Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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hatte er nicht verraten –, sagte Mr Blackmore auf einmal: „Er ist dennoch mein Sohn. Auch wenn Cuthbert uns hintergehen wollte, er ist noch immer mein Sohn. Ich werde ihm das Geld nicht geben, aber ich werde ihm auch nicht mehr zürnen.”

      Dave hatte wegen des Streits nichts erwähnt, und er verschwieg ihn auch jetzt. Er nickte stumm.

      Auch den folgenden Tag verbrachte Dave zu Hause. Er sammelte das Laub im Garten zusammen, erntete endlich die Zaunrüben, deren Wurzeln Mr Blackmore verwendete, um sein Rheuma zu lindern, und reparierte schließlich die Tür an seiner Hütte, die seit Wochen knarrte. Unbewusst schob er die Arbeit an Uptons Scheune vor sich her. Manchmal drängte sich Clarissa in seine Gedanken, doch er versuchte jedesmal, sie aus seinem Kopf fernzuhalten, was ihm aber nicht immer gelang.

      Am dritten Tag konnte er sich Uptons Auftrag nicht länger entziehen. Er schirrte Bessie vor den Wagen, holte bei der Sägemühle das restliche Holz ab und fuhr zu Uptons Haus.

      Die Trapper waren inzwischen alle fort, sie hatten in der Stadt Unterkünfte gefunden. Aber auch Ben Bennry war fort, und das wunderte Dave. Dafür stand Cuthberts Pferd vor dem Haus.

      Dave fuhr den Wagen zur Scheune, weil er dort mit dem Verlegen des Bodens beginnen wollte. Am Tor hatte man in der Zwischenzeit wegen der Felle ein Schloss angebracht. Er lief deshalb zum Haus, um den Schlüssel zu holen. Auf sein Klopfen antwortete niemand. Da die Tür unverschlossen war, trat er ein.

      „Mrs Upton!”, rief er, und wieder, diesmal etwas lauter: „Mrs Upton!”

      Aus einem der hinteren Räume drangen jetzt Geräusche. Hektische, polternde Geräusche, als ob jemand herumrenne, dazwischen nervöses Geflüster, dann ein schleifendes Knarren, wie es entsteht, wenn man ein Fenster hochschiebt. Mit einem Mal war alles still. Kurz

      darauf erschien Mrs Upton. Sie kam aus dem Schlafzimmer und wirkte verlegen. Ihr Kleid war unordentlich und ihr Haar offen. „Ich habe noch geschlafen”, entschuldigte sie sich.

      Dave wusste sofort, dass sie log. Zum zweiten Mal war er ungewollt Zeuge einer peinlichen Situation geworden. Das erste Mal hatte er den Vater erwischt, jetzt den Sohn. Denn dass Cuthbert im Haus gewesen war, bewies sein Pferd draußen vor der Tür. Es ging Dave nichts an, was Mrs Upton trieb, während ihr Mann geschäftlich unterwegs war, und doch berührte es ihn tief. Er empfand Enttäuschung, Hass und Schmerz zugleich.

      Er nickte. „Ich brauche den Schlüssel für die Scheune”, sagte er und erschrak über das Zittern in seiner Stimme.

      Clarissa ging, um ihn zu holen. Als sie Dave den Schlüssel in die Hand drückte, sah sie ihm lange in die Augen. „Es ist nicht, wie Sie denken”, hauchte sie heiser.

      Wieder nickte Dave. Er umklammerte den Schlüssel fest, wandte sich dann schnell um und verließ das Haus. Im Hinausgehen stieß er mit Cuthbert zusammen, der eintreten wollte. Dave sah ihn verächtlich an, ließ ihn aber stehen und lief hinüber zur Scheune.

      Er öffnete das Tor und fuhr den Wagen ins Innere. Mit starrem Blick und starren Bewegungen fing er an, das Holz abzuladen. Damals, als er Mr Hastings Blackmore beobachtet hatte, war er ebenfalls starr gewesen. Damals war er aber noch ein Kind gewesen, auf das das Gesehene wie ein Schock gewirkt hatte. Inzwischen hatte er erfahren müssen, dass Sitte und Moral wie ein Blatt im Wind waren, das es mal hierhin, mal dorthin trieb. Man verlangte nach Zucht und Ordnung und Gesetzen und legte sie doch so aus, wie es im Moment am bequemsten passte. Längst hatte er sich mit dieser Doppelmoral abgefunden, dieser verlogenen Heuchelei. Und gerade deswegen wunderte es ihn, dass er heute so bestürzt war. Sollte ihm tatsächlich mehr an Clarissa Upton liegen, als er sich eingestand?

      Fünf Minuten später kam Cuthbert zu ihm in die Scheune. „Ich rate dir, es für dich zu behalten!”, sagte er unverblümt.

      Dave wollte keinen Streit, und er wollte erst recht nicht von dieser Sache reden. „Bennry ist nicht hier”, sagte er. Erleichtert stellte er fest, dass seine Stimme nicht mehr zitterte.

      „Ich habe ihn heimgeschickt. Wir brauchen ihn nicht mehr.“

      „Du brauchst ihn nicht mehr?” Er sah Cuthbert schroff an. „Hast du ihn wenigstens anständig bezahlt?”

      „Wie soll ich ihn bezahlen, wo du Vater das Geld gegeben hast?”, schimpfte Cuthbert. „Ich werde ihm seinen Anteil geben, wenn er im Frühjahr wiederkommt.”

      „Und was wirst du Upton geben, wenn er wiederkommt?” Unwillkürlich kam Dave nun doch auf das Thema.

      „Wir werden hier weiter arbeiten, wie zuvor auch.” Für Cuthbert war damit alles in schönster Ordnung. „Er ist selbst schuld, wenn er seine Frau allein lässt.”

      „Wenn man es so sieht. Aber ohne Uptons Auftrag wüssten wir nicht, wie wir den Winter überstehen sollen.”

      „Spiel dich ja nicht als Moralapostel auf”, fuhr ihn Cuthbert zornig an. „Nicht du. Hast selbst genug Dreck am Stecken. Unterschlägst Geld. Und vor allem: Deine Mutter war nicht anders als das, was du mir jetzt vorwirfst.”

      „Lass meine Mutter aus dem Spiel!”

      „So, auf einmal. Hörst es nicht gern, was! Wie kommt es dann, dass sie ein Kind und gleichzeitig noch ihren Mädchennamen hatte?”

      „Das weißt du ganz genau.”

      „Natürlich weiß ich das, Davy. Weil sie es mit jedem getrieben hat, deshalb.”

      Es war mehr ein Reflex als ein gewollter Schlag. Plötzlich schoss Daves Faust hervor und traf hart gegen Cuthberts Kinn. Einen Moment taumelte Cuthbert. Mit funkelnden Augen starrte er Dave an. Jäh schlug er ihm in den Magen, dann mit dem Knie gegen den Kopf. Dave stürzte zu Boden. Seine Lippe blutete. Wie eine Katze war er wieder auf den Beinen, und als er jetzt auf Cuthbert einschlug, tat er es wie ein wildes Tier, und all der unterdrückte Zorn, der sich die ganzen Jahre über in ihm angestaut hatte, brach wie ein Vulkan aus ihm hervor.

      Gott sei Dank unterbrach Clarissa den Kampf, sonst wäre Dave noch zum Mörder geworden. Die immer lauter werdenden Worte hatten sie beunruhigt. Sie kam zur Scheune gelaufen, stürzte sich schützend über Cuthbert und schrie Dave an: „Hör auf! Mach dich nicht unglücklich!”

      Benommen stierte Dave auf seine Hände, die rot von Cuthberts Blut waren. Vor ihm lag Cuthbert am Boden, das Gesicht aufgeschlagen, sein Atem ging keuchend. Clarissa war über ihn gebeugt, mit aufgerissenen Augen starrte sie Dave fassungslos an.

      Mit einem Mal begriff er, was er getan hatte. Schwankend vor Schwäche taumelte er zum Tor hinaus.

      Cuthbert redete nicht darüber. Er ging Dave aus dem Weg, aber er erwähnte niemandem gegenüber den Kampf. Clarissa verhielt sich nach wie vor abweisend. Nur einmal, als Dave mit dem Verlegen des Scheunenbodens beschäftigt war, kam sie zu ihm. „Sie sind sicher der Meinung, ich sei ein Flittchen”, sagte sie offen. „Vielleicht bin ich das – wen aber kümmert es? Ändert sich deswegen etwas in dieser verdammten Welt? Nichts ändert sich. Jeder ist seines Glückes Schmied. Weshalb nicht auch ich. Weil mein Weg zum Glück anders ist als andere Wege? Die, die in ihren vornehmen Villen in ihren vornehmen Sesseln sitzen, die scheren sich nichts um Moral und Anstand, weil man ihnen nicht auf die Füße tritt. Sehen Sie, Dave, deshalb wünsche ich mir nichts sehnlicher, als reich zu sein. Weil ich dann mein Leben führen kann, wie ich es möchte. Ist das so falsch?”

      Er wusste nicht, was er sagen sollte, und schwieg.

      Zwei Tage später kam ihr Mann zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Clarissa in Gedanken längst von ihm getrennt. Sie hatte erkennen müssen, dass auch Upton ihre Sehnsucht nicht stillen konnte. Cuthbert war ein neuer Versuch auf ihrem langen Weg zum Glück.Sie konnte ihre Gefühle nicht mehr unterdrücken und stritt andauernd mit ihrem Mann. Zwar wohnte sie noch im Hause ihres Mannes, traf sich aber immer noch heimlich mit Cuthbert. Später versuchte sie es nicht einmal mehr zu verheimlichen. Und auch Mr Upton blieb es nun nicht länger verborgen, wenn er es im Stillen auch schon bemerkt haben mochte.

      Die Arbeit in der Scheune zog sich in die Länge. Schon


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