Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner


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von einer Ausstellungstafel mit Sternenkonstellationen, eine Gestalt stand, die unverwandt zu mir herüberblickte. Ich mochte es überhaupt nicht, angegafft zu werden. Augenblicklich begann ich dann nämlich zu überlegen, was an mir eventuell nicht stimmte, und das brachte mich jedes Mal in eine komplette Abwehrhaltung. Es war meine Art, aufkommende Unsicherheit zu kompensieren.

      Schnell drehte ich meinen Kopf der Gestalt zu, bereit, ihr meinen finstersten missbilligenden Blick entgegenzuschleudern. Doch als ich in der Drehung meine Brauen zusammenzog, bemerkte ich, dass dort ein umwerfend aussehender Junge stand, der seinen Blick an mir vorbei auf den Meteoriten geheftet hatte, während er sehr konzentriert der erklärenden Stimme aus dem Kopfhörer zu lauschen schien. Überrascht fiel mir die Kinnlade herunter und meine Pulsfrequenz stieg merklich. Er glich nicht annähernd jemandem, den ich kannte. Niemand hätte einem Vergleich mit ihm standhalten können. Es war nicht möglich, ihn zu beschreiben, ohne das Wort wunderschön immer und immer zu wiederholen. Hätte mich vorher jemand nach meiner Traumvorstellung von einem perfekten Jungen gefragt, hätte ich keine Antwort gewusst. Jetzt kannte ich sie. Braune Haare, gewellt, etwas länger, freundliche, dunkle Augen mit kräftigen Brauen darüber, eine ebenmäßige Nase, markantes Kinn, ausdrucksvolle Lippen, groß und schlank. Sein Anblick stach in mein Herz wie ein Dolch. Und doch glaubte ich, dass es nicht ausschließlich seine Schönheit war, was mich an ihm auf unerklärliche Weise fesselte und magisch anzog.

      Die Angst, er könnte bemerken, wie ich ihn mit offenem Mund und dämlichem Gesichtsausdruck anstarrte, ließ mich meinen Kopf reflexartig zurückdrehen. Zitternd widmete ich wieder Willamette meine gespielte Aufmerksamkeit. Ich zischte unhörbar durch die Zähne und senkte verunsichert meinen Blick. Wie hatte ich nur glauben können, dass ich im Mittelpunkt seines Interesses stand? Ich versuchte krampfhaft, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, um möglichst desinteressiert auszusehen, wenn ich mich ein zweites Mal zu ihm umdrehte – denn der Zwang, es zu tun, wurde übermächtig. Bloß nicht lächerlich machen, Val, hämmerte es mir durch den Kopf. Aber es ist doch ganz natürlich, wenn ich mich in einem Raum voller Exponate umsehe, machte ich mir Mut, und wenn er zufällig in meiner Blickrichtung steht … Hitze breitete sich in mir aus und nachdem sie gründlich durch meinen kompletten Körper geschossen war, besetzte sie meine Wangen. Der kurze Augenblick, der Bruchteil einer Sekunde hatte ausgereicht, um sein Gesicht wie gescannt auf meiner Festplatte zu speichern. Und dieses Bild musste ich jetzt unbedingt überprüfen. Mit trockenem Hals drehte ich mich zögernd in seine Richtung und versuchte dabei, völlig entspannt zu wirken, obwohl mein Herz inzwischen wie verrückt pochte. Verstohlen schaute ich über die Schulter.

      Er war weg.

      Es war eine schmerzliche Enttäuschung. Eine Eisenkralle presste mein Herz zusammen und in meinem Magen rebellierten die Frühstücksflocken.

      Wie war er nur so schnell verschwunden? Ich blickte mich in alle Richtungen um. Außer einer Gruppe Schulkinder, die jetzt lärmend in den Saal stürmte und sofort mit einem energischen Zischlaut ihrer Lehrerin zur Ordnung gebracht wurde, waren nur einige unauffällige Besucher auszumachen. Betrübt blies ich die angehaltene Luft langsam aus meinen Lungen heraus und begann, auf meinen Lippen herumzubeißen. Als könnte ich damit auch Ordnung in mein Gefühlschaos bringen, zog ich bedächtig mein T-Shirt glatt. Schade, war das Wort, das mir einfiel, auch wenn es meiner Enttäuschung nicht annähernd gerecht wurde. Na, vielleicht ist es auch gut so, versuchte ich mir einzureden. Es war immerhin möglich, dass mein blödes Verhalten ihn in die Flucht geschlagen hatte. Was für eine blamable Aktion. Das war jetzt auf jeden Fall das Signal zum Aufbruch. Ich atmete noch einmal tief durch und eilte frustriert zum Ausgang.

      Da endlich die Sonne herausgekommen war, stopfte ich meine Regenjacke in den Rucksack, warf ihn über meine rechte Schulter und stakste die breite Treppe des imposanten Gebäudes hinunter. Ich machte einen kerzengeraden Rücken, nahm die Schultern nach hinten, sog die warme Spätsommerluft ein und ermahnte mich förmlich zu guter Laune. Was für ein Tag, was für eine Stadt, was für ein Glück!

      Sehr langsam, fast zögernd schlenderte ich in der wärmenden Sonne in Richtung der nächsten U-Bahn-Station und betrachtete aufmerksam meine Umgebung. Doch mir wurde bewusst, dass mein Fokus auf den Gesichtern der Menschen lag, nicht auf den facettenreichen Gebäuden, die ich passierte. Eine Konzentration darauf war mir nicht möglich. Dieses unfassbar schöne Gesicht hatte sich ungefragt in meine Netzhaut gebrannt und schummelte sich immer wieder in meine Gedanken. Aber die vage Hoffnung, ihn noch einmal wiederzusehen, schwand, je weiter ich mich vom Museum entfernte. Und so schloss ich das Kapitel und beschleunigte meine Schritte.

      Den Coffeeshop am Union Square, wo ich mit Charlie und Tobey verabredet war, erkannte ich nach deren Beschreibung sofort an den großen, orangefarbenen Kugellampen im Fenster. Der dunkelrot gestrichene Raum war heillos überfüllt. Es schien ein angesagter Studententreff zu sein. Ich drängte mich an der endlos scheinenden Schlange am langen Tresen vorbei, wo den Baristas die Bestellungen entgegengeschleudert wurden: »Einen Caramel Macchiato«, »Einen doppelten Espresso«, »Einen White Chocolate bitte.« Dazwischen dröhnten die Kaffeemaschinen und die Milchaufschäumer zischten quietschend.

      Charlie und Tobey lümmelten sich mehr über- als nebeneinander auf einem plüschigen Sofa in der hintersten Ecke. »Hey, da bist du ja!«, rief Tobey mir entgegen. »Schön, dich in einem Stück wiederzusehen.«

      »Ha, ha«, tat ich beleidigt.

      Angesichts der enormen Schlange am Tresen verzichtete ich auf einen Kaffee und bat um einen Schluck von Charlies Wasser. Dann berichtete ich begeistert von meinen Eindrücken im Museum, hatte aber nicht das Gefühl, dass es sie rasend interessierte. Tobey streichelte Charlies Taille unter ihrem kurzen rosafarbenen Shirt und sie drängte sich wohlig seiner Hand entgegen und warf ihm immer wieder feurige Blicke zu. Ich kam zu dem Schluss, dass auch ihr Tag zufriedenstellend verlaufen war.

      Gemeinsam machten wir im Sonnenschein den Spaziergang über die Brooklyn Bridge und ich kam endlich zu meinen Fotos von Manhattans Skyline. Eng umschlungen liefen die beiden vor mir her und warteten geduldig alle paar Schritte, bis ich alles im Kasten hatte. In Brooklyn schmissen Tobey und ich in einem gemütlichen Eck-Café noch ein paar Pancakes ein. Charlie bestellte nur einen Saft, um sich dann aber von Tobey mit einem guten Drittel seiner Portion füttern zu lassen, woraufhin ich ihm mitfühlend einen von meinen abtrat. Auf dem Rückweg statteten wir dem Pier 37 noch einen Besuch ab, aalten uns in Liegestühlen in der Sonne und tranken Eistee. Es war ein relaxter Tag und die Stadt wuchs mir mehr und mehr ans Herz.

      Am späten Abend sprang Tobey ins Taxi, um seinen Flieger zu kriegen, und Charlies Laune sackte so drastisch ab, dass ich nichts dagegen hatte, nach einer solidarisch geteilten Mitternachtstrostpizza zurück ins Hotel zu fahren.

      Ich schob es auf den fettigen Käse, dass ich in dieser Nacht einige Male wach wurde. Jedes Mal aber sah ich mich irritiert im Zimmer um, denn ich hatte das verrückte Gefühl, es wäre, außer der schlafenden Charlie, noch jemand da.

       Wechselbad der Gefühle

      Der schon recht warme Spätsommerwind dieses sonnigen Vormittages zerrte wild an meinen Haaren und ließ sie wie eine Fahne flattern, die hin und her peitscht, als wollte sie in die Freiheit entlassen werden. Ich ließ den Wind über meinen Hals streichen, in meine geöffnete Jacke gleiten, unter mein Shirt schlüpfen, bis er durch jede Faser meines Körpers zu dringen schien. Obwohl ich trotzdem ein wenig zu frösteln begann, hielt ich stand. Ich fühlte das pure Leben. Es erschien mir in diesem Moment so intensiv wie nie. Dieses Gefühl wollte ich nicht zerstören. Der Genuss war einfach größer. Dass ich mich in einer Höhe von über dreihundert Metern auf dem Empire State Building befand, steigerte meine Euphorie.

      Mit den Händen auf der grauen Steinmauer der Besucherplattform abgestützt, wippte ich auf den Zehenspitzen und versuchte, dem Rausch der Tiefe zu widerstehen. Unter mir breitete sich die endlos erscheinende Stadt aus. Der Straßenlärm hatte sich zu einem einzigen, undefinierbaren, dumpfen Dauerton vereinigt, der fast etwas Hypnotisches hatte. So könnte ich ewig hier stehen, dachte ich. Ohne Scheu gurrte dicht neben mir, auf dem Stein hockend, eine Taube. Sie interessierte sich nicht für diesen unglaublichen Ausblick, sondern nur für die Sandwichkrümel


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