Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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hätte. Nur die Schande, ein solches Verbrechen zu begehen, ließ die anarchischen Zustände nicht in einer Katastrophe enden.

      Unterscheiden musste man auch Taten, die dem Gemeinwohl

      dienten. So erlangte man sogar große Ehre dadurch, einen anderen Stamm zu berauben und die Feinde im Kampf zu erschlagen. Nur dem Großen Geist oder dem Einsamen Mann, der sich ständig und überall durch die Natur offenbarte, unterwarfen sie sich be-

      dingungslos. Seine Gesetze waren die einzigen, die sie befolgten. Und betrachtete man den Überlebenswillen als Gesetz der Natur, so war der Überfall auf einen anderen Stamm, der ja die eigenen

      Nahrungsquellen bedrohte, von großem Nutzen.

      Dave hatte sich immer gewünscht, frei und ungebunden zu leben. Er hatte sich vorgestellt, sollte es eines Tages so weit sein, würde er das neue Leben ausschweifend wie ein in die Freiheit entlassener

      Mustang genießen. Jetzt war er in Freiheit, und dennoch fesselten ihn noch die Wurzeln seiner Herkunft. Es sollten noch viele Monate vergehen, bis er alle Brücken hinter sich abbrach und zu einem

      echten Mann der Wildnis wurde.

      Nachdem sich bei den Mandanen die erste Wiedersehensfreude gelegt hatte, gingen sie wieder ihren Beschäftigungen nach. Es wurde ruhig im Dorf.

      Der Friedenshäuptling hieß Nompah wah keea, was so viel wie Zwei Schilde bedeutete. Nichts hob seine Stellung hervor. Er war Vorsitzender des Stammesrates, ohne den auch er keine wichtigen Entscheidungen fällen konnte. Ihm standen aufgrund seines Amtes weiter keine besonderen Privilegien zu, es sei denn jene, die er sich als hervorragender Krieger verdient hatte.

      Nompah wah keea führte sie nun in eines der Häuser, das für die Beherbergung von Gästen reserviert war. Dave war überrascht, mit welch primitiven Mitteln der doch so stabile Bau errichtet worden war, und als Zimmermann interessierte er sich natürlich besonders dafür. Das Haus bestand aus einem einzigen kreisrunden Raum von etwa fünfzig Fuß Durchmesser. Am Rand dieses Kreises waren zuerst kleine feste Pfähle dicht nebeneinander in den Boden gerammt und darüber längere Pfähle, die sich zur Mitte hin neigten. Auf drei Viertel Höhe verliefen Querbalken, die von starken Stützpfosten getragen wurden. Das ganze Gebilde war mit einer dicken Schicht Erde bedeckt, dessen äußere Kruste aus hartem und somit wasserabweisenden Lehm bestand; sie schützte die Bewohner vor Regen und Wind und hielt die Wärme im Inneren. In der Deckenmitte hatte man eine drei Fuß große Öffnung gelassen, durch die das Tageslicht schien und der Rauch entwich. Der Boden schließlich war im

      Laufe der Jahre festgetreten und blank wie polierte Bretter. Die Erbauer hatten geschickt die verfügbaren Materialien der Natur verwendet und ein solides, geräumiges Haus errichtet, das bis zu vierzig Personen Platz bot. An den Wänden hingen Töpfe, Pfannen, Federfächer und andere Utensilien des täglichen Lebens. Im hinteren Teil des Raumes lagerten an die zwanzig Büffelfelle. Alles in allem wirkte das Haus wohnlich und gemütlich und strahlte eine an-

      heimelnde Nettigkeit aus.

      Mit Nompah wah keea trat noch eine zehnköpfige Delegation ein – alle angesehene Männer des Dorfes –, die sich nun mit den Gästen in einem Kreis niederließen. Einer der Mandanen war jener Indianer, der am Tag zuvor den Booten gefolgt war. Vermutlich hatte er sich da auf einem längeren Jagdausflug befunden, denn jetzt trug er

      saubere Kleider und sein Haar war wie das der anderen gepflegt und schimmerte in seidigem Glanz. Bell kannte den Mann nicht, er

      musste demnach erst seit letztem Jahr zum Kreis der auserwählten Männer gehören.

      Ein Feuer war schnell entfacht. Die Männer holten ihre Pfeifen aus den Taschen, und schon kurz darauf war der Raum angefüllt mit dichtem Rauch, in dem sich die einfallenden Sonnenstrahlen

      brachen. Später brachten Frauen einen großen Kessel Wildgemüsesuppe und danach gebratene Hirschrippen, die mit wilden Kirschen gespickt waren, und Mais, den sie selbst anbauten.

      Der Unterhaltung konnte Dave anfangs nur schleppend folgen. Die Mandanen sprachen zwar ein wenig Englisch, aber eben nur ein wenig. Den Rest drückten sie in ihrer eigenen Sprache aus. Um sich dennoch deutlich mitteilen zu können, untermalten sie ihre Worte mit gestenreichen Handzeichen. Alle Indianer beherrschten diese Zeichensprache, die aus dem Handel zwischen ihnen entstanden war, und verwendeten sie schneller und fließender als das gesprochene Wort. Auch die Trapper verwendeten diese Art der Mitteilung recht gewandt. Die Ausdruckskraft der Zeichensprache war dabei oft so eindeutig, dass sich Dave weniger auf seine Ohren als auf seine Augen verließ. Auch wenn er nicht alles verstand, so nahm er doch lebhaft teil an den vorgetragenen Geschichten und Anekdoten, und er lernte die Mandanen als ein munteres Volk kennen, das gern schwatzte und ebenso gern lachte.

      Nachdem der Kessel leer und von den Hirschrippen nur noch die Knochen übrig waren, schnürte Orlando Bell das mitgebrachte Säckchen auf, holte Glasperlen, dreißig metallene Pfeilspitzen und zwei Stahläxte hervor, die er den Gastgebern schenkte. Was wie eine großzügige Geste wirkte, war im Grunde genommen nichts weiter als pure Berechnung. Bell hielt die Mandanen damit bei guter

      Laune. Die Geschenke waren Wegezoll und zugleich Bestechung. Denn nicht nur die Louisiana Fur Company durchquerte das Land der Mandanen, auch zahlreiche andere Pelzhandelsgesellschaften taten dies. Nicht alle waren freundlich und wohlgesonnen. Es waren Schurken und Diebe darunter, die die Indianer beim Handel betrogen oder sogar ihre mühsam erbeuteten Felle stahlen. Und wenn die Mandanen dann den Krieg ausriefen, unterschieden sie nicht

      zwischen den einzelnen Gesellschaften, sondern nur nach Freund oder Feind. Deshalb sorgte Bell jedes Jahr dafür, als Freund betrachtet zu werden.

      Die Unterhaltung hätte vermutlich noch bis zum Morgen angedauert und dabei nicht an seiner Lebhaftigkeit verloren. Als aber der Captain eine Stunde nach Mitternacht aufstand und seine Pfeife ausklopfte, verstanden die Mandanen diese Andeutung. Sie verabschiedeten sich höflich und verließen das Haus. Die Trapper holten nun die Büffelfelle, die man nur für sie im hinteren Teil des Hauses abgelegt hatte, und richteten sich damit ihr Lager. Eine Weile noch lag Dave wach. Gedankenverloren sah er durch die Dachöffnung

      hinauf zu den Sternen, die wie glitzernde Diamanten am Nachthimmel standen. Schließlich fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      Der Morgen beendete den kurzen Besuch. Captain Bell verabredete sich mit Nompah wah keea für den April im nächsten Jahr. Denn

      dieses Jahr würden sie nicht zurückkehren, sondern in den Bergen bleiben, um Handel zu treiben und eine Zwischenstation zu errichten. Aber sobald der Schnee schmolz, wollten sie zurück nach St. Louis, und sie würden wieder bei den Mandanen Halt machen und ihnen dann auch deren Felle abkaufen. Er bedankte sich herzlichst bei seinen Gastgebern, und nachdem sich alle verabschiedet hatten, stiegen die Trapper in ihre Boote. Dave warf einen schnellen Blick in die Frachtbox, fand aber alles unverändert vor. Während ihrer Abwesenheit hatte also kein Indianer die Boote betreten. In St.

      Louis wäre es nicht möglich gewesen, die wertvolle Fracht eine

      ganze Nacht lang unbeobachtet zu lassen.

      Dann klatschten die Ruder ins Wasser. Langsam aber stetig schoben sich die Kiele stromaufwärts.

      Dave blickte noch eine Weile zurück. Er sah Menschen, die ihnen fröhlich hinterherwinkten. In den wenigen Stunden, die er bei ihnen verbracht hatte, hatte er sie als heitere Menschen kennengelernt, als einfache, aber demütige Kinder der Natur, die ohne Falsch waren. Und eben diese Einfachheit, diese Geradlinigkeit und pure Menschlichkeit hatte seine Sympathie im Nu gewonnen. Es fiel ihm deshalb schwer, Abschied zu nehmen.

      Mit den Mandanen ließen die siebzehn Trapper auch ein Gebiet zurück, das noch als friedlich und ungefährlich zu bezeichnen war. Mit jeder Meile, die sie mühsam dem Fluss abrangen, näherten sie sich dem Yellowstone und dem Land der Blackfeet. Dieser Stamm war allen Weißen wegen ihrer Launen verhasst. War die Büffeljagd oder der Pelzhandel zu ihrer Zufriedenheit verlaufen, waren sie harmlos und friedfertig wie die Mandanen. Doch konnte sie ein einziger Trapper, der sie übervorteilte, zu reißenden Wölfen verwandeln, die gnadenlos jeden niedermetzelten, der ihnen in den Weg kam. Diese Unberechenbarkeit machte erst ihre Gefährlichkeit aus. Viele Weiße


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