Highcliffe Moon - Seelenflüsterer. Susanne Stelzner

Highcliffe Moon - Seelenflüsterer - Susanne Stelzner


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seufzte ich mit gebrochener Stimme. »Ich schwöre dir, so etwas, wie das eben, habe ich noch nie gefühlt. Ich bin total neben der Spur.«

      Ich spürte, wie mein ganzer Körper zitterte, als hätte mich eine Kaltfront erwischt. Charlie nahm meine Hand und strich beruhigend darüber, während sie mit erschrecktem Blick in meinen Augen zu lesen versuchte.

      »Oh Mann, Süße, ich hab ja überhaupt nichts mitgekriegt.«

      »Und was mich jetzt total fertigmacht …«, stammelte ich, während ich ihr nervös meine Hand entzog. »Wenn er derjenige war, der Richtige für mich, mein Seelenverwandter – es fühlte sich nämlich so an –, dann hab ich’s vergeigt. Er ist weg und ich werde mich immer fragen, was gewesen wäre, wenn …«

      »Mensch, Val, dich hat’s ja echt erwischt.« Charlie machte ein entsetztes Gesicht.

      »Hättest du mich nicht aus dem Zug gezerrt, hätten wir hier nicht rausgemusst …«, sinnierte ich weiter, traurig den Betonboden unter mir anstarrend.

      Sie zuckte zusammen und verzog schuldbewusst den Mund. »Oh scheiße, hab ich’s vermasselt?«, zischte sie durch die Zähne. »Sorry. Ich wusste es doch nicht. Warum hast du nicht irgendwas gesagt?«

      »Ich konnte nicht.« Ich schüttelte meinen geneigten Kopf. Enttäuschung und Wut stritten sich um die Vorherrschaft.

      »Scheiß auf die Station«, sagte Charlie grimmig. »Ich wäre mit dir stundenlang U-Bahn gefahren, wenn ich es geahnt hätte. Wirklich, das tut mir so unendlich leid.« Tröstend berührte sie meine Schulter und suchte meinen Blick. »Komm her«, sagte sie, schlang ihre Arme um mich und drückte mich fest an sich.

      Das war jetzt der Moment, entweder loszuheulen wie ein Schlosshund oder stark zu sein und es herunterzuschlucken. Normalerweise wäre Losheulen meine Wahl gewesen, aber meine Traurigkeit hatte eine ungewohnte Dimension erreicht, die nur noch eine hoffnungslose Leere hinterließ.

      Ich bemerkte die starrenden Blicke der zur Bahn eilenden Menschen und löste mich sanft von Charlie.

      »Du bist mir bitte nicht böse, oder?« Sie war immer noch bestürzt.

      Mein Verstand sagte mir, dass ich mich zwingen sollte, loszulassen, auch wenn mein Herz dagegen anschrie. Es war gelaufen. Mit einem langen Atemzug sog ich die Luft tief durch die Nase ein, um sie mit einem Seufzer wieder auszustoßen. Natürlich war es nicht fair, ihr das Gefühl zu geben, schuld zu sein. Hätte ich ihr doch bloß einen kleinen Hinweis gegeben. Aber wie, als erstarrte Marmorsäule? Mühsam rang ich mir ein kleines Lächeln ab.

      »Nein, ich bin dir nicht böse. Ich bin auf mich sauer. Ich hab mich total bescheuert verhalten.« Ich schüttelte wieder den Kopf und biss die Zähne aufeinander, bis sie fast knirschten. »Er war unglaublich. Wie er mich angesehen hat!« Eine Gänsehaut rieselte über meine Arme. »Ich hätte ihn so wahnsinnig gern kennengelernt. Obwohl er mir die wackeligsten Beine meines Lebens beschert hat … oder gerade deshalb.« Ich stöhnte laut auf. »Und es macht mich völlig fertig, dass er jetzt weg ist, unerreichbar.« Die Machtlosigkeit war unerträglich. »Es ist so gemein. Wäre ich ihm gar nicht begegnet, hätte ich jetzt nicht das Gefühl, etwas verloren zu haben. Ach, Charlie, er sah unglaublich aus. Das allererste Mal gefällt mir ein Junge zu hundert Prozent und dann löst er sich wieder in Luft auf.« Meine Stimme überschlug sich fast.

      Charlie stand mit offenem Mund vor mir. Mich selbst verblüffte diese emotionale Entladung allerdings am meisten.

      »Und das Irrste ist, dass ich ihn gestern schon einmal gesehen habe, im Museum.«

      »Echt? Das gibt es doch gar nicht.«

      »Doch, es ist wahr.«

      »Wow«, war ihr einsilbiger Kommentar.

      »Ja, wow.« Ich atmete erneut tief ein und hörbar aus und wiederholte das Ganze noch einmal. Dabei drückte ich mit meinen ausgebreiteten Handflächen nach unten, als könnte ich damit die Unruhe zurückdrängen. Irgendwo hatte ich aufgeschnappt, dass das den Puls normalisieren konnte.

      Charlie hakte sich bei mir ein und legte den Kopf an meine Schulter, während sie liebevoll über meinen Arm strich. »Was kann ich tun, damit du nicht mehr so traurig bist?«, säuselte sie und schlug ihre Augen groß auf.

      Wortlos und leer sah ich sie an. Sie konnte nicht ermessen, wie weltbewegend diese Begegnung für mich war. Wie sollte sie auch? Ich verstand es selbst kaum. Wie kann man so etwas für jemanden fühlen, den man überhaupt nicht kennt?

      Charlie presste die Lippen zusammen. Dann stieß sie einen Seufzer aus. »Weißt du, manchmal verschlimmert eine verpasste Gelegenheit die Gefühle sehr irrational. Das ist mir auch schon mit einem Typen passiert. Später habe ich ihn dann doch noch kennengelernt und er hatte eine so nervige Stimme, dass sie mich total abgetörnt hat. Das ging gar nicht. Da nutzte dann auch das Aussehen nichts mehr.«

      Ihr Versuch, mich zu beschwichtigen, ging ins Leere. Ich sah sie zweifelnd an. Das konnte ich mir bei ihm beim besten Willen nicht vorstellen.

      Sie sah mich beschwörend an. »Man neigt dazu, Jungs zu glorifizieren, die man nur vom Sehen kennt. Ich will ihn dir auf keinen Fall schlechtreden, aber du musst die Möglichkeit wenigstens in Betracht ziehen.«

      »Ich weiß nicht …«

      »Hat er gelacht?«

      »Nein.«

      »Vielleicht hat er ganz schlechte Zähne.«

      »Nun reicht’s, Charlie.« Ich entwand mich verärgert ihrer Umklammerung. Das war ein Angriff auf meine wunderschöne Statue auf dem hohen Podest.

      »Entschuldige. War nicht so gemeint«, beeilte sie sich zu sagen. Dabei zog sie einen Mundwinkel stark nach unten. »Wirklich nicht.«

      Ich ahnte, dass Charlie alles nur für eine heftige Schwärmerei hielt, die sich bald wieder legen würde. Tief in meinem Inneren fühlte ich aber, dass dies hier nicht so sein würde. Wieder erfasste eine Welle des Schmerzes meinen Brustkorb. Ich wollte kein Spielverderber sein, aber auf einmal machte mir das alles hier keinen Spaß mehr. Starr wie eine Marionette sah ich geradeaus ins Leere.

      »Es bringt ja sowieso nichts. Die Sache ist gegessen.« Resignierend atmete ich einmal kurz durch und zwang mich zu einem gequälten Lächeln. »Du wolltest doch noch shoppen. Vielleicht ist das jetzt genau das Richtige.« Wenn sie mit den Klamotten beschäftigt war, würde ich etwas Zeit haben, wieder in die Spur zu kommen. Ich litt sowieso lieber im Stillen.

      »Möchtest du wirklich?«, fragte sie skeptisch.

      »Ja, wirklich«, bestätigte ich müde.

      »Na gut.« Noch nicht recht überzeugt, sah sie mich von der Seite an und ich versuchte, meine Gesichtsmuskeln zu lockern.

      Je weiter wir die Station hinter uns ließen, desto mehr kam mir die Erkenntnis, dass ich nur eine Chance hatte, das Ganze seelisch zu überleben, nämlich indem ich dieses unerfüllte, schmerzliche Gefühl nach tief unten in mein Gedankenarchiv verbannte. Weiter darüber nachzudenken, hätte mich an den Rand des Wahnsinns gebracht.

      Charlie fand sehr schnell ein Objekt ihrer Begierde. Es war ein edles, kleines Designerkaufhaus und weckte augenblicklich ihr Jagdfieber. Sie hüpfte begeistert durch die Gänge und musterte verzückt die neuen Kollektionen, während ich verdrossen hinterherschlurfte. Als sie begann, die ersten Teile über ihren Arm zu laden, wusste ich, dass es ratsam war, mir eine bequeme Sitzgelegenheit zu suchen. Mir selbst war nicht danach, etwas anzuprobieren. Es war sowieso nicht meine Preisklasse. Während sie mit einer Auswahl von skurrilen Teilen in der Umkleidekabine verschwand, sank ich in einen kantigen, dunkelgrauen Ledersessel neben einer der schwarz gestrichenen, antiken Eisensäulen, die eine Deckenkonstruktion aus naturbraunen Holzbalken stützten. Vor mich hinträumend, verlor sich mein Blick in den an den Dachbalken baumelnden ungewöhnlichen Lampen aus verwobenen, breiten Plastikbändern. Wer bist du, wo bist du?

      Charlie riss mich alle paar Minuten aus den Gedanken, wenn sie, meine Meinung einfordernd, wie ein Model über die Hüften streichend, an mir vorbeistakste. Ich bestätigte, dass


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