Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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nahm und das Holz damit einpinselte, um es gegen Fäulnis zu schützen. Sie schien von großer Wissbegierde zu sein, denn dauernd wollte sie etwas über ihn und seine Arbeit wissen. Dave antwortete nur ein-

      silbig, und die Lady verlegte sich darauf, von sich zu erzählen, das tat sie sowieso lieber. Ihr hübscher kleiner Mund blieb keine fünf

      Sekunden geschlossen. Sie war sehr vergnügt an diesem sonnigen Novembermorgen.

      Plötzlich fiel ihr ein, es sei nun Zeit, das Essen zu richten. Im Weggehen kehrte sie um und meinte: „Wir beide sind heute allein. Sie

      werden sich doch nicht fürchten, Davy?” Sie lächelte keck.

      Dass sie ihn Davy nannte, war ihm peinlich. Dennoch war ihm Mrs Uptons Gesellschaft angenehm gewesen. Warum das so war, konnte er sich nicht beantworten. Diese Frau war für ihn immer noch ein Rätsel. Einmal wirkte sie kalt wie ein Eiszapfen, dann wieder schien sie sehr begehrenswert. Er machte sich aber weiter keine Gedanken über sie – sie war immerhin verheiratet – und gab sich wieder seiner Arbeit hin.

      Die vier kurzen Pfosten schlug er mit einem schweren Holzschlegel bis auf vier Zoll ins Ufer; zwei unmittelbar am Wasser, die zwei anderen sieben Fuß davon entfernt. Sie würden als Stützen des Stegs dienen, der bis zur Treppe reichen sollte.

      Die folgende Arbeit bereitete ihm Kopfzerbrechen. Die restlichen Pfosten waren nämlich zu je zweien in Abständen von sechs Fuß ins Wasser zu rammen. Zwar hatte er sich extra zu diesem Zweck das Boot geliehen, und der Trimaran lag wegen seiner drei Rümpfe sowieso stabiler auf dem Wasser als ein einrumpfiges Boot, aber ohne Halt musste es in den Fluten des Missouri unweigerlich ab-

      treiben, obwohl sich der Fluss hier noch recht zahm zeigte. Doch auch für dieses Problem fand Dave eine Lösung. Er kam aber nicht mehr dazu, sie in Angriff zu nehmen, weil jetzt Mrs Upton zum Essen rief.

      Schon als Dave das Haus betrat, roch es verlockend nach gebackenen Äpfeln. Mrs Upton trug jetzt eine weiße Schürze, in der sie tatsächlich aussah wie eine an Arbeit gewöhnte Hausfrau.

      Es gab Apfelauflauf, und Dave genoss ihn. Der Eierschaum war goldgelb gebacken, und die zu feinen Scheiben geschnittenen Äpfel waren mit etwas Zimt bepudert. Er aß drei Portionen, während Clarissa Upton an einer herumstocherte und ihn fortwährend anlächelte.

      „Hat es Ihnen geschmeckt?”, fragte sie überflüssigerweise und sah ihn mit großen, neugierigen Augen an. „Es ist noch eine Menge

      übrig. Wenn Sie wollen, packe ich Ihnen den Rest für zu Hause ein.”

      „Das ist nicht nötig”, lehnte Dave dankend ab, klopfte sich auf den prallen Bauch und fügte ehrlich hinzu: „Ich habe seit langem nichts Besseres gegessen.”

      Die letzte Zeit hatte er für sich und Mr Blackmore gesorgt, und er musste sich eingestehen, dass er ein miserabler Koch war. Mrs Upton dagegen kochte, als hätte sie nie etwas anderes getan.

      „Dafür sind Sie sehr geschickt im Umgang mit Beil und Säge”, lobte sie ihn. „Bestimmt sind Sie sehr beschäftigt und verdienen eine Menge Geld. Ihre Frau kann sich glücklich schätzen.”

      „Ich bin unverheiratet.”

      Sie riss die Augen noch weiter auf, als wäre sie sehr erstaunt. „Das wundert mich”, hauchte sie. Dann sagte sie: „Ich würde gern mit

      Ihnen den Umbau des Hauses besprechen.” Sie rutschte dabei dicht neben Dave.

      Er spürte den sanften Druck ihres warmen Schenkels, und wenn sie ihn ansah, streichelte ihr Atem sein Gesicht. Dave wollte nicht unhöflich sein, aber die einnehmende Art dieser Frau verwirrte ihn.„Ich denke, dass ich das mit Mr Upton bespreche”, sagte er kurz und stand auf.

      „Wie Sie wünschen, Mr Hofer”, murmelte sie sichtlich gekränkt.

      Leise fügte sie hinzu: „Sie missverstehen mich.”

      Dave bedankte sich für das gute und reichliche Essen und verließ das Haus. Draußen blieb er kurz stehen und sog mit einem kräftigen Zug die frische Novemberluft ein, als müsse er seinen Kopf klar machen. Er war achtzehn, Mrs Upton fast doppelt so alt. Er hatte ein Gefühl in ihrer Nähe empfunden, das ihn an das Gefühl gegenüber Miriam erinnerte. Dennoch war dieses Empfinden jetzt unangebracht, wie er meinte. Das gleiche Verlangen, einmal nach dem Mädchen Miriam und jetzt nach der verheirateten Frau, war von gefährlicher Pikanterie. Er musste diese Begierde unterdrücken, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. Denn eines musste er sich unumwunden zugestehen: Er hatte vorher noch nie eine Frau kennengelernt, die einen solchen Zauber auf ihn ausübte.

      Mrs Clarissa Upton ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen. Auch ihre Schmeicheleien blieben von nun an aus. Der Ton, mit dem sie Dave fortan anredete, wenn sie überhaupt noch zu ihm sprach, war im glimpflichsten Sinn als kühl zu bezeichnen.

      Als sich Dave nun wieder an seine Arbeit machte, nahm er sich vor, keinen weiteren Gedanken mehr an diese Frau zu verschwenden. Doch schon wenige Tage später sollte er etwas erfahren, das Clarissa Upton in ganz anderem Licht erscheinen ließ.

      Konzentriert machte er sich wieder an die Arbeit und setzte bei dem Vorhaben an, das er vor dem Essen gehabt hatte. Zwanzig Yards flussaufwärts schlug er einen Pflock ins Ufer und knüpfte ein Seil daran. Desgleichen tat er auf Höhe des Stegs und auf der gegenüber-

      liegenden Flussseite. Anschließend lud er den schweren Holzschlegel und zwei der mit Braunkohlenteer angestrichenen langen Balken in den Trimaran und ruderte wieder hinaus auf den Fluss. An der Stelle, wo er die Balken einschlagen wollte, band er das Boot an den drei Seilen fest. Und zwar so, dass es weder flussabwärts noch nach links oder rechts abgetrieben werden konnte.

      Diese ganzen Vorbereitungen nahmen mehr Zeit in Anspruch, als er erwartet hatte. Fast zwei Stunden waren seit dem Mittagessen vergangen.

      Vorsichtig erhob er sich. Die Wellen schlugen gegen die Beplankung, doch der Trimaran lag – abgesehen von geringen Schwankungen – ruhig und eben im Fluss. Er nahm einen der Balken und senkte ihn ins Wasser. Als er den Grund spürte, stieß er kräftig nach unten. Der Boden war hier weich, und Dave konnte den Balken einige Zoll tief mit den Händen einrammen, sodass er von allein senkrecht stand. Das Restliche erledigte der Schlegel. Jeder Schlag trieb das Holz

      einen viertel Fuß tiefer. ‚Fast zu leicht‘, dachte Dave, doch als der

      Balken nur noch vier Zoll aus dem Wasser ragte und er an ihm rüttelte, fand er, dass er fest verankert war. Der erste Außenpfosten stand.

      Bevor er sich an den zweiten machen konnte, hörte er vom Ufer her lautes Rufen. Cuthbert und Ben Bennry kamen näher.

      „Willst du Fische fangen?”, rief Bennry vergnügt.

      Dave löste das eine Seil und ruderte ans Ufer. Herzlich begrüßte er die beiden. Sie waren noch gestern Abend aufgebrochen, da Cuthbert sehr zur Eile gedrängt hatte; nun waren sie müde, und die

      Knochen taten ihnen von dem schnellen Ritt weh. Bennry wollte gleich mit der Arbeit beginnen, doch zuvor hatte er Hunger. „Ich könnte ein ganzes Schwein verdrücken”, meinte er lachend.

      „Wenn es auch Apfelauflauf tut, dann kann ich dir helfen”, sagte Dave und schickte beide ins Haus.

      Schon zehn Minuten später kam Ben zurück. Er lobte nicht nur den köstlichen Auflauf, sondern auch Mrs Uptons gutes Aussehen. Cuthbert blieb noch im Haus.

      Vier Hände erledigten die Arbeit natürlich viel schneller als zwei. Der zweite Pfosten steckte innerhalb kurzer Zeit im Wasser. Beim dritten war es noch leichter, weil sie nur zwei Yard weit in den Fluss brauchten. Doch der letzte machte ihnen zu schaffen: Sie stießen auf Steine.

      „Wir müssen ins Wasser!”

      Dave zuckte die Schultern. Ihnen blieb wohl nichts anderes übrig.

      „Verdammt!” knurrte Ben. „Ich dachte, wir wären Zimmermänner und keine Wasserratten.”

      Dave hatte noch seinen Regenmantel von gestern auf dem Wagen, den er sich anzog und über den Fußknöcheln zusammenband. Dass dennoch Wasser bis


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