Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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ungebundener Mann.

      Nachdem Dave mit zunehmender Ungeduld die Arbeiten an der Scheune und dann auch an der Schmiede abgeschlossen hatte und nur noch der Stall zu richten war, bekam er Gesellschaft. Henry Long Reed und zwei andere Männer arbeiteten in der Schmiede, sie reparierten Fallen, die sie den Trappern bei ihrer nächsten Fahrt mitbringen wollten. Außerdem waren vier Männer zwei Tage lang beschäftigt, die Fellbündel auf einen Wagen zu laden, zum Hafen zu transportieren und auf das Schiff zu verfrachten. Als es den Tag darauf den Mississippi stromabwärts schipperte, war Granville Upton mit an Bord. Er würde die Felle in New Orleans verkaufen, würde mit den anderen Teilhabern der Louisiana Fur Company Geschäft-liches bereden und erst in drei Wochen wiederkehren.

      Bevor er abreiste, sagte er zu Dave: „In New Orleans kenne ich eine Frau. Vielleicht hat sie Lust, mich nach St. Louis zu begleiten?”

      Dave mochte Upton, und irgendwie tat ihm der Mann leid. Clarissa war keine gute Frau gewesen, und so wünschte er ihm viel Erfolg. Upton hatte eine gute Frau verdient.

      Das ungewöhnlich warme Wetter hielt an. Eine Woche nach Blackmores Beerdigung war der Schnee, der zuletzt nur noch Matsch gewesen war, vollkommen verschwunden. Es regnete viel. Die Stadt und die Prärie drumherum waren von blasser, farbloser Erscheinung. Sie wirkten hinter dem Regenschleier wie abgestorben. Nur die beiden Flüsse, die sich hier zu einem einzigen gewaltigen Strom vereinigten, schäumten von ungestümem Leben. Das Schmelz-

      wasser ließ sie anschwellen, die schmutzig-braune Flut brach sich tosend ihren Weg in dem natürlich vorgegebenen Bett. Westlich von St. Louis stieg der Missouri über die Ufer und nahm eine riesige Fläche von mehreren hundert Quadratmeilen in seinen vorläufigen Besitz. Die Stadt selbst blieb Gott sei Dank verschont.

      Henry Reed sagte, sobald der Fluss zurückginge, würde sich die Brigade einschiffen. Diese Nachricht war für Dave wie ein lang ersehntes Signal. In Gedanken war er längst einer dieser verwegenen Männer. Mit ihnen gen Westen zu reisen, bedeutete für ihn, ein neues Leben zu beginnen. Er würde Menschen zurücklassen, die ihn abseits gestellt hatten, die ihn verurteilt und ausgegrenzt hatten. Menschen, die ihm nicht das Geringste bedeuteten. Als realistisch

      denkender Mann stellte er sich aber auch die Frage: Was erwartete ihn dort draußen in jener unbekannten Welt? Würde er endlich die Erfüllung finden, die ihm hier verwehrt war? Andererseits: Was konnte er bei einem Versuch verlieren?

      Dave nahm Reed beiseite und sagte: „Wenn ihr noch immer einen Zimmermann sucht, so bin ich dabei.”

      Reed freute sich ehrlich, doch räumte er ernst ein: „Ich hoffe, es ist nicht zu spät. Der Captain verpflichtet schon immer sehr frühzeitig seine Männer.” Er riet Dave aber, es trotzdem zu probieren. Dann hielt er Dave zurück. „Warte! Vielleicht ist es besser, ich komme mit.”

      Er legte den schweren Schmiedehammer beiseite, zog die Lederschürze aus, dann liefen beide im Regen hinunter in die Stadt und dort in den Saloon.

      Es war das erste Mal, dass Dave J. D. Hudsons Saloon betrat. Der Schankraum zog sich über die gesamte Länge des Hauses hin, war aber nur fünf Yards breit. Er wurde zusätzlich durch die Theke eingeengt, die sich in der Mitte in den Raum schob und fast ein Viertel der Gesamtfläche einnahm. Daneben stand das Piano, dessen hellen Klang Dave manchmal von außen gehört hatte, das jetzt aber stumm war. Die runden Tischchen vor der Theke waren nur leidlich besetzt. Arbeiter waren es oder Übernachtungsgäste, die hier ihr Essen einnahmen oder einfach nur gekommen waren, um einen Whiskey zu trinken, Karten zu spielen oder zu würfeln. Den Raum füllte beißender Rauch, der in Schwaden in der Luft schwebte, der Wände und Decke schwarz geräuchert und sich in einem bräunlichen Teerfilm auf die Fensterscheiben gelegt hatte. Durch die Fenster drang deshalb nur schwaches Licht, und die Petroleumlampen, die von der niedrigen Balkendecke hingen, erhellten den Raum nur wenig. Penetranter Schweißgeruch vermischte sich mit dem Rauch zu widerlichem Gestank.

      Als sich Daves Augen an den Rauch gewöhnt hatten, erkannte er an der Theke am Boden sitzend eine verkommene Gestalt. Es war zweifellos ein Indianer, gegen ihn aber sahen die Caddos draußen vor der Stadt aus wie Fürsten. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, die voller Kot und Schmutz waren und den ausgemergelten

      Körper lose bedeckten. Die Hände und die nackten Füße waren grotesk verunstaltet. Das schlohweiße Haar hing in fettigen Strähnen in das dunkle, faltige Gesicht, aus dem leere Augen wie stumpfsinnig vor sich hinstarrten.

      Dave erschrak, als er in dieser armseligen Kreatur den Medizinmann erkannte, zu dessen Hütte ihn Cuthbert einst geführt hatte. Nichts erinnerte mehr an die Erhabenheit und den Stolz, die der Indianer damals verkörpert hatte. Nun war er nur noch ein Wurm, der sich jämmerlich am Boden krümmte und die Spucknäpfe säuberte, um ein paar Cents für einen Whiskey zu verdienen.

      Zu jener Zeit war Dave noch zu unerfahren und wusste nicht, was es für einen Indianer bedeutete, auf Weiße zu stoßen. Vor nicht allzu vielen Jahren gehörte dieses Land noch den Missouri-Indianern, die in vielen kleinen Dörfern lebten. Als dann der Zustrom der Weißen immer gewaltiger wurde, wagte es eines dieser Dörfer, dem Eroberer die Stirn zu bieten. Es kam zu kleinen Scharmützeln. Doch dann, wie aus heiterem Himmel, grassierten in dem Dorf die Pocken. Niemand wusste, woher die Seuche kam, die den Indianern unbekannt war und gegen die sie weder Abwehrkräfte noch eine wirksame Medizin besaßen. Von den fünfundneunzig Menschen überlebte nur einer: der Medizinmann Adlerwolke. Weil er das Land, das er über alles liebte und das die Seelen seiner Verwandten beherbergte, noch immer nicht verlassen wollte, lebte er fortan in jener einsamen Hütte außerhalb der Stadt. Wieder verstrichen Jahre. Adlerwolke versorgte sich mit Pfeil und Bogen und entbehrte nichts. Die fremden Menschen, die nicht weit entfernt in St. Louis lebten, störten ihn nicht, und er störte sie nicht. Nur manchmal besuchten ihn neugierige Jungen, um Schabernack mit ihm zu treiben, manche erschreckten sich auch vor ihm und flohen. Doch dann kamen eines Tages vier jugendliche Reiter. Aus Übermut oder Tollheit oder sonst einem unerklärlichen Grund packten sie den Alten, fesselten ihn am Boden und ritten mit ihren Pferden über ihn hinweg. Dabei wurden Hände und Füße des Medizinmannes zertrümmert. Von nun an war er unfähig, zur Jagd zu gehen. Der Hunger trieb ihn in die Stadt. Die meisten in St. Louis bedauerten sein Schicksal, doch helfen wollte ihm niemand. Viele sahen in ihm auch nur den Wilden, das bestialische Tier, in dem sich all die Toten spiegelten, die durch Indianer ihr Leben hatten lassen müssen. Hohn und Spott preisgegeben, war Adlerwolke nun auf das angewiesen, was ihm die Menschen hier in gutmütiger Laune vor die verkrüppelten Füße warfen.

      Auch wenn Dave von all dem nichts ahnte, so empfand er doch tiefes Mitgefühl und bedauerte das Schicksal dieses langsam sterbenden Indianers.Weiter darüber nachzudenken, dazu kam er momentan nicht, denn Reed führte ihn zu Orlando Bell.

      Der Captain saß in einer Nische mit sechs seiner Männer am Tisch. Seit Tagen waren sie damit beschäftigt, die Reise vorzubereiten, hatten die Boote überprüft und ausgebessert, hatten die Route geplant sowie Handelswaren, Blei und Proviant erstanden. Auch heute

      waren sie von früh an unterwegs gewesen. Nun ließen sie bei Eiern mit Speck, zu dem sie dünnes Bier tranken, den Tag ausklingen.

      Reed und Dave setzten sich zu den Männern an den Tisch. Der Lange begann sofort, dem Captain von Daves Wunsch zu erzählen, und vergaß auch nicht, Daves handwerkliches Geschick zu erwähnen.

      „Hm”, machte der Captain und musterte Dave mit strengem Blick. Dann sagte er: „Tatsächlich fehlen uns zwei Männer, seit die beiden Kreolen auf Nimmerwiedersehen verschwundensind. Hast du Erfahrung auf dem Fluss?”

      „Nein”, musste Dave kleinlaut zugeben. An Bells Gesichtsausdruck erkannte er, dass er soeben seine Chance vertan hatte. Um zu retten, was noch zu retten war, sagte Dave schnell: „Aber ich werde es lernen. Es macht mir auch nichts aus, harte Arbeit zu verrichten oder Arbeiten, die sonst niemand gern macht.”

      Bell schmunzelte, was Dave als Pluspunkt wertete. Ihr Gespräch wurde jetzt von dem greisen Indianer unterbrochen, der torkelnd herangetreten war und wie ehrfurchtsvoll vor den Männern auf die Knie fiel. Er stank erbärmlich nach rauchigem Whiskey und Urin. Seine verkrüppelten Hände zitterten, die er ihnen bettelnd entgegenstreckte. Dave fuhr unmerklich zusammen, als er nun


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