ich nicht, und meine Mimik hatte wohl auch genau das zum Ausdruck gebracht, weswegen Maiberg einmal mehr hilflos die Hände rang und sagte: »Sie werden es erleben, junger Mann. Und dann werden Sie verstehen, wovon ich


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