Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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aus Balken zu schaffen. Ein Feuer zu entzünden war wegen der gelagerten Felle zu gefährlich. Mit Pickel und Stechscheit kämpfte er gegen die vereiste Erde. Doch selbst nach einer Woche waren seine Fortschritte erbärmlich.

      Clarissa bekam er nur selten zu Gesicht. Es verlangte ihn auch nicht danach, sie zu sehen.

      Mr Upton ritt fast täglich in die Stadt, um Geschäftliches zu erledigen oder um seine Angestellten aufzusuchen. Manchmal kam er aber auch zu Dave in die Scheune und blieb dann oft stundenlang sitzen. Er redete nie über seine Frau. Trotzdem schien es ihm gutzutun, sich mit Dave über den Pelzhandel zu unterhalten. Das brachte ihn zumindest auf andere Gedanken.

      Während der Weihnachtstage unterbrach Dave seine Arbeit. Kurz vorher hatte es über Nacht zu schneien begonnen. Drei Tage lang tanzten dicke Flocken vom Himmel und hüllten das Land in eine flaumige Decke. Als dann die Sonne hervorkam, glitzerte und funkelte alles und erstrahlte in lebendigem Licht.

      Den Heiligen Abend verbrachte er bei Mr Blackmore. Zu Mittag

      hatte es eine gebratene Gans gegeben, und als die Nacht anbrach,

      saßen sie am Kaminfeuer, tranken heißen Grog und schlugen sich den Bauch mit Rosinenplätzchen voll, die ihnen Mrs Clara Gardner gebracht hatte.

      Wie so oft in der letzten Zeit, sprach Mr Blackmore von Cuthbert. Wenn er sich auch nach außen hin gleichgültig gab, so betrübte ihn das Verhältnis zu seinem Sohn doch sehr. Und dass er am Heiligen Abend nicht bei ihm war, kam ihm hart an.

      „Wie kann ich ihm böse sein, er ist und bleibt mein Fleisch und Blut”, murmelte er. Die krampfhaft eingekehrten Finger zitterten, als er sich verzweifelt über das vergrämte Gesicht fuhr. „Vielleicht sollte ich ihm das Geld geben.” Er seufzte. „Aber das würde ihn auch nicht zurückbringen. Ich habe meinen Sohn verloren.”

      Als er und Dave am Neujahrstag von der Kirche kamen, saß Cuthbert unerwartet in der Küche. Weil Dave dachte, eine Unterredung täte beiden gut, ließ er sie allein und ging in seine Hütte. Auch am Abend, als er wieder ins Haus kam, um das Essen zu richten, war Cuthbert noch da. Mr Blackmores Augen waren feucht, aber weder er noch Cuthbert schnitten das Thema an, über das sie vorher geredet hatten. Aber es schien, als kämen sich Vater und Sohn nun endlich wieder näher.

      Am Tag darauf nahm Dave seine Arbeit in der Scheune wieder auf. Der Boden war nun so weit geglättet, dass er seinen Ansprüchen genügte. Als Nchstes war eine Grundlage aus Balken zu zimmern, womit er rasch voran kam.

      Am 3. Januar 1831 suchte Mr Blackmore Dave auf. Da er nur sehr selten hier heraus kam, noch dazu jetzt, wo der Schnee kniehoch lag, musste ihn etwas Außergewöhnliches dazu bewogen haben.

      „Cuthbert ist weg”, stieß er nach Atem ringend hervor. Sein heftiger Atem quoll an der Luft zu winzigen Eiskristallen; das ausgemergelte Gesicht war rot von der Kälte und der Anstrengung. Außer Kräften sank er auf einen der Balken nieder.

      „Vielleicht will er nur etwas besorgen”, versuchte Dave ihn zu beruhigen, doch Blackmore schüttelte mit starrem Blick den Kopf. „Ich war bei Todd gewesen, um mir Leder für meine Stiefel zu holen. Du weißt, sie sind seit Tagen kaputt. Dann war ich noch im Saloon. Etwa zwei Stunden war ich weg. Als ich heimwärts lief, sah ich ihn in unserer guten Kutsche wegfahren. Eine Frau war bei ihm. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, doch dann schoss mir ein schlimmer Gedanke in den Kopf. Ich sah in dem Versteck nach – das Geld ist weg! Alles!”

      „Oje! Wusste er von dem Versteck?”

      Blackmore stierte mit leeren Augen zu Boden. Leise sagte er: „Er tat mir so Leid. Am Neujahrstag bat er mich um fünf Dollar. Um lächerliche fünf Dollar! Er könne sich nicht einmal einen Whisky kaufen, sagte er. Ich holte ihm zwanzig Dollar aus dem Versteck, dabei muss er mich beobachtet haben.”

      Zuerst hatten ihn Wut und Enttäuschung gepackt, doch jetzt saß er nur da und sah traurig zu Boden. Sein Sohn hatte ihn beraubt, das war ihm aber nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war, dass er Cuthbert vermutlich nie wiedersehen würde.

      Cuthbert war tatsächlich weg. Eine Zeit lang hoffte Blackmore, er käme wieder, und er hätte ihm auch verziehen; doch nach einer

      Woche war Cuthbert nicht zurück und auch nicht nach einem Monat.Die Frau, die ihn begleitet hatte, war Clarissa Upton. Dave hatte es von Anfang an vermutet. Bemerkt hätte er es vielleicht längere Zeit nicht, er hatte sie die letzten Wochen nur noch sehr selten gesehen, doch zwei Tage nach ihrem Verschwinden sagte es ihm Upton selbst.

      „Ich weine ihr nicht nach”, behauptete er, doch Dave sah, dass tiefe Ränder unter seinen Augen lagen. „Sie wollte nie mit hierher. Nun ja, sie tat ja immer, was sie wollte. Vermutlich sind sie in den Osten.”

      Mehr sagte er nicht, und er sprach auch nie wieder davon.

      Dave verachtete Clarissa deswegen nicht, er empfand nur Mitleid. Er zweifelte aber daran, dass sie bei Cuthbert jenes Glück finden würde, nach dem sie immer auf der Suche gewesen war.

      Anstelle von Cuthbert erfüllte nun Dave den Vertrag. Es würde nun länger dauern, weil ihm helfende Hände fehlten, doch Upton meinte, dass er sich mit der Scheune, dem Stall und der Schmiede ruhig Zeit lassen dürfe. Und das Haus falle sowieso weg. Ihm genüge es so. Großzügig sah er über das Geld hinweg, das für das Haus bereits entrichtet worden war. Er wusste von Cuthberts Diebstahl, und da ihm Dave trotz allem ans Herz gewachsen war, wollte er ihm nicht mit zusätzlicher Last das Leben unnötig schwer machen. Upton schien Geld in Massen zu besitzen, und auf hundert Dollar hin oder her kam es ihm nicht an. Dass aber die Arbeiten ordnungsgemäß erledigt würden, darauf legte er immer noch großen Wert.

      Für Dave und Mr Blackmore änderte sich nun vieles. Sie besaßen keinen Cent, und für die Arbeit bei Upton waren sie schon bezahlt worden. Dagegen standen noch Bennrys Lohn und die Holzkosten der Sägemühle aus. Und von irgendetwas mussten sie ja schließlich leben. Dave nahm deshalb zusätzlich Arbeit an. Carl Hill, der alte

      Fischer, nutzte den Winter, um die Netze und Reusen und seine Boote in Ordnung zu bringen. Er hatte vier Töchter, was er immer als Segen empfunden hatte, doch beim Reparieren der Boote waren sie ihm keine Hilfe. Er war deshalb dankbar, dass ihm Dave half.

      Außerdem konnte Dave bei Jack Mueller, dem neuen Hufschmied, und Samuel E. Maddock, dem Schlachter, die Ställe ausmisten. Alles in allem bekam er gerade so viel, um sich und Mr Blackmore mit dem Nötigsten zu versorgen. Für ihre Außenstände bei Bennry und der Sägemühle langte es aber hinten und vorne nicht.

      Ben Bennry erwies sich jetzt als wahrer Freund. Als er bei einem Besuch in der Stadt von ihrer Not erfuhr, verzichtete er sofort auf seinen Lohn. Es seien ohnehin nur zwei Tage gewesen, meinte er und lachte unbekümmert. Dave sah es zwar ungern, den Freund leer ausgehen zu lassen, nahm das Angebot aber dankend an. Wenn es ihm irgendwann möglich sein würde, versicherte er, würde er Ben den schuldigen Lohn bezahlen.

      Mr Blackmore sank in tiefe Kümmernis. Einst hatte er zu den reichsten Männern der Stadt gehört. Jetzt war er froh, wenn abends ein Teller Brotsuppe auf dem Tisch stand. Die Armut selbst kam ihm aber noch am wenigsten an. Deprimierend war, dass Marcell, der Cuthbert das Holz gesägt hatte, ihn hin und wieder aufsuchte, um sein Geld zu fordern. Blackmore musste ihn stets vertrösten. Es war gegen seine Ehre, die Schulden nicht bezahlen zu können, und er litt darunter. Auch das schwere Rheuma machte es nicht besser. Von den Fingern und Ellenbogen hatte es sich inzwischen über die Hüfte bis zu den Knien vorgefressen. Die Schmerzen waren manchmal schier unerträglich. Wären es nur die körperlichen Schmerzen gewesen, hätte er die Zähne zusammengebissen und sie geduldig ertragen. Aber wegen dieser Krankheit war es ihm unmöglich, zum Unterhalt beizutragen, und dass ein anderer ihn versorgen musste, brach sein stolzes Herz. Mit beklemmender Wehmut sah er Dave schon sehr früh am Morgen das Haus verlassen und spät in der Nacht von der Arbeit heimkehren, während er verdammt war zum Nichtstun. Dieses seelische Leid war viel grausamer als der Hunger und das Rheuma. Es bohrte sich heimtückisch in den Leib und zermürbte das

      Gehirn.

      Blackmore wurde sonderbar und störrisch. Vor einem halben Jahr hatte Gott ihm die Frau genommen, und als sei das noch nicht genug, verlor


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