Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner


Скачать книгу
Ende der Unterführung, an der Rundung der Wand, lehnte in leicht gebückter Haltung ein jüngerer Mann und lugte unter seiner Kapuze verstohlen zu uns herüber. Er nestelte nervös, sich immer wieder in alle Richtungen umschauend, an den Bändern seines Kapuzenpullis herum. Es schien fast so, als würde er auf uns warten. Unsere Schritte wurden gleichzeitig langsamer und nach einem kurzen Blickwechsel war deutlich, dass wir dasselbe dachten. Auch Charlie war der Typ unheimlich. Ich überlegte, wie viel Geld ich bei mir hatte, falls er ein Junkie war, der schon mit zwanzig freiwillig herausgerückten Dollars das Weite suchen würde.

      Unsicher schauten wir wieder zu ihm hinüber, doch die Entscheidung, umzukehren, war fühlbar. Charlie streckte ihren Arm kurz etwas vor meinem Körper aus, was einer angedeuteten Barriere gleichkam.

      In unveränderter Haltung stand der Typ da. Fast regungslos sah er uns entgegen. Er wirkte nicht besonders kräftig. Ob er wagen würde, es mit uns zweien gleichzeitig aufzunehmen? Vielleicht war er aber auch total harmlos und nur irgendein Nerd, der schon kalte Schweißausbrüche bekam, wenn weibliche Wesen seinen Weg mit weniger als fünf Schritten Abstand zu kreuzen drohten, versuchte ich, mich zu beruhigen. Möglicherweise würde er aber auch, was einem Albtraum gleichkäme, ein Messer aus der Tasche ziehen. Der Gedanke löste kurzfristig Panik in mir aus und die Turbulenzen in meinem Kopf nahmen zu. Niemand sonst war zu sehen. Es würde uns also im schlimmsten Fall niemand helfen, selbst wenn wir laut schrien. Zu allem Überfluss musste ich jetzt an den vorhin erwähnten Psycho aus dem Film denken und mir wurde heiß und kalt zugleich.

      Ein vernünftiger Impuls riet mir zur Flucht. Warum etwas riskieren? Ohne ihn aus den Augen zu lassen, drehte ich meinen Oberkörper, um den Rückzug anzutreten, als ein Windstoß durch die Unterführung fegte und ein paar Blätter aufwirbeln ließ. Eigenartig war nur, dass es sich nicht wirklich wie Wind anfühlte, sondern eher wie die verwirbelte Luft, wenn jemand sehr schnell und dicht an einem vorbeiläuft. Auch ein blumiger Geruch war plötzlich um mich herum. Irritiert sah ich zu Charlie, doch ihr war offenbar nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Sie behielt weiterhin den mysteriösen Mann im Auge.

      Der wandte schlagartig den Blick von uns ab und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Er schien uns gar nicht mehr wahrzunehmen. Irgendetwas anderes fesselte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Ich spähte angestrengt in die Richtung, in die er sah, konnte aber nichts erkennen. Er hob die Hände an die Schläfen und jammerte leise vor sich hin. Dann senkte er den Kopf und verbarg sein Gesicht ganz unter der Kapuze.

      Der ist einfach nur durchgeknallt, dachte ich und warf Charlie einen fragenden Blick zu. Sie presste die Lippen zusammen, zog die Mundwinkel nach unten und zuckte fast unmerklich mit den Schultern.

      Nun ließ der Mann die Arme sinken und sie baumelten kraftlos neben seinem Körper. Ein dumpfes Gemurmel drang herüber. Auf einmal kam jedoch Spannung in seinen Körper. Mit einem Ruck richtete er sich auf und rannte davon. Es war alles sehr merkwürdig.

      Charlie nahm ihren Arm herunter und raunte: »Wow.«

      »Was war das denn gerade?«, zischte ich, meinen aufgestauten Druck entladend. Das Adrenalin schoss immer noch durch meine Adern.

      Charlies Gesichtszüge entkrampften und sie atmete erleichtert einmal sehr tief durch, um die Luft mit einem langen Pffffhh wieder auszustoßen. Dann hakte sie sich, zu meiner oder vielleicht auch zu ihrer Verstärkung, da war ich mir jetzt nicht ganz sicher, bei mir unter.

      »Alles halb so wild. Das ist eben New York. War nur ein Spinner, glaub mir, davon laufen hier reichlich rum«, meinte sie, die Sache etwas herunterspielend, als wollte sie ihrer vermeintlichen Aufgabe als meine Beschützerin schnell wieder gerecht werden. Ich fragte mich, ob sie sich im Ernstfall wie eine Löwin vor mich geworfen hätte. Zugetraut hätte ich es ihr. Sie war vielleicht nicht die Mutigste, aber ihre Loyalität war grenzenlos.

      Sie kehrte so schnell zur Normalität zurück, dass ich den Verdacht hatte, sie rechnete es ihrem Auftrag hinzu, meinen Aufenthalt hier durch nichts trüben zu lassen. Sie hatte Erfolg. Meine Muskeln entspannten sich.

      »Ja, und ab heute zwei Spinner mehr«, lachte ich erleichtert und erwiderte den Druck ihres Armes.

      Wir machten kichernd auf der Stelle kehrt und marschierten eilig aus dem Gang heraus in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Sicher ist sicher, war die Devise.

      »Also, stürzen wir uns ins Nachtleben«, verkündete Charlie den nächsten Programmpunkt.

      Ich sah mich noch zweimal verstohlen um, weil ich das unerklärliche Gefühl hatte, dass wir verfolgt wurden. Aber es war nur Einbildung, denn niemand war zu sehen. Werd bloß nicht schon am ersten Abend paranoid, ermahnte ich mich selbst.

      »Was ist?«, fragte Charlie, wieder die Souveränität in Person. »Ist jemand hinter uns her?« Sie bewegte ihre Arme und Hände in Wellenbewegungen vor ihrem Gesicht, sah mich dabei beschwörend an und machte: »Huuuh.«

      »Sehr witzig«, tat ich beleidigt, aber ich drehte mich tatsächlich ein drittes Mal um, als Charlie wegsah.

      Der nächste Morgen präsentierte sich, als ich die Vorhänge beiseiteschob, leider grau. Es nieselte leicht. Doch Charlie war bestens gelaunt. Summend hörte ich sie aus der Dusche kommen, dann brummte der Fön eine gefühlte Ewigkeit. Ich hatte begonnen, ein paar Kleidungsstücke auf die Plastikbügel im Kleiderschrank zu hängen. Ein verzweifelter Versuch der Schadensbegrenzung. Meine helle Hose und die beiden Blusen waren so sehr zerknittert, dass ich keine Hoffnung hatte, dass reines Aushängen etwas bewirken würde. Also würde ich wie immer, und zugegebenermaßen am liebsten, Jeans und T-Shirt tragen.

      Geräuschvoll wurde die Badezimmertür aufgestoßen. »Bad ist frei!«, trällerte Charlie. Ganz in ein riesiges, weißes Handtuch gewickelt, ließ sie sich auf den Stuhl vor dem Spiegel plumpsen und fing an ihre Schminkutensilien auszubreiten. Mit ihrem schwarzen Haarreif schob sie streng die Mähne nach hinten und als sich unsere Blicke im Spiegel begegneten, drehte sie sich zu mir um. »Und es macht dir wirklich nichts aus, Val?«, fragte sie mit ihrem Dackelblick, den sie normalerweise gern einsetzte, um mich zu irgendetwas zu überreden.

      Tobey brauchte von Boston nur eine gute Flugstunde hierher und wollte gegen zehn Uhr bei uns im Hotel sein.

      »Nein wirklich, überhaupt nicht. Mach dir keinen Kopf. Das geht voll in Ordnung. Ich gebe mir heute die volle Dröhnung Kultur. Aber wir sollten es vielleicht nicht unbedingt meiner Mom erzählen, dass ich solo unterwegs war.«

      Es war für mich total verständlich und so abgesprochen, dass sie mit Tobey ungestört etwas Zeit verbringen wollte. Aber die korrekte Charlie hatte einen Anflug von schlechtem Gewissen, dass sie mich heute stundenlang allein lassen würde.

      »Auf keinen Fall, von mir erfährt sie es ganz sicher nicht. Danke, Val, du bist so ein Schatz.« Sie wandte sich erleichtert wieder ihrem Spiegelbild zu, um gleich darauf unzufrieden zu stöhnen. »Oje, wie sehe ich denn aus? Ist das Licht hier anders als im Bad?« Hektisch betastete sie ihre Unterlider. »Ich hab ja Augenringe. Scheiße.« So dicht es ging, ohne schielen zu müssen, beugte sie sich zum Spiegel vor und betrachtete fluchend die leichten Augenschatten.

      »Du spinnst doch, du siehst gut aus. Etwas Concealer unter die Augen und dann läuft’s.«

      »Du hast gut reden. Warum sieht man dir eigentlich nichts an?«

      »Charlie«, raunte ich gedehnt, »ich hatte ein halbes Bier.«

      »Ja, ja«, winkte sie ab. Sie stöhnte eigentlich immer, das war nichts Neues. Wahrscheinlich hätte sie noch mehr Grund zur Klage gehabt, wenn ich ihr gestern Nacht nicht den letzten, fast vollen Drink aus der Hand gefischt hätte, als ihr Kopf nach hinten gekippt und sie vor Müdigkeit mit offenem Mund in den riesigen Loungekissen gelandet war. Als sie sich im nächsten Augenblick auf die Seite gedreht und die Beine in Embryostellung angezogen hatte, war das für mich ein untrügliches Signal gewesen, schnellstens ein Taxi zu organisieren.

      Hoffnungsvoll suchte ich in meiner Kleiderauswahl nach den restlichen, möglicherweise brauchbaren Klamotten, als es an der Tür klopfte. Überrascht sahen wir uns an. »Gehst du mal hin?«, bat Charlie mit fragendem Blick, während sie ihre Haare mit ihrer überdimensionalen Bürste


Скачать книгу