Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


Скачать книгу
hatte. Diese Dankbarkeit verpflichtete ihn. Und gerade jetzt benötigte ihn Mr Blackmore mehr denn je. Cuthbert zeigte noch immer wenig Interesse an der Zimmerei, und ihn selbst plagte seit einigen Monaten das Rheuma. Manchmal waren die Finger des alten Herrn so verkrampft, dass er nicht einmal mehr den Hammer halten konnte.

      Auch Daves Verhältnis zur Kirche und zum christlichen Glauben änderte sich nicht, wenngleich sie Mrs Gardner neben ihrem Mann repräsentierte. Er besuchte regelmäßig den Gottesdienst, und Jesus war durch seine Mutter sowieso fest in ihm verwurzelt.

      Nur die Gesellschaft, die in seinen Augen verlogen und feige war, mied er mehr als vorher.

      Dave arbeitete hart und fleißig. Morgens war er der Erste auf der Baustelle und abends der Letzte, der sie verließ. Die Arbeit machte ihm noch immer Spaß. Er lernte begierig, und der Wunsch, selbst Zimmermann zu werden, festigte sich schon bald. Mr Blackmore meinte einmal, er besäße alle Voraussetzungen dafür. Er hatte ein gutes Auge, und seine Muskeln waren ausgeprägt und kräftig. Als Dave siebzehn war, konnte er selbständig alle Arbeiten erledigen, die für einen Zimmermann anfielen. Er sägte das schräge Hakenblatt oder den Scherzapfen so exakt, dass Mr Blackmore nur so staunte. Die meisten Bauherren lobten seinen Eifer und sein Geschick.

      Dave nannte später einmal jene Zeit die Zeit der Entwicklung.

      Seine Einstellung zur Gesellschaft entwickelte und festigte sich, seine handwerklichen Fertigkeiten entfalteten sich zur Perfektion, und seine Muskeln schwollen; sein Körper war ausgewachsen, er maß volle sechs Fuß. Und doch reifte etwas in seinem Körper heran, das er sich anfangs nicht erklären konnte, das fremd war und ihn

      ängstigte. Dave entwickelte sich nun auch im biologischen Sinne vom Jugendlichen zum Mann.

      Vierzig Meilen nördlich von St. Louis ließ sich in jenen Tagen eine Familie namens Beckworth nieder. Jack Beckworth übernahm hier eine Farm, dessen Vorbesitzer vor zwei Jahren an den Pocken gestorben waren. Leider hatte das Haus und die Scheune im letzten Winter ein Orkan arg in Mitleidenschaft gezogen. Beckworth, der Schiffs-

      bauer in Philadelphia gewesen war, traute sich die Reparaturarbeiten durchaus zu; da ihn aber der Neuaufbau des Farmlandes sehr in Anspruch nahm, forderte er Hilfe bei Blackmore an, wollte und konnte sich aber nicht mehr als einen Mann leisten. Blackmore schickte Dave.

      Um täglich hin und her zu pendeln, lag die Farm zu weit von St. Louis entfernt. Dave richtete sich deshalb im Pferdestall ein Lager aus Heu, zum Essen wurde er ins Haus geladen. Er saß dann zwischen Mrs Beckworth und deren Tochter Miriam, die schon neunzehn war. Mrs Beckworth hatte außer Miriam noch zwei weitere Töchter, vierzehn und zwölf Jahre alt, und einen Sohn, der gerade Laufen lernte. Die Zeit, die Dave auf der Farm verbrachte, war er ein gern gesehenes Mitglied der Familie.

      Er arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Oft, wenn Beckworth und seine Frau auf den Feldern waren, war er sich allein überlassen. Dieses eigenverantwortliche Arbeiten gefiel ihm sehr gut und stärkte sein Selbstvertrauen.

      Er und Miriam kamen sich nicht nur am Tisch nahe. Wenn sie das Haus und die kleineren Geschwister versorgt hatte, kam sie manchmal zu ihm, um ihm zu helfen oder um einfach nur dazusitzen. Sie erzählte dann von Philadelphia, vom Meer und von den großen Schiffen. Und sie beobachtete Dave sehr genau.

      Dave bemerkte es wohl – und genoss es. Noch nie zuvor hatte ihm ein Mädchen so interessiert zugesehen. Ein seltsames Kribbeln, das aber keineswegs unangenehm war, durchströmte seinen Körper, wenn sie sich zufällig in die Augen sahen. Und wenn sich ihre Hände berührten, etwa, wenn Miriam ihm einen Nagel oder ein Brett reichte, war es wie ein Zucken, das ihm bis in die Knochen fuhr. Ein unbändiges Verlangen nach diesem Mädchen entstand, das er sich nicht erklären und dessen er sich nicht erwehren konnte – und auch nicht wollte. Schon bald führte er die Blickkontakte und die Berührungen der Hände bewusst herbei.

      Auch Miriam empfand Ähnliches für Dave, vielleicht nicht so intensiv. In Philadelphia hatte sie einen Freund gehabt, und die erste sexuelle Erfahrung lag hinter ihr. Obwohl sie sich nach Daves Körper sehnte, hielt sie sich zurück. Immerhin war sie ein wohlerzogenes Mädchen, und sich einem Mann anzubieten, widerstrebte ihrem Stolz.

      Dave brauchte nicht lange, um die geheimen Signale in ihm zu deuten. Die Natur verlangte ihr Recht. Und Miriam machte es ihm nicht unnötig schwer.

      Es war an einem späten Nachmittag, als sie sich in die Scheune zurückzogen. Wie dann Miriam nackt vor ihm im Heu lag, schreckte er für eine Sekunde zurück. Der milchig-weiße Körper des Mädchens, die großen Wölbungen der Brüste, die breiten Hüften und die Schenkel erinnerten ihn plötzlich an Mrs Clara Gardner in jener heiklen Situation, die ihn damals so erschüttert hatte. Doch Miriams ermunterndes Lächeln wischte die Erinnerung und den Rest Angst weg.

      Dave blieb noch zwei Wochen auf der Beckworth-Farm, dann war seine Arbeit beendet. Er und Miriam trafen sich in dieser Zeit, so oft sich die Möglichkeit dazu fand. Jedes Mal übertraf das vorherige an Intensivität und Lust. Für Dave war es wie ein Aufschrei, wie ein Ausbruch aus einer zu eng gewordenen Haut.

      Der Abschied von Miriam fiel ihm schwer, doch er kehrte als neuer Mensch nach St. Louis zurück. Die kurze Zeit hatte ihn erwachsen gemacht. Zum ersten Mal spürte er so etwas wie Stolz in sich.

      Er hatte sich vorgenommen, Miriam zu besuchen, doch es blieb bei dem Vorhaben. Die Zimmerei deckte ihn ein, und mit der Zeit schwanden die Gefühle für seine erste Liebe. Er sah Miriam nie wieder.

      In diesem Jahr, dem Jahr 1829, war St. Louis auf fünfeinhalbtausend Einwohner angewachsen. Das bedeutete eine ständige Auftragsflut für Mr Blackmore. Doch dann geschah das, was er im Stillen immer befürchtet hatte: Die Stadt war zu groß für nur eine Zimmerei geworden.

      Zu dieser Zeit beschäftigte er außer Dave vier Arbeiter: John Higgens, Geoffrey Swebb und die Brüder Albert und Roland Wiley. Alle vier waren gute Arbeiter. Die Brüder waren Mr Blackmore aber wegen ihrer langen Berufserfahrung am wertvollsten. Und gerade sie kündigten ihm. Rasch hatten sie erkannt, dass der beständige Menschenstrom auch eine zweite Zimmerei ernähren würde. Ihre Werkstatt bauten sie neben die Sägemühle, so ersparten sie sich lange Transportwege. Und als wäre das nicht genug, überredeten sie Geoffrey Swebb, für sie zu arbeiten, der kurz darauf Mr Blackmore verließ. Für den alternden Hastings Blackmore war das ein schwerer Schlag. Mit John Higgens und Dave allein – er selbst konnte

      wegen seines fortschreitenden Rheumas kaum mehr Hand anlegen – schritten die Bauarbeiten natürlich langsamer voran. Das sprach sich schnell herum, und viele Aufträge gingen deshalb an die Brüder Wiley.

      Mr Blackmore reagierte auf die veränderte Lage zu spät. Als er versuchte, neue Arbeiter einzustellen, fand sich niemand. Die Konkurrenz hatte innerhalb weniger Monate Fuß gefasst und zahlte mehr Lohn, als es sich Mr Blackmore jetzt leisten konnte.

      Mit dem Reichtum war es vorbei, das musste auch Ashley Blackmore bitter spüren. Von nun an halfen kein teurer Dill, keine Krabben aus der Chesapeake-Bucht oder erlesene Weine aus Frankreich, das Mahl bereichern, und auch keine Seidenkleider würde es mehr geben. Zum ersten Mal in ihrem Leben stand sie deshalb auf der

      Seite ihres Mannes, als dieser Cuthbert gehörig die Leviten las, um ihn zum Familienunterhalt zu zwingen. Ob nun das Machtwort des Vaters wirkte oder die Einsicht, endlich für die Familie und die Zimmerei einzustehen, blieb dahingestellt. Jedenfalls fand Cuthbert sich am nächsten Morgen pünktlich auf der Baustelle ein, ließ sich aber von seinem Vater zusichern, dass er von niemandem Befehle an-

      nehmen würde.

      Cuthbert war vier Jahre älter als Dave, was aber den Arbeitseifer und das Geschick betraf, konnte er dem Jüngeren bei weitem nicht das Wasser reichen. Er wusste weder die Bundaxt vom Breitbeil zu unterscheiden, noch konnte er die Gehrungsschmiege richtig gebrauchen. Ob er wollte oder nicht, er musste von Dave lernen. Und das ärgerte ihn über alle Maßen.

      Diese Unterlegenheit machte er dadurch wett, als er sich selbst zum Organisator erhob. Und – niemand wollte es vorher glauben – er bewies erstaunliches Talent. Schnell hatte er die Grundkenntnisse der Zimmerei erlernt, wusste, wie die Außen- und Innenwände zu erstellen waren, konnte gutes von schlechtem


Скачать книгу