Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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Fehler gemacht hatte, dann gestand er ihn auch ebenso offen ein.

      „Männer wie Sie, die bei der Arbeit denken, schätze ich”, sagte er und schüttelte Dave die Hand. „Ehrlich gesagt, als Ihr Kompagnon sich selbst und Sie als die besten Zimmermänner der Stadt anpries, zweifelte ich. Doch ich muss einsehen: Er hat Recht behalten.”

      Dies war das letzte Mal, dass er versuchte, Daves Arbeit in Frage zu stellen. Von nun an vertraute er dem jungen Zimmermann voll und ganz, auch wenn er manchmal nicht sofort einsah, weshalb dieses und jenes so und nicht anders gemacht wurde. Upton wusste nun, er hatte einen Mann vor sich, der Verantwortung übernehmen konnte und der zudem geschickt arbeitete.

      Diese Nacht fiel Dave ausgemergelt in sein Bett. Er hatte nicht nach Mr Blackmore gesehen, obwohl er das bisher nach Arbeitsschluss immer getan hatte. Auch zum Abendessen war er zu müde. Schon nach wenigen Minuten schlief er ein.

      Dave freute sich, als er am nächsten Morgen durchs Fenster sah und die Wolken verschwunden waren. Es regnete nicht mehr. Die Herbstsonne stand tief am Himmel, und das bunte Laub, das auf den

      Dächern der weiß getünchten Häuser lag, verlieh dem neuen Tag

      Lebendigkeit.

      Er hatte länger geschlafen, als er gewollt hatte, deshalb blieb er nur kurz bei Mr Blackmore, um in dessen Küche einen Bissen zu sich zu nehmen, und schon wenige Minuten später sah man ihn auf dem Kutschbock sitzen und fröhlich die betagte, gute Bessie antreiben. Er fuhr nicht direkt zu Uptons Haus, sondern lenkte ostwärts zum

      Hafen. Zwei Tage schon lag dort ein Dampfschiff träge im Wasser. Dave hatte sich seit jenem denkwürdigen Tag im Jahre 1817 längst an den Anblick dieser monströsen, Dampf ausspeienden Ungeheuer gewöhnt. Ohne dem Schiff besondere Beachtung zu schenken, schritt er den hölzernen Kai entlang zu Carl Hills Laden.

      Hill war Fischer und ließ es sich trotz seiner siebzig Jahre nicht nehmen, noch selbst den Mississippi hinaus zu rudern. Nicht selten kam er dann mit Barschen und Lachsen zurück, die zusammen hundert oder mehr Pfund auf die Waage brachten, um sie in seinem Laden feilzubieten. Dave mochte den alten Fischer, weil er stets vergnügt war und sich nichts, um den sittlichen Anstand und „all die Kleinkrämerei”, wie er es nannte, kümmerte.

      Dave bat ihn um ein kleines Boot, das er sich für zwei oder drei Tage borgen wollte. Nachdem Hill erfahren hatte, wozu es Dave benötigte, war er ohne Zögern einverstanden und half, den Trimaran sowie zwei Riemen auf den Wagen zu laden. Dave bedankte sich und fuhr dann weiter zu Uptons Haus.

      Er staunte, weil Upton schon auf den Beinen war. Die Kutsche stand angespannt vor der Tür, auf dem Ledersitz lag ein kleiner Koffer. Der Admiral stand wartend vor dem Haus und kam ihm entgegen. „Ich fahre mit dem Dampfschiff nach Louisville und komme in etwa einer Woche wieder.“

      „Was ist mit den Trappern?”

      „Captain Orlando Bell weiß Bescheid. Er ist mein Stellvertreter und besitzt sämtliche Vollmachten. Wenn Sie ihm bei seiner Ankunft das Pelzdepot zeigen, genügt das.” Der Admiral zog einen weißen, unversiegelten Umschlag aus seiner Jackentasche und reichte ihn Dave.

      „Eigentlich war es vereinbart, ihn Mr Cuthbert Blackmore zu geben”, sagte er, die Stirn runzelnd. „Lieber aber gebe ich den Umschlag

      Ihnen. Wenn Sie jetzt noch nachzählen und mir den Erhalt quittieren könnten.”

      Dave zögerte. Er besaß keine Vollmacht, um so etwas unterzeichnen zu können. Dies oblag entweder Hastings oder Cuthbert Blackmore. Cuthbert war weg, und um zum alten Mr Blackmore zu reiten, fehlte die Zeit, da Uptons Schiff schon bald auslief.

      Upton schien Daves Überlegungen zu erraten. „Für mich spielt es keine Rolle, wer unterschreibt. Aber unterschreiben muss jemand, das werden Sie verstehen.”

      Er drückte Dave den Beleg und einen Stift in die Hand, und Dave unterschrieb.

      „Es hat schon seine Richtigkeit”, beruhigte ihn Upton. Er verabschiedete sich höflich. Inzwischen war auch seine Frau aus dem Haus getreten, die ihn mit der Kutsche zum Hafen brachte.

      Dave steckte den Umschlag in seine Werkzeugkiste. Doch schon kurz darauf zog er ihn wieder hervor. Ihm war eingefallen, dass er nicht nachgezählt hatte. Wenn Upton weniger als vereinbart bezahlt hatte – was er ihm nicht zutraute, was aber dennoch der Fall sein konnte –, war es ihm noch möglich, ihn vor Ablegen des Schiffes zu erwischen. Er öffnete also die Lasche und zählte zu seiner Überraschung siebenhundert Dollar. Also hatte Cuthbert tatsächlich gelogen. Das waren dreihundert Dollar, die er seinem Vater unterschlagen wollte. Fünfzig oder gar hundert hätte er ihm durchaus zugetraut und eventuell auch zugestanden, aber dreihundert Dollar, das war nichts weiter als heimtückischer Betrug, noch dazu am eigenen Vater! Dave faltete das Papier wieder und steckte es zurück in die Kiste. Er überlegte: Wenn Cuthbert kam, musste er ihm den Umschlag geben. Behalten konnte er ihn ja schlecht. Spätestens, wenn Upton zurückkäme und Cuthbert mit ihm über die Entlohnung reden würde, musste er ihn aushändigen. Und doch gab es eine andere Möglichkeit.

      Er nahm den Umschlag wieder zu sich und schob ihn unter sein Hemd. Dann schirrte er Bessie aus und ritt nach Hause. Er fand Mr Blackmore im Garten beim Füttern der Gänse. Ihm übergab er den Umschlag.

      „Das ist unsere Entlohnung”, sagte er. „Upton hat sie mir eben gegeben. Da sie mir auf der Baustelle nicht sicher aufgehoben schien, brachte ich sie her.”

      Blackmores Rheumahände umkrallten das Kuvert, ungelenk öffnete er es sogleich.

      „Verdammt”, entfuhr es ihm vor Staunen. Dann bebte seine Stimme vor Zorn. „Dieser hinterlistige Teufel. Cuthbert wollte uns be-

      scheißen!” Er war enttäuscht deswegen und maßlos wütend.

      Er packte Dave am Arm, zog ihn ins Haus in sein Schlafzimmer und deutete auf eines der Wandbretter. Dave konnte nichts Ungewöhnliches daran erkennen. Erst als Mr Blackmore leicht dagegenstupste, sah er, dass es locker war. Dahinter verbarg sich ein Hohlraum, in dem etwa zwanzig Dollar lagen – der kümmerliche Rest der Ersparnisse. Blackmore legte die siebenhundert Dollar dazu. Nachdem das Brett wieder an seinem Platz war, wies nichts auf das Versteck hin.

      „Nur wir beide wissen davon”, sagte Blackmore verschwörerisch. „Sonst niemand, verstehst du, Dave?”

      Dave verstand. Der Vater traute seinem eigenen Sohn keinen Zoll über den Weg. Und das aus gutem Grund.

      Als Dave bei Uptons Haus ankam, stand der Tilbury wieder vor der Tür. Mrs Upton war also bereits zurück.

      Wegen der Fahrt zum Hafen, um das Boot zu holen, und dem Ritt zu Mr Blackmore war kostbare Zeit verstrichen. Es war inzwischen fast zehn, und Dave musste sich sputen. Er lud das Boot vom Wagen und schleifte es hinunter zum Fluss. Das Holz lag noch oben auf der Böschung unter der Plane. Er zog sechs dicke Balken hervor, die er später in das Ufer und in das Wasser treiben wollte. Zwei der Balken sägte er in der Mitte auseinander, sodass er jetzt vier kurze und vier lange Stücke hatte. Nun begann er, sie mit dem Beil an einem Ende zuzuspitzen. Die Sache mit der Unterschrift quälte ihn noch immer. Er fragte sich, ob er rechtschaffen gehandelt hatte. Schließlich

      beruhigte er sich damit, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte. Upton hätte ja warten können, bis er von seiner Reise zurückkäme, um dann Cuthbert den Umschlag zu geben, aber er war ganz bewusst an Dave herangetreten: das hatte er selbst erwähnt.

      Dave war so sehr in seine Überlegungen vertieft, dass ihm entging, wie sich Clarissa Upton genähert hatte und ihn schon eine Weile beobachtete. Als er sich schließlich umdrehte, sah er sie im blendenden Licht der Sonne stehen, das sich in ihrem blonden Haar verfing und ihre gesamte Gestalt in eine schillernde Mandorla hüllte. Für eine

      Sekunde drängte sich Dave der Vergleich mit einem Engel auf.

      Er habe doch nicht vergessen, heute mit ihr zu essen, meinte sie lächelnd. Auch ihr Lächeln war das eines Engels.

      „Ich habe es nicht vergessen”, antwortete Dave.

      Er nahm an, sie würde jetzt wieder ins Haus zurückgehen, aber


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