EINSICHT in UNerhörtes. Dr. Manfred Nelting
die Frage der körperlichen Unversehrtheit auch bei Kindern müssen wir uns jetzt insbesondere noch die Thematik der sogenannten Telomere anschauen.
1.4 Telomere und ihre Bedeutung
Telomere sind die Endstücke der Chromosomen (die Chromosomen befinden sich im Zellkern und tragen die Gene, unser Arsenal an Erbinformationen). Die Telomere werden häufig mit den Plastikenden von Schnürsenkeln verglichen, die auf die Enden der Schnürsenkel aufgesetzt werden, damit diese nicht ausfasern.
Entsprechend schützen auch die Telomere die Chromosomen-Enden. Nun können die Telomere kurz oder lang sein. Vereinfacht gesagt sind lange Telomere gut für die Gesundheit und ein gesundes, langes Leben und kurze Telomere sind für beides eher ungünstig.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass krankheitsfördernde Lebensweise und Dauerstress sich auf die Länge der Telomere auswirkt und zwar verkürzend. Umgekehrt kann eine längere gesundheitsförderliche Lebensweise die Telomere wieder verlängern.
Es ist jetzt in einigen Untersuchungen nachgewiesen worden, dass die Länge der Telomere sich vererbt, also die Telomere schon beim Embryo und nach der Geburt so sind wie bei den Eltern. Daher schauen wir später noch genau auf die Situation bei der Empfängnis.
Dieser Zusammenhang ist in der Grafik 3 dargestellt, indem Vererbung der Telomere und Lebensweise ins Verhältnis gesetzt wurden. D. h., dass sich kurze Telomere und eine krankheitsfördernde Lebensweise ungünstig potenzieren und lange Telomere und gesundheitsförderliche Lebensweise günstig potenzieren. Der gute Effekt bei der letzteren Kombination ist insbesondere, dass man im Alter wenige Krankheiten hat und eher gesund erst im hohen Alter stirbt.
Abb. 3: (Grafik weiterentwickelt nach einer Vorlage aus „Die Entschlüsselung des Alters“ von Elizabeth Blackburn und Elissa Epel (Mosaik-Verlag 2017))
Aber kürzere Telomere sind nun auch kein gänzlich unabwendbares Schicksal, weil sich dieser Zustand deutlich verbessern kann bei neuer gesundheitsförderlicher Lebensweise.
Telomerase
Der Vorgang der Verlängerung und Verkürzung der Telomere wird gesteuert von einem Enzym, der sogenannten Telomerase. Deren Menge und Aktivität kann größer und kleiner sein. Das wiederum wird von vielen Einflüssen aus dem Innenleben, aber auch aus Einflüssen der Umgebung wie z. B. gute Stimmung oder schlechte Luft oder eben Stress gesteuert. Dabei wirken diese Einflüsse, z. B. anhaltender Stress so, dass die Produktion der Telomerase am zuständigen Gen in den Zellkernen gedrosselt oder angetrieben wird. Diesen Vorgang nennt man epigenetisch (Epigenetik, (siehe 1.6), lat.: die Lehre der Dinge, um die Gene herum).
Aber die Alltags-Situation und Verfassung der Schwangeren ist bereits äußerst wichtig, weil sich insbesondere Stress und seelische Belastung der Mutter nicht nur auf die Telomere der Mutter, sondern auch auf die des Embryos auswirken.
1.4.1 Stress im Mutterleib
„Die starke seelische Belastung einer Schwangeren wirkt offenbar in der nächsten Generation nach und beeinflusst die Entwicklung der Telomer-Länge des Kindes auf Jahrzehnte hinaus“,
und „Die Telomere des Babys lauschen dem Stress der Mutter“,
schreibt Frau Prof. Elisabeth Blackburn (Nobelpreisträgerin) in ihrem Buch „Die Entschlüsselung des Alters“ (Mosaik 2017).
Die heutige Pränatalogie beschreibt die neun Monate im Bauch der Mutter ebenfalls als intensive Erlebnis- und Erfahrungswelt, die sich günstig oder traumatisierend und deutlich auf die Länge der Telomere auswirken kann.
Die epigenetische und Telomer-Forschung muss unbedingt weitergeführt und intensiviert werden, denn wir haben zwar schon einige gesicherte Informationen darüber, aber befinden uns letztlich doch noch in den Anfängen dieser Forschungen.
1.5 Von „Orchideen“ und Resilienz bei Kindern
Hochsensible Kinder – „Orchideen“
Hochsensible Kinder sind u. a. genetisch mit in Studien festgestellter größerer Variation für Neurotransmitter geboren, insbesondere Dopamin und Serotonin, die u. a. auch die Stimmung regulieren. Und sie sind dadurch stressempfindlicher mit höherer emotionaler Empfindsamkeit. Auch fallen sie häufig im Sozialverhalten auf, entweder rasch zurückgezogen und bedrückt oder wütend, aufsässig oder unruhig und unkonzentriert. Oft wird die Diagnose ADHS gestellt, ADHS-Verhalten ist aber dann möglicherweise schon eine Folge der Empfindsamkeit bei unpassenden Umgebungen, nicht alle Kinder mit Hochsensibilität zeigen dies.
Diese Auffälligkeiten im Sozialverhalten finden sich besonders oft bei Kindern in für sie schwierigen familiären oder sozialen Umfeldern und dann besonders in für sie chaotischen, stressigen Situationen. Die Hochsensibilität findet sich dabei in allen Gesellschafts-Schichten.
Viele Veröffentlichungen zur Hochsensibilität betonen entweder die Gemeinsamkeit mit ADHS oder gerade die Unterschiedlichkeit, z. B. weil Hochsensibilität eben genetische Anlagen zur Ursache habe und keine Krankheit sei. Auch unter Eltern wird hier vehement und kontrovers gestritten und jeweils einzelne in Studien gefundene Fakten in den Vordergrund gestellt, besonders online.
Die wissenschaftlichen Studien geben dazu aber keine Klarheit, da der ursächliche Beginn eines ADHS-Syndroms nach wie vor nicht geklärt ist, die meisten Studien zeigen also nur das, was an Befunden zu erheben ist, wenn die Kinder oder Erwachsene ADHS-Symptome schon länger haben. Hierzu hat u. a. Gerald Hüther zusammen mit Helmut Bonney umfangreich geforscht, recherchiert und veröffentlicht (in „Neues vom Zappelphilipp“).
In den USA und Deutschland werden tonnenweise Ritalin® und ähnliche Präparate gegeben bei ADHS und Hochsensibilität mit Unruhe unter nach meinem Verständnis fragwürdigen wissenschaftlichen Theorien und trotz großer medizinischer Bedenken über die Folgen des Einsatzes in der Kindheit. Frankreich z. B. und Luxemburg tun dies nicht in dieser Weise und haben viel häufiger sehr erfolgreich familientherapeutische und psychotherapeutische Ansätze in der Behandlung.
Der Entwicklungspädiater Tom Boyce hat diese hochsensiblen Kinder „Orchideen“ genannt, weil sie in warmherzigen, achtsamen Umgebungen, insbesondere bei warmherzigen, fürsorglichen Erwachsenen aufblühen.2 Dann sind sie meist kreativer, bringen bessere Leistungen und sind seltener krank als die Mitschüler.
Leben diese stressempfindlichen Kinder in dauerhaft chaotischen Situationen, haben sie kürzere Telomere als andere. Wenn sie dagegen in stabilen, warmherzigen Lebenssituationen aufwuchsen, hatten sie sogar längere Telomere als andere Kinder.
Etwa 20 % aller Kinder gelten nach neueren Erkenntnissen als „Orchideen“ (was für ein schöner Name!), das ist also eine viel größere Gruppe von Kindern, als man früher angenommen hat.
Es ist also sehr wichtig, diese Kinder in ihrer Art zu erkennen und ihnen eine geschützte Umgebung zu bereiten, in der sie dann aufblühen. Das ist insbesondere eine Herausforderung für unsere Kitas und Kindergärten. Ich benutze übrigens in diesem Buch diese Begriffe folgendermaßen: „Kitas“ für Kinder unter drei Jahren, „Kindergärten“ für Kinder ab drei Jahren.
Kitas sind in der Regel für diese Kinder ungeeignet, weil Personalschlüssel und Gruppengröße diesen noch verstärkt notwendigen umhegenden Schutz nicht zulassen. Es gilt auch später, z. B. in der Schule, selbst im Erwachsenenalter erbringen diese Menschen die besten Leistungen in fürsorglichen Umgebungen, gelten dann in großen Unternehmen oft als „High Performer“, die das Unternehmen kreativ voranbringen.
Sie können