Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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Er wollte die Holzabfälle und die Sägespäne, die er in einem großen Korb gesammelt hatte, am Fluss verbrennen. Dies

      würde seine letzte Arbeit hier sein.

      Upton war noch nicht zurück. Für Dave spielte das aber keine große Rolle. Sein Auftrag war erfüllt, und er konnte getrost mit Bell und seinen Männern aufbrechen. Er hätte sich nur gern von Upton verabschiedet.

      Auch Reed hatte seine Arbeit beendet. Die Fallen für die Trapper waren repariert und verschiedene Defekte an Messern, Pfannen und Äxten ausgebessert. An diesem Vormittag stand er zufrieden

      neben Dave und sah zu, wie das Feuer die Holzabfälle ergriff und sich dunkler Rauch entwickelte, der in einer dichten Säule empor zum Himmel schwebte. Dort hingen noch immer tiefe Wolken, aber es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet. Auch der Missouri war abgeschwollen und zwei Kielbooten nun nicht mehr gefährlich. Die Boote lagen ruhig am Pier. Ein Teil der Ladung war bereits in den beiden Frachtboxen verstaut.

      „Morgen geht es los”, sagte Reed. Für ihn würde es die vierte Fahrt werden. Und diesmal wollten sie länger bleiben, um oben am

      Yellowstone ein Zwischenlager zu errichten. Jede Reise entlockte ihm neue Begeisterung. In dieser Beziehung war er wie alle Trapper oder Mountain Men oder Voyageure oder wie sie noch genannt wurden, diese Männer der Wildnis. Wen die unendlichen Prärien, die Wälder und die Berge erst einmal gepackt hatten, den ließen sie nicht mehr los. Wie eine Sucht waren sie, die einen so lange quälte, bis man wieder hinauszog. Und jedesmal taten es diese Männer mit größerer Freude und stärkerer Begierde.

      „Morgen”, wiederholte Dave strahlend, als ginge es in das Gelobte Land. „Ich kann es kaum erwarten. Und ich kann es immer noch nicht fassen, dass Bell so schnell mit mir einverstanden war. Ein Neuling muss ihm doch nur eine Last sein.”

      Der Lange grinste zustimmend. „Ehrlich gesagt war auch ich überrascht. Manchmal braucht es Tage, um ihn von einem Neuen zu überzeugen. Das Schicksal war eben auf deiner Seite.”

      Sie unterhielten sich noch eine Weile. Als dann das Feuer verlosch, verabschiedeten sie sich. Man treffe sich morgen bei Sonnenaufgang hier am Pier, sagte Reed noch. „Vergiss dein Gewehr nicht.”

      „Mein Gewehr?” Dave erschrak.

      „Ach ja”, meinte Reed. „Der Captain hat es dir nicht gesagt, weil er es für selbstverständlich hält. Proviant und Kleidung ist für alle eingekauft, aber das Gewehr sollte jeder selbst mitbringen. Dies ist die einzige Bedingung. Da kommt keiner dran vorbei.”

      An ein Gewehr hatte Dave nicht gedacht. Der Grund dafür leuchtete ihm ein. Bei einer Schießerei mit räuberischen Indianern war jede Waffe wichtig. Der Einzelne half so mit, das Leben der ganzen Gruppe zu sichern.

      Als Dave nun heimwärts lief, überlegte er krampfhaft, woher er auf die Schnelle ein Gewehr nehmen sollte. Mr Blackmore hatte eine Büchse besessen, sie hing noch immer in der Küche am Haken. Aber es war nicht Daves Büchse. Wenn er sie einfach nahm, war das schlichtweg Diebstahl.

      Dave besaß noch elf Dollar und fünfzehn Cent. Das Geld war in seiner Hütte in einem Topf über dem Herd verwahrt. Er holte es und ging damit zu Hawken‘s Laden, an dessen Scheiben er sich als Kind die Nase platt gedrückt hatte. Jake Hawken arbeitete jetzt mit seinem Bruder Samuel zusammen. Sie fertigten die besten Gewehre weit und breit. Ihre Kunden nahmen oft Tausende von Meilen in Kauf, um sich bei den Brüdern ein Gewehr zu bestellen. Ihr Geschäft blühte. Doch als Dave die elf Dollar auf den Ladentisch zählte, hob Jake Hawken nur mitleidig die Schulter. „Sie bekommen dafür

      etwas Blei und zwei Pfund Pulver, aber keine Büchse.”

      „Es muss keine neue sein”, versuchte es Dave.

      „Tut mir leid”, meinte der Büchsenmacher ehrlich. „Gebrauchte Waffen habe ich momentan nicht im Laden. Vielleicht nächste Woche.”

      Dave seufzte, als er die Tür hinter sich schloss. Mit einem Mal sah er seinen Traum entschweben. Diesen Traum, der ihm das Leben bedeutet hatte und der nur wegen eines simplen Gewehrs im Nichts verschwand.

      Und doch war sein Traum greifbar nah. Er hing an einem Haken in Blackmores Wohnküche. Dave nahm das Gewehr herunter und sah es traurig an. Der Lauf war unverziert, und der jahrelange Gebrauch hatte feine Schrammen auf dem Ahornschaft hinterlassen. Es war ein sechziger Kaliber mit hoher Präzision, nicht besonders elegant, aber es war für ihn momentan das einzige Gewehr der Welt.

      Ein hölzernes Kistchen hinter der Eckbank bewahrte die passenden Kugeln auf, etwa zwei Pfund Blei in Masse, zwei Pfund Pulver,

      Feuersteine und eine Kugelzange. Der Inhalt dieses Kistchens und das Gewehr waren für Dave ein Schatz, der an diesem Tag wertvoller war als aller Reichtum. Und doch war er unerreichbar. Diese Sachen hatten Mr Blackmore gehört. Wenn sie jetzt jemandem gehörten, dann Cuthbert, dem einzigen Erben. Und selbst wenn Cuthbert nie zurückkäme, diese Sachen würden niemals Dave gehören.

      Die Ausweglosigkeit ließ ihn verzweifeln. Die Stunden rannen dahin, während er in der Küche saß, die Büchse anstarrte und hoffte, es würde sich eine Lösung zeigen. Aber es fand sich keine Lösung.

      Die einbrechende Nacht und der Zwang zum Handeln verleiteten ihn zu einem Weg, den er sonst nicht gewählt hätte. Er brauchte das Gewehr nur zu nehmen. Cuthbert hatte sich nie dafür interessiert, und einem anderen, zum Beispiel Marcell, würde der leere Haken nicht weiter auffallen. Zum ersten Mal verstand Dave, warum

      Menschen aus Verzweiflung raubten oder betrogen.

      Vermutlich würde niemand den Diebstahl bemerken, vermutlich würde Dave nie dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Und dennoch zögerte er. Er musste sein Tun vor sich selbst und dereinst vor seinem Schöpfer verantworten. Das belastete ihn schwer. Erst als der Morgen dämmerte, rang er sich durch. Er schlüpfte in seine Schafwolljacke, zog sich die Mütze tief über die Ohren, schulterte dann das Gewehr, nahm das Kistchen unter den Arm und verließ das Haus. Er schloss es ab und legte den Schlüssel vor Marcells Tür. Dave verabschiedete sich nicht, denn es gab niemanden, der ihn vermissen würde. Nur einmal schaute er kurz zurück. Im Halbdunkel erkannte er eine Gestalt. Es war der alte Medizinmann, der die verkrüppelte Hand zitternd zum Abschied und wohl auch zum stillen Dank erhob. Niemand sonst bemerkte Dave, der an diesem kühlen Samstagmorgen des 2. April 1831 die Stadt hinter sich ließ. Wie ein Dieb schlich er sich davon.

      Nur die Erinnerung an ungeliebte Zeiten trug er mit sich – und die Hoffnung auf ein besseres, ein erfüllteres und toleranteres Leben.

      Als die siebzehn Männer die Boote lautlos vom Pier stießen, spitzte die Sonne rot-golden hinter dem Horizont hervor. Dave sah seine Geburtsstadt langsam in der Ferne verschwinden. Schließlich ragte nur noch der Glockenturm der St. Michaels Kirche hervor. Aus der Entfernung wirkte er wie ein mahnender Zeigefinger. Dann versank auch er hinter einem Hügel. Dave nahm es ohne Wehmut und ohne Reue hin. Er richtete seinen Blick geradewegs nach vorn, nach Westen, dorthin, wo sich das gelb-braune Band des Missouri in der

      Unendlichkeit verlor. Er spürte das Boot unter seinen Füßen, das sanft in der Strömung schwang, er spürte leichten Wind aufkommen, und er lernte dieses Gefühl lieben, das ihn in eine neue, eine freie Welt begleiten sollte.

      Dave fand sich rasch in den Rhythmus ein, dem die Arbeit den Takt verlieh. Die Boote wurden von je sechs Männern gerudert, einer stand jeweils am Heck und half mit einem langen Staken, das Boot gegen die Strömung zu manövrieren. Es war harte Arbeit, die den Männern all ihre Kraft abverlangte. Da drei übrig waren, wurde stündlich abgewechselt. So fand jeder etwas Zeit, sich von den

      Strapazen auszuruhen.

      Die Männer lernte Dave schnell näher kennen. Bell und Reed hatte

      er schon vorher gekannt, von den anderen waren ihm nur die Namen geläufig. Das anstrengende Leben hatte sie rau und grob gemacht, trotz allem waren es gute Kerle, die den Humor nicht verloren hatten und nichts mehr liebten, als herzhaft zu essen und zu lachen. Dave mochte sie. Mit dem schweigsamen Sven, der nur „der Schwede” genannt wurde, kam er ebenso gut aus wie mit dessen


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