Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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bewaffnet, watete er in den Fluss. Die Strömung war hier so nah am Ufer nicht sehr stark, aber der Grund war glitschig wie ein mit Seife eingeschmierter Fußboden. Er stieg deshalb noch mal aus dem Wasser und band sich ein Seil um den Bauch, das Ben vom Ufer aus sicherte.

      Als er zu schaufeln begann, konnte er sich dazu kaum bücken. Das Wasser reichte ihm bis über die Brust. Und fast senkrecht stehend, strengte die Arbeit sehr an. Das Lästigste aber war die Kälte. Nach zehn Minuten stieg Dave durchgefroren ans Ufer.

      „Es ist nur eine dünne Schicht Steine”, sagte er. Seine Lippen waren blau, und sein Körper zitterte. Er zog den Mantel aus und überreichte ihn Ben. Während ihn Ben auf die gleiche Weise anzog, rannte Dave ins Haus und kam mit zwei Wolldecken zurück. Cuthbert folgte ihm. Als er aber sah, welch unangenehme Arbeit zu verrichten war, stahl er sich schnell wieder davon.

      Ben hielt es nur sechs Minuten aus. Er war kleiner als Dave, und bei der geringsten Beugung schwappte ihm Wasser ins Gesicht. Aber er schaffte es, die Steine bis auf einen kleinen Rest wegzuschaufeln.

      Inzwischen dämmerte es.

      Noch einmal musste Dave in den Fluss. Die Decke hatte ihn etwas aufgewärmt, doch länger als fünf Minuten hielt er es diesmal nicht aus. Aber er hatte es geschafft. Auf einem Quadratyard war der Grund frei von Steinen. Selbst wenn die Strömung wieder kleine Steinchen anschwemmte, würde der Pfosten in den Boden eindringen können. Das aber verschoben sie auf morgen.

      Beide hüllten sich fröstelnd in die Decken. Sich im Haus zu verabschieden, verzichteten sie. Ben ritt zu seiner Tante, wo er noch immer sein Zimmer hatte, und Dave fuhr mit dem Wagen heim.

      In Mr Blackmores Küche brühte er sich Tee auf, aß eine Kleinigkeit und kroch dann an den warmen Herd. Blackmores Fragen über den Fortgang der Arbeit hörte er nur halb zu. Schon bald schlief er übermüdet ein.

      Zwei Stunden später wachte er auf. Mr Blackmore war inzwischen zu Bett gegangen, aber Cuthbert war noch immer nicht zu Hause. Die Küche befand sich direkt neben der Eingangstür, er hätte Cuthberts Heimkommen unbedingt bemerken müssen.

      Nachdenklich nahm Dave die Decke und schlich hinüber in seine Hütte.

      Auch am nächsten Morgen schien die Sonne. Über Nacht war es aber empfindlich kalt geworden.

      Dave hatte kurz gefrühstückt und danach die Werkzeugkiste auf dem Wagen verstaut, als auch schon Cuthbert bereit zum Aufbruch war. Sein Gesicht war blass, es machte den Anschein, als zürne er mit aller Welt. Wortlos setzte er sich auf den Wagen.

      Sanft setzte sich Bessie in Bewegung. Die beiden Männer schwiegen. Ihr Weg führte sie an der Kirche vorbei, die jetzt im ersten Frühreif kahl und trostlos wirkte, vorbei an Hawken‘s Büchsenmacherei und Braddows kleiner Goldschmiede; dann verließen sie die Stadt. Hier riss Cuthbert die Zügel an sich und brachte Bessie jäh zum Stehen.

      „Wo ist das Geld?”, fragte er hart. Seine Augen waren zu Schlitzen geworden, hinter denen es drohend funkelte. Clarissa Upton musste ihm von der Geldübergabe erzählt haben.

      „Ist es nicht egal, wer das Geld hat?”, antwortete Dave ruhig. „Hauptsache ist doch, wir haben es. Mr Upton versprach, im Voraus zu zahlen, und das tat er auch. Weil du nicht da warst, gab er es mir.”

      „Ich unterschrieb den Vertrag!”, beharrte Cuthbert laut. „Ich bin für das Geschäftliche zuständig, du für die Arbeit. Komm mir ja nicht in die Quere, Dave!” Er ballte die Faust.

      „Schöner Geschäftsmann”, sagte Dave und sah Cuthbert geringschätzig an. „Upton übergab mir siebenhundert Dollar – und nicht, wie du behauptet hast, vierhundert.”

      Für einen Moment sah es aus, als wäre es Cuthbert peinlich, bei einer Lüge ertappt worden zu sein, doch er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Er packte Dave grob an der Jacke und rief: „Du verdammter Bastard! Das ändert nichts an der Tatsache, dass du unrechtmäßig unterschrieben und das Geld an dich genommen hast. Du hast es unterschlagen! Du bist nichts weiter als ein verdammter Dieb!”

      „Überleg dir, was du sagst!”, entgegnete Dave mit fester Stimme. „Wie ich die Sache sehe, ist immer noch Mr Hastings Blackmore Eigentümer der Zimmerei. Ihm übergab ich das Geld.”

      Damit musste sich nun auch Cuthbert zufrieden geben, ob er wollte oder nicht. Seine Stirn legte sich in Falten, ein Zeichen, dass sich dahinter böse Gedanken zusammenbrauten, aber er hatte nun nichts mehr, womit er Dave belangen konnte. Er knurrte nur etwas Unverständliches und schwieg ansonsten.

      Als sie weiterfuhren, starrte Cuthbert finster vor sich hin. Krampfhaft vermied er es, Dave anzusehen. Auch wenn er sich jetzt ruhig gab, wusste Dave genau, dass die Angelegenheit noch nicht ausgestanden war.

      Bennry wartete bereits. Dave nahm zuallererst seine und Bens Decke, brachte sie ins Haus und bedankte sich bei Mrs Upton. Sie nahm die Decken stumm entgegen, warf mit kalter Arroganz den Kopf in den Nacken, wandte sich um und ließ Dave stehen. Verständnislos sah er ihr nach, wie sie in einem der Zimmer verschwand. Diese ihm entgegengebrachte Kühle tat Dave weh.

      Der letzte Pfosten war rasch in den Fluss gerammt. Der Pier nahm nun Gestalt an. Acht Pfosten waren eingeschlagen worden, vier davon im Wasser. Insgesamt bildeten sie eine Länge von beinahe acht Yards. Jeweils zwei verbanden sie nun mit Diagonalstreben und Querhölzern. Darauf sollten dicke Bohlen kommen.

      Sie waren gerade im Begriff, die Bretter zu sägen, als sich mit lautem Holdrio die Trapper näherten.

      Sie kamen in zwei Kielbooten. Die Mitte der Boote nahm die so genannte Frachtbox ein, dies waren einfache, an ihren Enden offene Verschläge; in ihnen lagerten die Felle. Insgesamt waren es achtzehn Männer, unter ihnen zwei Kreolen und ein Métis, ein Halbindianer, die jetzt nach sechs Monaten in der Wildnis endlich wieder in die Zivilisation heimkehrten. Entsprechend groß war die Freude, die sie überschwänglich kundtaten.

      Am Bug des ersten Bootes stand aufrecht eine imposante Erscheinung. Dave schätzte, dass der Mann mindestens sieben Fuß groß war. Seine dunklen Haare hingen in filzigen Zotteln von dem gewaltigen Kopf, den ein ebenso wilder Bart umgab. Seine Haut war von rötlichem Braun, die Augen schmal und verwegen. Die Schultern des Mannes waren breit und kräftig; sein Hemd, die Hose und die Schuhe waren vollständig aus Leder. Es schien, als habe er sie selbst gefertigt und als seien es die einzigen Exemplare, die er seit Jahren trage. Schon von weitem rief der Mann: „Seid ihr Uptons Angestellte?”

      „Das sind wir!”, rief Cuthbert zurück und rannte den Booten entgegen. „Ihr werdet schon erwartet.”

      „Das merke ich”, rief der Mann auf dem Bug belustigt. „Noch vor einem halben Jahr sah ein Pier anders aus. Wie sich doch die Dinge so schnell ändern. Ist Upton nicht da?”

      „Der ist für ein paar Tage weg“, antwortete Cuthbert. Er schlug vor, die Boote einstweilen am Ufer festzumachen. In zwei Stunden sei der Pier fertig, versicherte er eifrig. Dann könnten die Boote dort anlegen und die Felle in die Scheune transportiert werden.

      Der Lärm am Fluss lockte nun auch Mrs Upton nach draußen. Sie kannte die Ankommenden fast alle beim Namen und begrüßte sie herzlich. Den Mann am Bug redete sie mit „Captain” an. Er also war Orlando Bell, den schon Mr Upton erwähnt hatte. Clarissa lud alle zu einem Becher Whiskey ein, was sofort fröhlichen Anklang fand. Nachdem die Boote festgebunden waren, liefen die Männer wie eine Herde Schafe hinter Clarissa Upton her zum Haus.

      Am Fluss wurde es wieder ruhig. Dave fragte sich, was diese wilden Männer jetzt wohl empfinden mochten. Ein halbes Jahr hatten sie in den Wäldern gelebt, hatten gutes Essen und ein sauberes Bad vermissen müssen, hatten dem Wetter und Gefahren getrotzt, und jetzt kehrten sie in den geborgenen Schoß der Zivilisation zurück. Trotz ihrer Entbehrungen, trotz ihrer Einsamkeit, die ein Leben in der Wildnis zwangsläufig mit sich brachte, beneidete er sie.

      Ein unbestimmtes Gefühl war in Dave in dem Moment aufgeflammt, als er die Männer den Missouri herunterschippern sah. Fasziniert haftete sein Blick an den zerschundenen Gesichtern. In den Augen dieser Männer spiegelten sich Freiheit, Offenheit, unendliche


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