Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


Скачать книгу
gegen die weiße Rasse empfinden musste. Nichts spiegelte sich in ihnen, sie waren leer, abgestorben, gespenstisch. Dave war, als starrten ihn die Augen eines Toten an.

      Die zerfurchten Lippen des Indianers formten sich mühsam zu einem Lächeln. Mit schwerer Zunge brachte er lallend undeutliche Worte hervor und schob dabei seine zitternden Hände auf den Tisch. Auch wenn seine Worte nicht zu verstehen waren, so ahnte Dave doch, um was der Indianer bat. Er kramte in seiner Tasche, holte zehn Cent hervor und überreichte sie mit den Worten: „Kauf dir was zu essen.”

      „Ich glaube, unser Freund ist eher an flüssiger Nahrung interessiert”, höhnte der Captain. Er gab ihm einen Vierteldollar.

      Adlerwolke sah die Männer dankbar an. Wieder lächelte nur sein Mund, während die Augen kalt und scheinbar leblos blieben.

      Die Männer sahen ihm nach, wie er auf den verkrümmten Füßen unbeholfen zur Theke schwankte. Er wirkte wie ein dürrer, vom Wind gebrochener Baum. Lallend bestellte er sich Whiskey.

      Für einen Moment glaubte Dave so etwas wie Mitleid bei Bell zu entdecken, als der den Indianer an der Theke eine Weile betrachtete. Doch dann verzerrte sich sein bärtiges, rotbraunes Gesicht zu einem bösen Grinsen. „Du Narr!”, knurrte er. Es klang wie eine Ent-

      täuschung.

      Bell riss sich von der jämmerlichen Gestalt los und wandte sich wieder Dave zu.

      „Nun, mein Junge, deine Einstellung freut mich. Aber was wird nach einer Woche sein oder nach einem Monat? Wenn dir plötzlich einfällt, das Leben in der Wildnis sei doch nicht so, wie du es dir jetzt vorstellst.”

      „Ich kann einiges einstecken”, behauptete Dave überzeugt. „Es

      haben so viele vor mir überstanden, ich werde es auch schaffen.”

      Bell sah ihn musternd an. „Du hast recht: Weshalb solltest du es nicht auch schaffen? Aber sag mir noch eines: Weshalb willst du eigentlich mit uns?”

      Ohne zu überlegen antwortete Dave: „Weil ich sonst in der Enge dieser Stadt zugrunde gehe.”

      Wieder verzog der Captain das Gesicht. Diesmal wusste Dave die Mimik nicht zu deuten. Bell richtete noch etliche Fragen an ihn. So interessierte ihn zum Beispiel, ob er imstande sei, allein eine Hütte zu bauen, ob er mit dem Gewehr umgehen könne und ob er sich aufs Kochen verstünde. Bei der Frage mit dem Gewehr schummelte Dave etwas. Er hatte zwar Mr Blackmore immer zugesehen, selbst hatte er aber noch nie ein Gewehr geladen oder damit geschossen. Im Grunde aber waren all diese Fragen überflüssig gewesen. Henry Reed

      sagte Dave später einmal, die Sache sei schon da entschieden gewesen, als Dave die Flucht aus der Stadt als Motiv für sein Fernweh angab. Bells Mutter war eine Fox-Indianerin, weshalb man ihm in Richmond, wo er aufgewachsen war, das Leben zur Hölle gemacht hatte. Seitdem war ihm jeder sympathisch, der wie er die bornierte Voreingenommenheit der Weißen hasste. Nicht die Weißen selbst hasste er, nur deren Einstellung andersfarbigen Menschen gegenüber.

      Reed sagte später auch, dass es nützlich für Daves Zwecke gewesen sei, dass er dem bettelnden Indianer Geld geschenkt hatte. Das Halbblut Bell lobte jeden Weißen, der Indianer nicht wie ein Stück Vieh behandelte.

      Nach insgesamt nur zwanzig Minuten reichte der Captain Dave die Hand und sagte: „Du bist unser Mann.”

      Während sie ihr Abkommen mit Whiskey begossen, erläuterte Bell, was Dave nun als Angestellter der Louisiana Fur Company zustand und welche Pflichten er wahrnehmen musste. So stellte ihm die Company jährlich zwei Baumwollhemden und eine Decke. Des Weiteren hatte er Anspruch auf täglich zwei Unzen Nierenfett, ein Quart Mais sowie Salz, Mehl und Kaffee. Doch damit noch nicht genug. Dave war angenehm überrascht, als er erfuhr, dass er neben diesen Vergütungen zusätzlich Lohn erhielt. Es war zwar nicht viel, überschritt aber den Betrag, den er in der Zimmerei verdient hatte, um einiges. Ganze zweihundertfünfzig Dollar sollte er jährlich bekommen. Das Geld würde er allerdings erst nach dem ersten Jahr erhalten.

      Dave staunte, als er nun im Stillen nachrechnete. Wenn man die Anzahl der jetzt siebzehn Angestellten plus der Trapper, die das ganze Jahr in der Wildnis lebten, mit diesem oder einem höheren Jahreslohn multiplizierte und dann noch die Ausgaben für die Reise dazu addierte, kam eine hübsche Summe zusammen. Alles in allem musste der Pelzhandel tatsächlich einen enormen Gewinn abwerfen, wie schon Granville Upton richtig gesagt hatte.

      In dieser Nacht schlief Dave zum ersten Mal seit langer Zeit wieder glücklich in seiner kleinen Hütte ein. Sein Leben hatte plötzlich eine vollkommen neue Perspektive erhalten. Mit Erwartung fieberte er der Abreise entgegen. Doch am Tag vor dem ersehnten Aufbruch riss ihn eine Mitteilung Reeds herb aus seinen Träumen.

      Der Stall war inzwischen fertig. Dave verwendete nun die verbleibende Zeit, um Blackmores Haus und seine Hütte in Ordnung zu bringen. So wie sie jetzt waren, wollte er sie nicht zurücklassen. Er nagelte die Bretter fest, derentwegen Mr Blackmore ums Leben gekommen war, wischte die Zimmer aus und räumte auf. Einen Abend nahm er sich frei und lief hinauf zum Friedhof. In Gedanken sprach er mit seiner Mutter. Das Grab im Stich zu lassen, behagte ihm anfangs gar nicht. Doch er wusste, seine Mum lag nicht mehr in dieser Gruft; längst war sie in eine andere Welt gewandert. Dort war sie in der Nähe ihres Schöpfers. Und sie war stets auch in seiner Nähe, weil die irdische und die jenseitige Welt durch ein unsichtbares Tor verbunden waren. Ein Tor, das nur im Herzen existierte. Auch dort draußen in der Wildnis würde seine Mum deshalb immer bei ihm sein.

      Dave stellte sich auch an Mr Blackmores Grab und verweilte in Gedanken bei jenem Mann, dem er so viel zu verdanken hatte und der so plötzlich gegangen war. Schließlich widmete er auch Mrs Blackmore ein stilles Gebet.

      Den folgenden Tag verbrachte Dave damit, die Tiere wegzugeben. Die Hühner und die vier Gänse schenkte er dem Medizinmann. Dave kannte nicht einmal seinen Namen. Der Indianer nahm die Tiere dankbar entgegen, und diesmal lächelte nicht nur sein Mund. Dave erkannte in seinen Augen ein kurzes Leuchten, eine Sekunde des Glücks. Wie eine Flamme, die aufflackert und im nächsten

      Moment erstirbt. Ob der Indianer das Geflügel selbst aß, oder ob er es in Whiskey umwandelte, war allerdings fraglich. Der Alkohol hatte sich über die Jahre zu sehr in ihn hineingefressen, als dass er ihn jetzt auf einmal hätte beiseite schieben können.

      Dave wollte schon wieder gehen, als ihm etwas einfiel. „Du kannst in meiner Hütte schlafen”, sagte er. Weil ihn der Indianer nur stumm angaffte, führte er ihn zu der Hütte und deutete ihm mit den Händen an, er könne nun für immer hierbleiben.

      Adlerwolke starrte Dave nur an. Kein Funke in seinen Augen und kein Zucken seiner Lippen verriet seine Gefühle.

      „Mach, was du willst”, brummte Dave. „Ich brauche sie nicht mehr, du kannst bleiben oder gehen. Jedenfalls ist es jetzt deine Hütte.”

      Wie weit ihn der Indianer begriff, wusste Dave nicht. Als er aber am Abend heimkehrte, waren die Hühner und drei der Gänse wieder im Gehege und der Medizinmann lag im Bett und schlief.

      Bessie, die treue Stute, wegzugeben, fiel Dave besonders schwer. Er gab sie Marcell, bei ihm war sie gut aufgehoben. Die Stute sollte er als Anzahlung betrachten. Marcell nahm die Gelegenheit wahr und kam auf ein Thema zu sprechen, das ihn schon lange gequält hatte. Blackmores Haus stand leer, Cuthbert war weg und nun würde auch Dave gehen, wie er erfahren hatte. Er wollte deshalb das Haus verkaufen, um damit die Schulden zu tilgen. Den Rest würde er den Armen geben, wie er treuherzig versicherte. Da Marcell ein gewisses Anrecht darauf hatte, fand Dave den Vorschlag ganz vernünftig. Allerdings bat er darum, mindestens ein Jahr zu warten. Sollte Cuthbert bis dahin nicht zurück sein, stand dem Hausverkauf nichts mehr im Wege. Weshalb sich Dave um Cuthbert sorgte, konnte er sich selbst nicht erklären. Vielleicht war es, weil sie in all den Jahren trotz allem zusammengewachsen waren. Im Grunde waren sie ja wie Brüder. Und obendrein stand Cuthbert das Haus rechtmäßig zu. Er war alleiniger Erbe.

      Marcell nörgelte zwar etwas, doch schließlich war auch er einverstanden.

      Nun war alles Nötige erledigt. Dave würde diese Stadt, an der nie sein Herz gehangen hatte, mit gutem Gewissen verlassen können. Und er würde es


Скачать книгу